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       # taz.de -- Schadenersatzprozess in den USA: Neue Munition für Glyphosat-Prozesse
       
       > Bald streiten Krebspatienten vor einem US-Gericht um Schadenersatz vom
       > Pestizidhersteller Monsanto/Bayer. Neue Studien könnten ihre Position
       > stärken.
       
   IMG Bild: Pestizid-Einsatz im Garten
       
       Berlin taz | Die Kläger im zweiten US-Gerichtsprozess wegen mutmaßlich
       durch [1][das Pestizid Glyphosat] verursachter Krebserkrankungen können
       sich freuen: Rechtzeitig zum Verhandlungsbeginn am Montag in San Francisco
       sehen sie ihre Argumentation gegen Hersteller Monsanto durch zwei weitere
       wissenschaftliche Studien gestärkt.
       
       Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Er steckt zum
       Beispiel in Unkrautvernichtungsmitteln der Marke Roundup von Monsanto, das
       zum deutschen Bayer-Konzern gehört. Die EU-Chemikalienbehörde Echa und
       Zulassungsämter etwa in Nordamerika halten den Wirkstoff zwar für
       ungefährlich. Aber weil ihn die als besonders industrieunabhängig geltende
       Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation als
       „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat, wird zum Beispiel in
       Deutschland darüber diskutiert, glyphosathaltige Pestizide zu verbieten.
       
       In den USA muss sich Monsanto gegen rund 10.000 Klagen wegen mutmaßlich
       durch das Ackergift verursachter Erkrankungen wie die Krebsart
       Non-Hodgkin-Lymphom verteidigen – und ist bereits in einem Fall im
       vergangenen Jahr zu 79 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt worden.
       Daraufhin brach der Bayer-Aktienkurs um etwa 40 Prozent ein.
       
       Und der Druck lässt nicht nach. Eine neue Studie in der Fachzeitschrift
       Mutation Research sieht einen „[2][zwingenden Zusammenhang“] zwischen
       Glyphosat-haltigen Pestiziden und Non-Hodgkin-Lymphomen. Die Forscher um
       Professorin Lianne Sheppard von der Universität Washington haben sechs
       epidemiologische Untersuchungen ausgewertet. Das sind Analysen, für die
       Menschen mit und ohne Kontakt zu dem Pestizid befragt wurden.
       
       ## Ein niedriges, aber sehr wohl ein Risiko
       
       Die Personengruppen, die laut den Studien jeweils am längsten oder
       stärksten Glyphosat-Pestiziden ausgesetzt waren, hatten demnach im Schnitt
       ein 41 Prozent höheres Risiko, an der Krebsart zu erkranken. Dass die
       Forscher nur die Probanden mit der höchsten Exposition betrachten, sehen
       sie als Stärke der Analyse: Falls Glyphosat Krebs verursacht, könne man das
       am ehesten bei den am stärksten exponierten Personen nachweisen,
       argumentieren die Wissenschaftler. Eine Schwäche ihrer Publikation sei
       hingegen, dass die ausgewerteten Studien mit unterschiedlichen Methoden
       arbeiteten, was die Vergleichbarkeit reduziert.
       
       Bayer hält diese Mängel für schwerwiegend. Die Autoren würden Daten
       miteinander vergleichen, „obwohl diese unter anderem aufgrund
       unterschiedlicher Expositionsraten nicht miteinander vergleichbar sind“,
       teilte ein Bayer-Sprecher der taz mit. Allerdings stellen die
       Studienautoren fest: „Unsere Erkenntnisse stimmen überein mit Ergebnissen
       aus früheren Meta-Analysen“. Diese würden zwar ein niedrigeres, aber sehr
       wohl ein Risiko ergeben.
       
       Die Autoren der Studie haben keine finanziellen Interessenkonflikte
       angegeben. Gleichzeitig sind sie als Glyphosat-Experten bekannt: Sheppard
       und zwei weitere der insgesamt fünf Wissenschaftler waren externe Berater
       der US-Umweltbehörde EPA bei der Wiederzulassung des Wirkstoffs. Das Amt
       setzte sich seinerzeit über ihre Einwände hinweg.
       
