URI: 
       # taz.de -- Missbrauch in Polens katholischer Kirche: In die richtige Richtung
       
       > Marek Lisinski, der selbst Opfer von Missbrauch wurde, kämpft für die
       > Anerkennung Betroffener. Seine Bilanz der Vatikan-Konferenz ist gemischt.
       
   IMG Bild: Marek Lisinski bei einem Treffen am Rande der Vatikan-Konferenz in der vergangenen Woche in Rom
       
       Warschau taz | „Was Papst Franziskus am Konferenzende gesagt hat, stimmt
       mich verhalten optimistisch. Wir müssen dem Vatikan eine Chance geben, das
       kanonische Recht zum Kindesmissbrauch restriktiver zu formulieren.
       Mittelfristig müssen wir darauf achten, dass die Nationalkirchen nicht
       klammheimlich ‚Rom ist weit!‘ rufen und das neue Recht einfach nicht
       anwenden“, sagt Marek Lisinski. Der 50-Jährige leitet die Stiftung
       „Fürchtet Euch nicht!, die in Polen für die Anerkennung der
       Missbrauchsopfer durch die Katholische Kirche eintritt.
       
       Dennoch hat Lisinksi, der an der viertägigen Konferenz im Vatikan über den
       künftigen Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch durch katholische
       Geistliche in der vergangenen Woche teilnahm, auch etwas auf der Habenseite
       zu verbuchen. „Dass Papst Franziskus sich über meine Hand beugen und sie
       sogar küssen würde, damit hatte ich im Leben nicht gerechnet“, bekennt er
       noch immer tief beeindruckt im Warschauer Radio TokFM.
       
       Zur Vatikan-Konferenz hatte seine Stiftung „Fürchtet Euch nicht“ einen
       Bericht über die Situation in Polen mitgebracht. „Weder der Primas noch
       einer der polnischen Bischöfe hatte sich für den Bericht interessiert. So
       ist nun der Papst der erste katholische Würdenträger, der ihn zu Gesicht
       bekommt.“
       
       In seiner Stimme schwingt Verbitterung mit, als er der taz erzählt: „Seit
       fünf Jahren versuchen wir Opfer mit der Bischofskonferenz in einen Dialog
       einzutreten, der zu einer förmlichen Entschuldigung der Kirche und einer
       Entschädigung für erlittenes Leid führen soll. Bislang vergeblich.“
       
       ## Respektierte Autorität
       
       Lisinski wuchs in einem kleinen Dorf, rund 120 Kilometer von Polens
       Hauptstadt Warschau, auf. Die katholische Kirche spielte in den 1970er und
       1980er Jahren des kommunistischen Polens eine wichtige Rolle. Der Priester
       war eine allgemein respektierte Autorität. Für die Dorfkinder war es eine
       Ehre, dem Priester als Messdiener zur Hand gehen zu dürfen.
       
       Der zwölfjährige Marek gehörte zu den Glücklichen. Er half nicht nur im
       Gottesdienst, sondern auch im Pfarrhaus, übernachtete dort sogar manchmal.
       „Wir haben zwar nicht in einem Bett geschlafen, aber es kam immer wieder zu
       sexuellen Übergriffen. Als ich es nicht mehr aushielt und meiner Mutter
       davon erzählte, glaubte sie mir nicht und schickte mich wieder zu ihm.“
       
       Denn Marek brachte von jedem seiner Besuche beim Priester ein Geschenk mit
       nach Hause, mal eine Tafel guter Schokolade, mal ein Kilo Zucker oder eine
       halbe Salami – alles Produkte, die es in der kommunistischen
       Mangelwirtschaft kaum zu kaufen gab. Doch die katholischen Priester
       verteilten Gaben aus amerikanischen und westeuropäischen Hilfspaketen.
       
       „Als ich 14 wurde, entschieden wir in der Familie, dass ich zu meinen
       Großeltern ziehen und dort die Mittelschule besuchen sollte. Doch die
       Großeltern glaubten mir auch nicht. Ich ging dann auf ein Internat.“ Ganz
       allein auf sich gestellt, ohne jede psychologische Hilfe, bekommt der junge
       Mann sein Leben nicht in den Griff. Er wird alkoholkrank, fliegt von der
       Schule, verliert immer wieder seine Arbeit. Sein Versuch, eine Familie zu
       gründen, endet mit einer Trennung von Frau und Kindern.
       
