URI: 
       # taz.de -- Studiengang Psychotherapie: Langer Weg zur eigenen Praxis
       
       > Die Ausbildungsreform zur Psychotherapie kommt. Eine junge
       > Psychotherapeutin erzählt von ihrem kostspieligen Werdegang.
       
   IMG Bild: Bisher nur mit Kredit oder reichen Eltern zu schaffen: die eigene Praxis
       
       An die erste Behandlungsstunde allein mit einer Patientin erinnert sich
       Stephanie Hild-Steimecke ganz genau. Sie war 29 Jahre alt und hatte schon
       einige hundert Stunden Ausbildung als Psychotherapeutin hinter sich, mit
       Selbsterfahrung in der Gruppe, Lehrtherapie, Arbeit in einer Klinik. Und
       dann saß die Frau, Mitte 50, vor ihr. Klein war sie, etwas mollig und sehr
       traurig.
       
       „Ich war supernervös“, erzählt Hild-Steimecke. Die Patientin hatte ganz
       plötzlich ihren Ehemann verloren und war darüber in eine Depression
       gestürzt. In ihrem Bürojob war sie krankgeschrieben.
       
       Hild-Steimecke fragte sie nach ihrem Befinden, nach den Geschehnissen der
       vergangenen Monate, nach ihrer Lebenssituation und Familie. „Die Anamnese
       war nicht viel anders als in der Klinik, daran konnte ich mich
       orientieren“, berichtet die Therapeutin, die in tiefenpsychologischer
       Behandlung ausgebildet ist. Während der ganzen ersten Behandlungsstunde
       hielt die Patientin ihre Handtasche auf dem Schoß fest umklammert. Aber sie
       wollte wiederkommen.
       
       ## Alle paar Stunden zur Supervision
       
       In den folgenden Einzelstunden sprach Hild-Steimecke mit ihr über den
       Trauerprozess, über ihre Ehe, über ihre Familiengeschichte, über ihre schon
       aus der Kindheit stammenden Probleme, sich von Menschen zu lösen und Dinge
       im Leben allein zu machen. Alle paar Stunden trug Hild-Steimecke den Fall
       ihrer Supervisorin vor. Nach 19 Behandlungsstunden erklärte die Patientin,
       es gehe ihr schon viel besser, sie benötige keine weiteren Stunden.
       
       „Man wird ins kalte Wasser geworfen in der Ausbildung“, sagt
       Hild-Steimecke, „dann muss man anfangen zu schwimmen.“ Die heute 33-jährige
       gebürtige Hessin, die inzwischen eine eigene Praxis im bayerischen Krumbach
       betreibt, hat einen Ausbildungsgang hinter sich, wie ihn fast alle
       Psychotherapeuten durchlaufen: lang und sehr teuer.
       
       Nach dem Studium der Psychologie an der Freien Universität Berlin folgte
       eine postgraduale therapeutische Ausbildung, die sie selbst bezahlen
       musste. Sie bestand aus einem stationären und einem ambulanten Teil.
       Hild-Steimecke hatte Glück: Sie bekam als frischgebackene
       Diplom-Psychologin eine reguläre Anstellung in einer psychiatrischen Klinik
       in Memmingen im Allgäu und konnte auf diese Weise ihre stationäre
       Ausbildung ableisten, ohne als billige Kraft im Status einer Praktikantin
       arbeiten zu müssen.
       
       Viele ihrer Kommilitonen absolvierten den stationären Teil jedoch als
       PsychotherapeutIn in Ausbildung (PiA) und wurden gar nicht oder nur mit ein
       paar hundert Euro im Monat bezahlt. „Es ist überfällig, dass sich daran
       etwas ändert“, sagt Hild-Steimecke, die auch Sprecherin der „Jungen
       Psychotherapeuten“ in der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV)
       ist.
       