       ## Kläger in den USA sind Landwirte oder Heimgärtner
       
       Dass die Zulassungsbehörden etwa in den USA, Kanada oder der EU kein
       Krebsrisiko durch Glyphosat sehen, ist ein sehr wichtiges Argument von
       Bayer. Die Ämter bestreiten zum Beispiel, dass der Stoff das Erbgut
       verändere und so Tumoren verursache. Warum die EPA zu einem anderen
       Ergebnis kommt als die Krebsforschungsagentur IARC, hat nun der
       US-Agrarökonom Charles Benbrook untersucht, der auch als Gutachter für
       Kläger gegen Monsanto arbeitet.
       
       Sein Fazit in der Fachzeitschrift Environmental Sciences Europe: Das Urteil
       der Behörde, dass Glyphosat nicht das Erbgut verändere, basiere [3][vor
       allem auf Studien, die von der Industrie in Auftrag gegeben] und nicht
       veröffentlicht worden seien. „99 % von ihnen waren negativ, während die
       IARC sich überwiegend auf wissenschaftlich evaluierte Studien bezog, die zu
       70 % positiv waren“.
       
       Zudem hat die EPA laut Benbrook größtenteils Studien zum Wirkstoff
       Glyphosat zitiert, während die IARC umfassend Ergebnisse über die
       tatsächlich benutzten Pestizidprodukte berücksichtigte, die neben der
       Substanz auch andere Chemikalien enthalten. Schließlich habe sich die
       Behörde auf die in Lebensmitteln üblichen Dosen konzentriert. Benbrook
       zufolge ließ sie außer Betracht, dass Anwender des Pestizids viel höheren
       Konzentrationen ausgesetzt sein könnten. Die Kläger in den USA sind aber
       zum Beispiel Landwirte oder Heimgärtner.
       
       Regulierungsbehörden etwa in der EU und Kanada kämen „im Wesentlichen aus
       den gleichen Gründen“ zum gleichen Ergebnis wie die EPA, so Benbrook. Sie
       würden im Großen und Ganzen dieselben Studien der Industrie zitieren.
       
       ## Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert
       
       Die EPA reagierte nicht auf eine Bitte der taz um Stellungnahme. Bayer
       argumentierte, die Behörde habe mehr Untersuchungen berücksichtigt als die
       IARC. Klägeranwälte überzeugte das nicht. Sie sahen ihre Haltung sowohl
       durch Benbrooks als auch Sheppards Studie bestätigt.
       
       Der zweite Prozess, der am Montag beginnt, könnte die Richtung für einen
       Großteil der anderen Glyphosat-Verfahren vorgeben. Denn Kläger Edwin
       Hardeman gehört zu einer Gruppe von Hunderten Betroffenen, deren Verfahren
       vor einem Bundesgericht gebündelt werden. Bundesrichter Vince Chhabria hat
       ihn zu einem „bellwether case“ erklärt, also einem Fall, der repräsentativ
       für die Klägergruppe insgesamt ist. Dieses Musterverfahren könnte
       anschließend außergerichtliche Vergleiche erleichtern.
       
       Hardeman begann l[4][aut Klageschrift] in den 1980er Jahren, regelmäßig
       große Mengen des Glyphosat-Pestizids Roundup gegen Unkraut auf seinem
       Grundstück in Kalifornien zu sprühen. Im Februar 2015 wurde bei ihm das
       Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Nun verlangt er Schadenersatz von
       Monsanto. Der Prozess soll etwa [5][4 bis 5 Wochen] dauern.
       
       22 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
   DIR [2] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1383574218300887
   DIR [3] https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-018-0184-7
   DIR [4] https://usrtk.org/wp-content/uploads/2018/12/Edward-Hardeman-1st-amended-complaint-Feb.-2016.pdf
   DIR [5] https://cand.uscourts.gov/VC/roundupmdl
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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