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       # taz.de -- Bundestrainer vor seinem Rücktritt: „Skispringer sind Künstler“
       
       > Werner Schuster beendet nach dieser Saison seine Arbeit als Cheftrainer
       > der Skispringer. Vor seinen letzten Weltmeisterschaften spricht er über
       > seine Hoch und Tiefs.
       
   IMG Bild: Abwinken: Typische Handbewegung von Bundestrainer Werner Schuster bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi
       
       taz: Herr Schuster, mit welchen Zielen sind Sie zur WM nach Seefeld
       gereist? 
       
       Werner Schuster: Die Ziele sind seit Jahren die gleichen. Wir wollen um
       Medaillen springen, wir haben das Potenzial, um Medaillen zu springen. Am
       liebsten zwei – eine im Einzel und eine im Team. Wenngleich speziell im
       Einzel mindestens zehn Leute für eine Top-3-Platzierung infrage kommen. Im
       Team waren wir sehr kompakt, aber auch da liegt die Medaille nicht zum
       Abholen bereit.
       
       Die Saison lief ja nicht so rund. Nur [1][Karl Geiger] hat zweimal
       gewonnen. 
       
       Aber auch Markus Eisenbichler und Stephan Leyhe haben bewiesen, dass sie
       das Potenzial haben. Und schön, dass Richard Freitag noch rechtzeitig so
       einen großen Sprung geschafft hat. Das zeigt auch, was für ein toller
       Skispringer er ist.
       
       Kann Olympiasieger [2][Andreas Wellinger] den Anschluss an die Spitz wieder
       schaffen? 
       
       Seine Rolle bei der WM wird ungewohnt für ihn sein. Es fehlt ihm die
       Selbstverständlichkeit. Im Hintergrund laufen einige Aktivitäten, was
       Materialabstimmung und technische Feinformung betrifft. Da kann noch mal
       etwas kommen. Wenngleich die Voraussetzungen deutlich anders sind als die
       Jahre zuvor.
       
       Anders wird auch Ihr Leben. Sie hören nach dieser Saison als Bundestrainer
       auf. Kam in den Tagen nach der Entscheidung nicht Wehmut auf? 
       
       Nein, ich bin immer noch der Ansicht, dass es ein guter Zeitpunkt war. Ich
       kann eine intakte Mannschaft übergeben.
       
       Wie lange hat es gedauert, bis die Entscheidung feststand? 
       
       Angefangen hat es in Pyeongchang.
       
       So früh schon? 
       
       Als ich nach dem Olympiasieg von Andreas Wellinger die Schanze
       runtergelaufen bin, kam in mir zum ersten Mal der Gedanke auf: Puuhh,
       schaffst du noch die Zeit bis zu den nächsten Olympischen Spielen? Hast du
       noch die Kraft, die Schaffenskraft, die Innovation, die Energie?
       
       Zwischen den Spielen im Februar 2018 und Ihrer öffentlichen Entscheidung
       Ende Januar 2019 lagen elf Monate. 
       
       Ganz ehrlich – es fiel mir bis kurz davor schwer, es zu formulieren. Ich
       hatte zwar schon den Gedanken, dass es wahrscheinlich in diese Richtung
       gehen würde, aber es war noch nicht so weit, dass ich es formulieren
       konnte. Jetzt kann ich es formulieren, wenngleich es nicht leicht fällt.
       Aber ich fühle mich gut dabei.
       
       Sie haben schon vor Weihnachten ihren Rücktritt angedeutet, als Sie
       erzählten, dass Ihr zwölfjähriger Sohn Sie im Winter nur aus dem Fernsehen
       kennt. 
       
       Trotzdem, man glaubt es kaum, waren meine beiden Jungs gar nicht so
       begeistert. Kinder sehen das anders. „Wieso? Wieso?“, haben sie gefragt.
       
       Ihre Frau haben Sie sicherlich von Anfang an in Ihre Überlegungen mit
       einbezogen? 
       
       Klar habe ich das mit ihr besprochen. Ohne eine intakte Familie wäre das
       alles nicht gegangen. Ohne eine unglaublich starke Frau und, das reicht
       nicht mal, ohne die Hilfe der Eltern und Schwiegereltern hätte ich meine
       Aufgabe nicht so erfüllen können. Meine Kinder waren, als ich den Job des
       Bundestrainers angetreten habe, ein und drei Jahre alt.
       
       Dagegen stand eine interessante Aufgabe. 
       
       Dieser Job war und ist für mich ein Privileg. Und ich werde bis zum letzten
       Tag versuchen, ihn nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen.
       
       Sie sind der Mann mit der Fahne, Sie sind der Mann am Mikrofon. Sind Sie
       der Mann für alles? 
       
       Ich könnte mich als den totalen Supertrainer hinstellen. Aber das tue ich
       nicht, weil es nicht so ist. Man muss ehrlicherweise sagen, dass man als
       Cheftrainer, gerade in einem so großen Team wie dem deutschen, die
       Rahmenbedingungen, die Grundvoraussetzungen schafft. Ich habe zum Glück in
       Roar Ljökelsöy, Christian Winkler und Jens Deimel sehr gute
       Assistenztrainer an meiner Seite.
       
       Macht da jeder alles? 
       
       Wir versuchen uns im Team so gut wie möglich abzustimmen. Wir haben
       versucht, gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten und Ruhe reinzubringen. Wir
       versuchen denjenigen nicht hängen zu lassen, dem es nicht so gut geht. So
       wie wir zuletzt Andi Wellinger nicht hängen gelassen haben. Oder Richard
       Freitag. So wie wir auch versucht haben, [3][Severin Freund] nach seinen
       beiden Kreuzbandrissen nicht hängen zu lassen.
       