       ## Leben ruiniert
       
       „Ich floh vor tieferen Gefühlen, hatte Angst, wieder zurückgestoßen zu
       werden, so wie damals als sexuell missbrauchtes Kind.“ Es dauerte Jahre,
       bis er begriff, dass er es alleine nicht schaffen würde. „Erst in der
       Therapie begriff ich, was dieser Priester mir angetan hatte. Dass ich
       unfähig war, meiner Frau und meinen beiden Söhnen gegenüber Gefühle zu
       zeigen. Dass nur Alkohol half, für einen kurzem Moment aus dieser
       Gefühlskälte zu fliehen. Dass dieser Priester mein ganzes Leben ruiniert
       hatte.“
       
       Nachdem ihm klar geworden war, dass er selbst die Initiative ergreifen
       musste, um endlich ein lebenswertes Leben führen zu können, zeigte er den
       Priester an – erst in der Kurie, dann auch zivilrechtlich. „Strafrechtlich
       war nichts mehr zu machen“, so Lisinski im Büro seiner Stiftung in
       Warschau. „Kindesmissbrauch verjährt in Polen nach 15 Jahren. Das ist
       unfassbar! Ein solches Verbrechen sollte nicht verjähren!“
       
       Doch auch das Verfahren nach Kirchenrecht war eine einzige Enttäuschung.
       „Ich wurde ein Mal angehört. Die Kommission bestand aus einem Priester und
       einem Anwalt. Dann herrschte monatelang Schweigen. Ich bekam keine
       Akteneinsicht, hörte nur irgendwann, dass der Priester in ein Kloster
       versetzt worden war – für ein paar Jahre. Das war alles!“
       
       Seit 2013 kämpft er nun für ein offizielles Schuldeingeständnis der
       Bischöfe und Kardinäle, die dem Missbrauch jahrzehntelang weitgehend
       tatenlos zusahen, und für eine materielle Entschädigung aller Opfer. „Dass
       wir in der Generalaudienz dem Papst persönlich unseren Bericht über
       kirchliche Pädophilie in Polen aushändigen konnten, ist ein sehr großer
       Erfolg. Die über 400 Fälle, die wir dokumentieren konnten, sind nur die
       Spitze des Eisbergs.“
       
       Lisinski hofft, dass sich nun weitere Opfer bei der Stiftung melden werden
       und der Gesetzgeber endlich die Verjährungsfrist für sexuellen
       Kindesmissbrauch aufhebt. „Es wird vorangehen, langsam, langsam, aber in
       die richtige Richtung.“
       
       25 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
   DIR Polen
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Katholische Kirche
   DIR Vatikan
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Katholische Kirche
   DIR Odenwaldschule
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Katholische Kirche
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Katholische Priester
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Missbrauch in Polens katholischer Kirche: Unglaubwürdige Bischöfe
       
       Ein Bericht zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder durch Geistliche lässt
       Fragen offen. Weder gibt es präventive Maßnahmen noch härtere Strafen.
       
   DIR Kindesmissbrauch von Priestern in Polen: Dem Peiniger gegenübertreten
       
       Der Film „Versteckspiel“ von zwei Brüdern, die ein Priester als Kinder
       vergewaltigte, wird in Polen lebhaft diskutiert. Doch die Aufarbeitung
       fehlt.
       
   DIR Missbrauch in Polen: Der Täter in der Soutane
       
       Ein Film über Missbrauch in der Katholischen Kirche löst heftige Debatten
       aus. Der Regierungspartei PiS kommt das vor der Wahl sehr ungelegen.
       
   DIR Aufklärung von sexueller Gewalt: Die Kirche bewegt sich – ein bisschen
       
       Diese Woche trafen sich die katholischen Bischöfe, um über die Aufarbeitung
       sexueller Gewalt zu beraten. Die meisten Taten sind jedoch verjährt.
       
   DIR Debatte Missbrauch in der Kirche: Knietief im Schlamm
       
       Die katholische Kirche weiß nicht, wie sie mit den vielen Missbrauchsfällen
       fertig werden soll. Der Staat muss ihr helfen.
       
   DIR Sexueller Missbrauch an Odenwaldschule: Ein bitterer Kreislauf
       
       Zwei neue Studien beschäftigen sich mit dem Missbrauch an der
       Odenwaldschule. Vieles erinnert an die Verbrechen der katholischen Kirche.
       
   DIR Studie über Missbrauch in der Kirche: Das Wegschauen der Katholiken
       
       Missbrauch in der katholischen Kirche hat enorme Ausmaße, zeigt eine
       Studie. Das System ist anfällig für Übergriffe und deren Vertuschung.
       
   DIR Betroffener über Missbrauch in der Kirche: „Die Kirche muss zuhören lernen“
       
       Matthias Katsch, Gründer der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“,
       fordert: Schluss mit dem Zölibat und anderen überkommenen
       Sexualvorstellungen der Kirche.
       
   DIR Studie zur katholischen Kirche: Tausendfache sexuelle Übergriffe
       
       Eine Studie zu sexuellem Missbrauch wurde vorab bekannt: Die katholische
       Kirche hat Fälle über Jahrzehnte vertuscht. Opfer kommen noch immer nicht
       zu Wort.
       
   DIR Vorwurf an katholische Kirche: Missbrauch zu schlecht aufgearbeitet
       
       Im US-Bundesstaat Pennsylvania werden über 300 Priester des
       Kindesmissbrauchs bezichtigt. Das sind keine Einzelfälle. Der Vatikan
       spricht von „Scham“.
       
   DIR Kinderheime in Irland: Missbraucht im Namen des Herrn
       
       Tausende irische Kinder wurden in Heimen der katholischen Kirche
       missbraucht. Stiller Komplize war die Regierung, die das System früher
       finanzierte