       Sie begrüßt den [1][Gesetzentwurf zur Reform der
       Psychotherapeutenausbildung], der kürzlich verabschiedet wurde und für den
       Studienbeginn ab 2020 greifen soll. Danach soll ein neues, fünfjähriges
       Studium „Psychotherapie“ an den Unis eingeführt werden. Die Absolventen des
       neuen Studiengangs müssen nach dem Universitätsabschluss auch weiterhin
       eine mehrjährige Ausbildung an privaten Instituten absolvieren. Aber diese
       sogenannten Psychotherapeuten in Weiterbildung (PiW) sollen künftig an den
       Kliniken als reguläre Angestellte bezahlt werden, nicht mehr wie bisher nur
       gering oder gar nicht im Status von PraktikantInnen.
       
       ## „Lehrtherapie“ muss man selbst bezahlen
       
       Die berufsbegleitende vierjährige Ausbildung war teuer für Hild-Steimecke.
       Sie bezahlte 40.000 Euro dafür, schildert sie. Darin waren 18.000 Euro
       Lehrgangsgebühren für die private Akademie in Bad Grönebach enthalten,
       dreimal im Jahr jeweils zehntägiger Blockunterricht. Dazu kamen Kosten für
       die „Lehrtherapie“, denn jeder Ausbildungskandidat muss selbst auch als
       Patient eine privat bezahlte längere Therapie durchmachen, die Stunde
       kostet 85 Euro.
       
       Teuer sind auch die privat bezahlten Einzelstunden in der Supervision,
       neben der Gruppen-Supervision. Dann kommt noch stunden- oder tageweise
       Miete dazu, wenn man während der Ausbildung Räume für die ersten eigenen
       Therapiestunden anmieten muss. Die Fachliteratur schlägt mit einigen
       Tausend Euro zu Buche.
       
       Wer nur eine PiA-Stelle hat und während des Studiums schon Bafög-Schulden
       angehäuft hat, tut sich schwer mit der Finanzierung. „Nur die wenigsten
       haben ja wohlhabende Eltern, die die postgraduale Ausbildung bezahlen“,
       sagt Hild-Steimecke, „viele nehmen Kredite auf.“
       
       ## Zu Beginn nur Anamnese-Gespräche
       
       In der langjährigen Ausbildung nähern sich die künftigen
       PsychotherapeutInnen quasi Schritt für Schritt den PatientInnen. In den
       Praktika während des Studiums absolviere man die ersten Patientengespräche
       in Kliniken, erzählt Hild-Steimecke, „da macht man dann als Studentin
       beispielsweise psychologische Tests, Konzentrationstests“. Später dann, als
       frischgebackene Diplom-Psychologin, führte sie in der Klinik
       Aufnahmegespräche und füllte Anamnesebögen aus. „Das sind vorgefertigte
       Fragen, daran kann man sich als Berufseinsteiger auch ein bisschen
       festhalten“, erzählt sie.
       
       In der ambulanten Ausbildung lernte sie die therapeutische
       Gesprächsführung, „man deutet, man spiegelt“, berichtet Hild-Steimecke über
       ihren tiefenpsychologischen Ausbildungsgang. Und dann kommt die erste
       Behandlungsstunde mit der ersten EinzelpatientIn, die auch Hild-Steimecke
       als Ausbildungskandidatin absolvierte, wobei ein Großteil des Honorars an
       das Institut und die Supervision ging. „Die Erfahrung aus der Klinik hilft
       dabei, aber es ist trotzdem etwas Neues“, sagt die Psychotherapeutin.
       
