URI: 
       # taz.de -- Politisch korrekte Karnevalskostüme: Besser Indianer als Superheld-Kacke
       
       > Unsere Autorin hat Skrupel, ihren Sohn als „Indianer“ zu verkleiden. Sie
       > weiß, dass es nicht als politisch korrekt gilt und tut es aber trotzdem.
       > Aus Gründen.
       
   IMG Bild: Müssen „Indianer“-Kostüme weg gesperrt werden?
       
       Mein fünfjähriger Sohn liebt Yakari, eine Schweizer Comicserie, die seit
       1977 erscheint und auch als Fernsehserie verwurstet wurde. Yakari ist ein
       junger Sioux, der eines Tages entdeckt, dass er mit Tieren sprechen und auf
       diese Weise viel Frieden stiften kann. Er ist frei, unabhängig,
       verantwortungsvoll – hat also eine Kindheit, von der wir nur träumen
       können. Mit Vorliebe trägt Yakari ein fransenbesetztes Lederhemd und eine
       braune Lederhose. Genau so ein Indianerkostüm wollte mein Sohn also zu
       diesem Fasching tragen.
       
       Schon als ich mich in meiner Kindheit als „Indianer“ (und nicht als
       „Indianerin“) verkleidete, war mir klar, dass sich die indigenen Völker
       Nordamerikas oft nur noch für Touristen so anzogen, ohne genau zu wissen,
       ob sich ihre Vorfahren je so angezogen hatten. Ich wusste sogar, dass der
       Begriff „Indianer“ von den Mitgliedern der damit angesprochenen
       Gesellschaften oft als koloniale Fremdbezeichnung abgelehnt wird. Meine
       Eltern sind 68er, ich besaß also ein schlaues Buch, in dem solche Dinge
       standen – und das Jahrzehnte, bevor die große Welle der Political
       Correctness kam.
       
       Trotz dieses schlauen Buchs habe ich mich als „Indianer“ verkleidet, und
       zwar noch in einem Alter, in dem sich Kinder heute gar nicht mehr
       verkleiden, weil sie bereits cool tun müssen. Und nach reichlicher
       Überlegung und Zurechtlegung stichfester Argumente für den Fall, dass sich
       Eltern im Kindergarten aufregen könnten, habe ich auch meinem Sohn erlaubt,
       als „Indianer“ zu gehen.
       
       Meine Argumente sind Folgende: Ich finde es gut, wenn Kinder früh lernen,
       dass es ziemlich viele verschiedene Menschen auf der Welt gibt, die nicht
       nur anders aussehen als die meisten in ihrem Umfeld, sondern sich auch
       anders verhalten. Alles, was wir den „Indianern“ möglicherweise nur
       zuschreiben, sind Werte, die ich meinen Kindern trotzdem gern vermittle,
       die Sache mit dem Respekt vor der Natur beispielsweise. Und schließlich:
       Wir wissen alle so genau, wie es für die indigene Bevölkerung Nordamerikas
       ausgegangen ist, dass es auch mein fünfjähriger Sohn schon instinktiv
       erfasst. Insofern gefällt mir sein Kostüm besser als die Superhelden-Kacke,
       auf die er letztes Jahr noch bestanden hat. Und außerdem: Es ist Karneval,
       Leute. Wer Klischees abschaffen wollte, der müsste den Karneval verbieten.
       
       Übrigens habe ich all diese Argumente dann heute Morgen gar nicht
       gebraucht. Einer der Väter, ein ziemlich lässiger Sozialarbeiter, der
       seinen Sohn als Astronauten gekleidet hatte, zuckte nur belustigt mit den
       Schultern, als ich mich leicht nervös zu entschuldigen versuchte. „Wenn das
       so weitergeht mit dieser Political Correctness“, meinte er, „dann wissen
       unsere Kinder eines Tages nicht mehr, wie sie sich überhaupt noch
       unterhalten sollen.“
       
       4 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Karneval
   DIR Kulturelle Aneignung
   DIR Karneval
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Fasching
   DIR Netta Barzilai
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Critical Whiteness
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verkleidungen zum Karneval: Indianerkostüme gegen Rassismus
       
       Kinder sollen sich verkleiden, wie sie wollen. Es geht dabei nicht um die
       Hautfarbe, sondern um Heldentum.
       
   DIR Über den Man-darf-nicht-mehr-Diskurs: Raus aus der Kollektivierung
       
       Viele aktuelle Gesellschaftsdebatten werden im „Man darf ja nicht
       mehr“-Modus verhandelt. Was macht das eigentlich mit den Sprechenden?
       
   DIR Kitaverband-Leiterin über Kinderfasching: „Im Verkleiden liegt Wertschätzung“
       
       Eine Kita in Hamburg hat Eltern aufgefordert, ihre Kinder zu Fasching nicht
       rassistisch zu verkleiden. Die folgende Empörung findet Franziska Larrá
       kontraproduktiv.
       
   DIR Kulturelle Aneignung beim ESC: Einmal Exotik zum Anziehen, bitte
       
       Kulturelle Aneignung ist eine rassistische Praxis. Warum ist es dennoch so
       schwer, kritische Haltungen zum Thema zu entwickeln?
       
   DIR Über Rassismus reden: Dreiste Umkehrung
       
       Linke Medien setzen Kritik an kultureller Aneignung mit neurechten
       Konzepten gleich. Die Frage nach Macht und Ausbeutung wird ignoriert.
       
   DIR Über Rassismus reden: Wer weiß ist, bestimme ich
       
       Der Protest gegen kulturelle Aneignung macht Menschen zu Opfern und
       beleidigten Exoten. Selten geht es um Rassismus, viel öfter um
       Respektlosigkeit.