       Als Sie vor elf Jahren als Bundestrainer präsentiert wurden, waren Sie nur
       Fachleuten bekannt. Wie war der Anfang für Sie?
       
       Es gab ein paar ältere, namhafte und gute Sportler wie Martin Schmitt,
       Michael Neumeyer, Michael Uhrmann und Georg Späth. Aber dahinter klaffte
       eine Lücke von fast zehn Jahren. Severin Freund und Andreas Wank waren die
       Jungen.
       
       Können Sie sich noch an Ihre erste Aufgabe erinnern? 
       
       Zunächst war mir eine enge Vernetzung zwischen dem Weltcup-Team und der
       B-Mannschaft wichtig, damit dort auch auf einem hohen Niveau trainiert
       wird. Mir war wichtig, dass alle Trainer zusammenarbeiten. Ich habe eine
       einheitliche Linie im Athletiktraining eingeführt, sodass an allen
       Stützpunkten gleich trainiert und die Profilierungssucht an den einzelnen
       Stützpunkten beendet wird.
       
       Sie haben drei Spiele miterlebt. Mit welchen Gedanken erinnern Sie sich? 
       
       Die ersten Spiele in Vancouver waren nicht so leicht, ich war Rookie. Wir
       hatten mittelmäßige bis schlechte Voraussetzungen, haben aber mit einer
       relativ alten Truppe Silber geholt. Ob ich heute noch Bundestrainer wäre,
       wenn wir diese Medaille nicht geholt hätten – wer weiß?
       
       Sie blieben im Amt und fuhren 2014 nach Sotschi. 
       
       Wir hatten ein neues, junges Team, und die Chancen waren echt gut. Wir
       haben im Einzel Lehrgeld bezahlt, Severin Freund ist einmal gestürzt. Auf
       der großen Schanze war er dann auf Medaillenkurs und ist Vierter geworden.
       Für diesen Wettkampf waren wir nicht reif. Aber wir haben das Team-Gold
       geholt. Das war das zweite Schlüsselerlebnis. Wer weiß, ob ich ohne diese
       Medaille noch hier sitzen würde.
       
       Und weil aller guten Dinge drei sind … 
       
       … sind wir fantastisch vorbereitet mit einer tollen Mannschaft nach
       Pyoengchang gefahren. Andreas Wellinger gelingt es, Einzel-Gold zu holen –
       nach 24 Jahren. Wir haben in allen Wettbewerben eine Medaille gemacht. Das
       war eine außergewöhnliche Situation. Weil Olympia nicht nur ein Honiglecken
       ist, ist mir zum ersten Mal der Gedanke gekommen, dass Peking 2022 noch
       sehr weit weg ist.
       
       Einzig der Sieg bei der Vierschanzentournee ist ihnen immer verwehrt
       geblieben. 
       
       Ja, die Tournee habe ich jetzt nicht gewonnen als Trainer. Damit muss ich
       leben. Wer weiß, vielleicht gibt es noch einmal eine andere Möglichkeit mit
       einer anderen Mannschaft? Oder vielleicht fange ich in fünf Jahren beim DSV
       wieder als Trainer an? Wer weiß, was das Leben noch bietet?
       
       Sie sind also mit Ihrer Arbeit zufrieden? 
       
       Absolut. Ich habe vor elf Jahren mit Naivität, mit Leichtigkeit und mit
       Enthusiasmus angefangen. Ich hatte keinen Karriereplan. Ich habe mehr
       erreicht, als ich mir gedacht habe. Ich habe viele tolle Erlebnisse gehabt.
       Ich bin hier aufrecht reingegangen, und mein Ziel ist es, wieder aufrecht
       rauszugehen.
       
       Was hätten Sie noch gern erreicht? 
       
       Severin war schon die prägende Figur in meiner Trainer-Dekade. Er saß als
       einer von drei jungen Springern in meiner ersten Sitzung. Wir haben
       zusammen viel erlebt und viel erreicht. Es war ein großes Motiv, ihm zu
       helfen, dass er den Weg zurück schaffen kann. Wir haben’s probiert, er
       hat’s probiert. Es hat bis jetzt sportlich noch nicht gereicht. Menschlich
       fehlt er im Team sehr, sportlich haben sich die anderen mittlerweile
       emanzipiert. Ich wünsche ihm sportlich alles Gute, dass er noch einmal
       durchstartet, dass er bis zur WM 2021 springen kann. Und dass er noch
       einmal an alte Erfolge anknüpfen kann.
       
       Wie wichtig war Severin Freund für Sie? 
       
       Severin hat das Team in einer Phase gerettet, als die Alten immer schwächer
       wurden und die Jungen noch nicht stabil genug waren. Er hatte die
       Persönlichkeit, die Technik und auch die Möglichkeiten, vorne
       reinzuspringen. Severin war der Inbegriff der neuen Generation, der mit der
       neuen Philosophie ausgebildet worden war. Er ist hervorragend in die Rolle
       hineingewachsen. Diese Rolle als Führungsspringer in Deutschland musst du
       erst einmal ausfüllen. Ich habe mit ihm tolle Erlebnisse gehabt. Er steht
       eigentlich symbolhaft für die Ära. Vom Anfang bis zum Ende.
       
       Was ist das Geheimnis des Skispringens? 
       
       Skispringen ist eigentlich eine Kunst. Man sollte nicht zu viel arbeiten,
       aber man muss konsequent trainieren. Skispringer sind Künstler. Aber auch
       ein Künstler kann nicht einfach so ein Bild auf die Leinwand malen, er muss
       auch die Basics können.
       
       23 Feb 2019
       
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