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       # taz.de -- Risikoanalyse der EU-Grenzschutzagentur: Flüchtlingskrise ist nicht
       
       > „Was irreguläre Ankünfte betrifft, stehen wir keiner brennenden Krise
       > gegenüber.“ Es sind klare Worte, die Frontex-Direktor Fabrice wählt.
       
   IMG Bild: Mehr Menschen machen sich über die westliche Mittelmeerroute auf in Richtung Spanien
       
       Berlin taz | An den allseits verbreiteten Alarmismus in Sachen Grenzschutz
       und ungeregelte Migration hatte man sich in den letzten Jahren schon
       gewöhnt. Ungewöhnlich war die Botschaft, die die EU-Grenzschutzagentur
       Frontex bei der Vorstellung ihrer jährlichen „Risikoanalyse“ überbrachte:
       Sie gab gewissermaßen Entwarnung. Fast alle Indikatoren, mit denen Frontex
       das irreguläre Migrationsgeschehen misst, zeigten 2018 nach unten.
       
       Die Zahl der Menschen, bei denen unerlaubter Aufenthalt festgestellt wurde,
       sank von 435.000 in 2017 auf 361.000 im vergangenen Jahr. Die Zahl der
       registrierten unerlaubten Grenzübertritte ging im selben Zeitraum von
       204.000 auf 151.000 zurück. Das waren 27 Prozent weniger als im Vorjahr und
       im dritten Jahr in Folge ein Rückgang. „Was irreguläre Ankünfte betrifft,
       stehen wir gerade keiner brennenden Krise gegenüber“, sagte
       Frontex-Direktor Fabrice Leggeri bei der Vorstellung des Berichts in
       Brüssel.
       
       Das Geschehen unterschied sich indes regional sehr stark. Vor allem auf dem
       Weg über das zentrale Mittelmeer, aus Libyen und Tunesien nach Malta und
       Italien, gingen die Zahlen um etwa 80 Prozent auf rund 23.000 zurück. 2017
       waren noch fast 119.000 Menschen auf diesem Weg gekommen.
       
       Die meisten Menschen setzen laut Frontex nicht mehr von Libyen aus nach
       Europa über, sondern von Tunesien. Eine Reihe von Faktoren dürften hier
       eine Rolle gespielt haben: Die Schließung der italienischen Häfen für
       Flüchtlinge durch die im Frühsommer ins Amt gekommene Regierung aus Lega
       und der Fünf-Sterne-Bewegung und die Verfolgung und Behinderung der zivilen
       Seenotretter.
       
       ## Ein Teil der Menschen sucht andere Wege
       
       Vor allem aber hat sich auch die Praxis der libyschen Küstenwache bemerkbar
       gemacht. Diese war im August 2017 dazu übergegangen, Flüchtlinge auf Booten
       im Meer wieder einzufangen und in libysche Lager zurück zu bringen. Nach
       Zahlen der IOM betraf dies im Jahr 2018 insgesamt etwa 35.000 Menschen.
       Auch die Bemühungen der EU, im Wüstenstaat Niger die Transporte von
       Menschen durch die Sahara zu unterbinden, dürften zum Rückgang der Zahlen
       im zentralen Mittelmeer beigetragen haben.
       
       Ein Teil der Menschen suchte sich offenbar andere Wege, weiter im Westen.
       Auf der sogenannten westlichen Mittelmeerroute in Richtung Spanien ist die
       Zahl irregulärer Grenzübertritte zum zweiten Mal in Folge deutlich
       gestiegen. 2018 registrierte Frontex dort insgesamt 57.000 Menschen und
       damit ganze 160 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Angekommenen seien
       zuletzt marokkanischer Herkunft gewesen, sagte Leggeri.
       
       Auch über die östliche Mittelmeerroute in der Ägäis nahm die Zahl illegaler
       Grenzübertritte um ein Drittel auf 56.000 zu. Vor allem über den Landweg
       von der Türkei nach Griechenland kamen Leggeri zufolge mehr Menschen als im
       Vorjahr.
       
       Für ihn sind die sinkenden Zahlen jedoch kein Grund, dass seine Behörde
       nicht dringend weiter wachsen muss, im Gegenteil. Weil der „Druck auf die
       EU-Außengrenzen hoch“ bleibe, müsse „die Zeit genutzt werden, Frontex zu
       konsolidieren“ sagte er.
       
       ## Aufstockung bei Frontex?
       
       Die EU-Kommission hatte [1][bereits im September 2018] auf Drängen der
       Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer vorgeschlagen, Frontex bis
       2020 eine ständige Reserve von 10.000 eigenen Einsatzkräften zur Verfügung
       zu stellen – das wären rund 8500 mehr als heute. Zwar hat Frontex im
       letzten Jahr etwa 11.000 Grenzschützer in Missionen entsandt, bei den
       allermeisten handelte es sich jedoch um entliehene nationale Grenzbeamte.
       
       Die neuen EU-eigenen Einsatzkräfte sollen Frontex langsam zu einer
       tatsächlichen Grenzpolizei werden lassen – so wünscht es die Kommission.
       Viele EU-Staaten erhoben gegen den Zeitplan jedoch Bedenken. Das
       Europaparlament und die EU-Staaten müssen noch über die Aufstockung
       verhandeln.
       
       20 Feb 2019
       
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