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       # taz.de -- Europaministerin über den Brexit: „Wie soll diese Wunde je heilen“
       
       > Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé ist ernüchtert von einer
       > London-Reise zurückgekehrt. Einen Plan B haben die Briten offenbar nicht.
       
   IMG Bild: Machen sich Hoffnungen, dass der Brexit gestoppt wird: Pro-Europäer in London
       
       taz: Frau Honé, glauben Sie beim Brexit noch an ein Wunder? 
       
       Birgit Honé: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich bin nach London gefahren und
       habe erwartet, dass ich zumindest zwischen den Zeilen Antworten auf die
       Frage bekomme, ob es vielleicht, wenn auch nicht öffentlich, einen Plan B
       gibt.
       
       Und, gibt es? 
       
       Ich muss Ihnen sagen, ich bin bitter enttäuscht worden. Das, was wir in der
       Berichterstattung fast atemlos verfolgen, findet in der Tat genauso statt.
       Das hat sich in London gezeigt. Die eigentliche Dramatik ist aber, wie
       zerrissen das Land ist. Großbritannien erlebt seit Jahren eine
       Polarisierung – auf unverantwortliche Weise, populistisch und mit Fake News
       befeuert. Der Riss geht durch die gesamte Gesellschaft, sogar durch
       Familien. Ich weiß nicht, wie diese Wunde einmal heilen soll. Und dann
       erlebt man vor Ort eine Politik, die erst mal die Parteiinteressen vor
       Augen hat und dann erst die Interessen des Landes.
       
       Die Labour Party hat ein zweites Referendum ins Gespräch gebracht. Ist das
       eine realistische Option? 
       
       Man muss sich mal die Zeitschiene anschauen. So ein Vorschlag hätte
       vielleicht Sinn gemacht, wenn er vor Monaten gekommen wäre. Ein Referendum
       benötigt Vorbereitungszeit. Was der Labour-Chef jetzt macht, ist eher ein
       Versuch, auf den letzten Metern noch zu retten, was zu retten ist – in
       seiner Partei.
       
       Was ist ein realistisches Szenario? 
       
       Ich glaube, es gibt drei Alternativen: einen Deal mit einem geregelten
       Ausstieg, einen harten Brexit ohne Deal oder eine Fristverlängerung.
       
       Warum sollte die EU Großbritannien noch mehr Zeit geben, wenn die gar
       keinen Plan dafür haben? 
       
       Die EU-27 wollen sich nicht vorwerfen lassen, nicht alles versucht zu
       haben. Wozu aber der Aufschub dienen soll, fragt man sich in der Tat. Die
       Strategie von Premierministerin May, den Druck auf die Hardliner noch
       einmal zu erhöhen, ist bislang nicht aufgegangen. Und für diejenigen, die
       auf ein zweites Referendum hoffen, wird die Frist nicht ausreichen, denn
       sie ist durch die Europawahl begrenzt, die in Deutschland am 26. Mai
       stattfindet.
       
       Was würde ein harter Brexit für Niedersachsen bedeuten? 
       
       Für Niedersachsen war Großbritannien der zweitwichtigste Handelspartner.
       Die Unternehmen orientieren sich aber schon anders. Inzwischen hat sich
       Frankreich auf den zweiten Platz geschoben. Gerade unsere mittelständischen
       Unternehmen wären trotzdem von einem harten Brexit betroffen.
       
       Wären Arbeitsplätze in Gefahr? 
       
       Das können wir zurzeit nicht sagen, weil wir nicht wissen, wie die Folgen
       sein werden und wie weit die Unternehmen umgesteuert haben. Wir haben ihnen
       seit Monaten geraten, sich auf einen harten Brexit vorzubereiten.
       
       Will Niedersachsen Unternehmen finanziell helfen? 
       
       Unsere Fischer wären massiv durch einen harten Brexit betroffen. Sie
       dürften innerhalb der britischen 200-Seemeilen-Zone nicht mehr fischen. Die
       EU-Kommission hat erklärt, dass für diesen Fall Mittel aus dem
       Fischereifonds zur Verfügung gestellt würden. Dann wäre Niedersachsen auch
       an der Co-Finanzierung beteiligt. Für alle anderen Bereiche warten wir erst
       einmal ab, wie es weitergeht.
       