       Nach Abschluss der Ausbildungsphase und Prüfung hielt sie endlich ihre
       Approbation in den Händen, die staatliche Behandlungserlaubnis, dass sie
       als anerkannte Psychotherapeutin arbeiten darf. Zehn Jahre mit Studium,
       Arbeit in der Klinik und ambulanter Ausbildung lagen da hinter ihr. Doch
       dann stand sie wie andere frisch gebackene TherapeutInnen vor einer
       weiteren, teuren Hürde: Sie brauchte einen Kassensitz, also eine Zulassung
       der Kassenärztlichen Vereinigung, PatientInnen auf Krankenkasse behandeln
       zu dürfen. Nur wer einen freiwerdenden Kassensitz übernimmt, darf
       gesetzlich Versicherte von AOK, Barmer und anderen Kassen quasi auf
       Krankenschein behandeln, für 89 Euro Honorar die Stunde.
       
       Da die bisher noch geltende und höchst umstrittene Bedarfsplanung in
       Deutschland kaum unterversorgte Gebiete ausweist, bekommt man einen
       Kassensitz aber nur, wenn einer frei wird. Doch für freiwerdende Sitze
       verlangen aus Altersgründen ausscheidende TherapeutInnen wiederum viel
       Geld, eine Art Ablöse. Manche PsychotherapeutInnen warten jahrelang auf
       einen freiwerdenden Kassensitz. „Wer bereit ist, aufs Land zu ziehen, hat
       mehr Chancen“, weiß Hild-Steimecke.
       
       ## Kassensitz kostet nochmal 40.000 Euro
       
       Wieder hatte sie Glück. Auf ein Inserat meldete sich die Witwe eines
       kürzlich verstorbenen Psychotherapeuten. Die Übernahme des Kassensitzes im
       bayerischen Krumbach vor fast zwei Jahren kostete Hild-Steimecke 40.000
       Euro. Wie viele TherapeutInnen in ähnlicher Lage nahm sie einen Kredit auf.
       „Die Banken finanzieren Kassensitzübernahmen, weil sie wissen, dass
       Psychotherapeuten das Geld zurückzahlen können“, erzählt sie.
       
       In Krumbach unterhält sie ihre Praxis in den Räumen eines ehemaligen
       Zahnarztes. Es gibt ein Wartezimmer, Empfangstresen, Behandlungsräume.
       Inzwischen ist Hild-Steimecke aber wieder in einer Umbruchphase. Wegen
       ihres Ehemannes zog sie ins hessische Birstein und sucht nun dort erneut
       einen Kassensitz. Derzeit pendelt sie nach Krumbach und behandelt in
       Birstein vor allem Privatpatienten. „Man muss mobil und flexibel sein“,
       sagt Hild-Steimecke.
       
       Eigenschaften, die die Psychotherapeutin bereits in der Ausbildung
       brauchte. Und die 40.000 Euro.
       
       16 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Studiengang-Psychotherapie/!5577174
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
   DIR Psychotherapie
   DIR Psychologie
   DIR Studium
   DIR Psychotherapie
   DIR Psychotherapie
   DIR Gesundheitspolitik
   DIR Psychoanalyse
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Studiengang Psychotherapie: Höherer Verdienst in der Ausbildung
       
       Gesundheitsminister Spahn (CDU) reformiert die Psychotherapieausbildung.
       Der Gesetzentwurf ist im Kabinett abgestimmt.
       
   DIR Psychologin über Online-Selbsthilfe: „Depression ist ein Massenthema“
       
       Jeder zweite Psychotherapie-Patient bekommt keine Behandlung. Nora Blum hat
       ein Online-Portal zur Selbsthilfe aufgebaut.
       
   DIR Vergabe von Psychotherapieplätzen: Krank genug?
       
       Jens Spahns Idee zur Vergabe von Therapieplätzen ist absurd. Die Suche nach
       PsychotherapeutInnen wird noch schwerer, als sie jetzt schon ist.
       
   DIR Angela Mauss-Hanke über Psychoanalyse: „Dumme Vorurteile über Freud“
       
       Die Psychoanalyse ist aus der Mode gekommen. An den Unis wird fast nur noch
       die Verhaltenstherapie gelehrt, beklagt Psychoanalytikerin Angela
       Mauss-Hanke.