       Was bedeutet Ihnen Europa? 
       
       Für mich ist Europa eine ganz tolle Chance. Für junge Menschen, um sich
       weiterzubilden. Wirtschaftspolitisch können wir nur mit Europa in dieser
       globalisierten Welt bestehen. Es gibt für mich keine Alternative. Wir
       müssen diese Skepsis überwinden und zusehen, dass die Europa-Skeptiker
       keine Mehrheit im EU-Parlament bekommen.
       
       Waren Sie nach dem Referendum wütend? 
       
       Es gab zwei konkrete Momente in meinem Leben, wo ich abends ins Bett
       gegangen bin und mich am Morgen in einem Albtraum befunden habe: Die Wahl
       von Donald Trump zum US-Präsidenten und das Ergebnis des Referendums. Ich
       habe mir das nicht vorstellen mögen.
       
       Ist es falsch, Bürger*innen über Fragen wie die EU-Mitgliedschaft abstimmen
       zu lassen? 
       
       Ich glaube, dass die Komplexität von Politik dazu führt, dass man nicht
       einfache Ja-oder-Nein-Fragen stellen kann. Ich kann mir nicht vorstellen,
       dass diejenigen, die für den Brexit gestimmt haben, wussten, was da alles
       dran hängt. Solche Fragestellungen müssen von einem demokratisch
       legitimierten Parlament entschieden werden. Volksbefragungen können
       Tendenzen aufzeigen.
       
       Wie war bei Ihrem Besuch die Stimmung unter den in Großbritannien lebenden
       Niedersachsen? 
       
       Bei vielen herrschte hoher Frust. Sie fühlen sich wie Menschen zweiter
       Klasse. Sie leben seit Jahrzehnten dort und plötzlich gehören sie nicht
       mehr dazu.
       
       Geht es den Briten hier ähnlich? 
       
       Ich glaube schon. Bislang war es ja völlig unwichtig, welchen Pass man
       hatte. Durch die Brexit-Entscheidung hat sich für die Britinnen und Briten
       bei uns alles verändert. Jetzt müssen sie sich die Frage stellen, wie ist
       es eigentlich mit meinen Pensionszahlungen, der Krankenversicherung, der
       Arbeitserlaubnis? Wir haben eine Brexit-Hotline eingerichtet, um zu
       beraten.
       
       Nervt es Sie, dass Sie gerade nur als Brexit-Ministerin gesehen werden? 
       
       Nein, mich nervt der Brexit. Das hätte die britische Regierung ihren
       Bürgern nicht antun sollen und auch für die EU ist es schwierig, wenn sie
       ein so wichtiges Land verliert. Aber dass wir hier in Niedersachsen so gut
       auf den Brexit vorbereitet sind, liegt auch daran, dass es mit mir als
       Ministerin jemanden im Kabinett gibt, die darauf immer wieder hinweisen
       kann.
       
       Was machen Sie sonst so? 
       
       Meine Arbeit besteht darin, Europa, den Bund und die Region zu vernetzen.
       Ein Beispiel: Laut EU-Verordnung müssen Fischer ihren Beifang mit an Land
       bringen, damit die kleinen Fische auf die Fangquoten angerechnet werden.
       Aus Gründen der nachhaltigen Fischerei ist das nachvollziehbar. Für die
       Krabbenfischer an unserer Küste hätte das aber das Aus bedeutet, weil es
       die Arbeitsabläufe an Bord auf den Kopf gestellt hätte. Sie werfen ihren
       Beifang sofort lebend zurück ins Meer – mit einer Überlebensquote bis zu 80
       Prozent. Ich bin mit Krabbenfischern nach Brüssel gefahren, wir sind mit
       Kommissionsvertretern auf Krabbenfang gefahren und haben die Kommission
       überzeugt, dass eine Ausnahmegenehmigung sinnvoll ist.
       
       11 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Maestro
       
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