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       # taz.de -- Fotoausstellung „Gesichter der Arbeit“: Ungeschönte Einblicke
       
       > Bloß keine glorifizierenden Arbeiterporträts: Günter Krawutschke
       > fotografierte oft in Ostberliner Industriebetrieben.
       
   IMG Bild: Entspannte Skatrunde im Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ in Oberschöneweide, 1979 fotografiert
       
       Der Overall ist mit Kohlestaub überzogen, trotzdem zückt sie den Kamm, um
       sich zurecht zu machen, bevor [1][Günter Krawutschke] auf den Auslöser
       drückt. An der rußgeschwärzten Hand blitzt ihr Ehering, das breite Lachen
       gibt den Blick auf zwei vergoldete Zähne frei: Die Arbeiterin im VEB
       Elektrokohle Lichtenberg ist auf einer der Fotografien abgebildet, die
       derzeit in der Ausstellung „Gesichter der Arbeit“ im [2][Deutschen
       Technikmuseum] zu sehen sind.
       
       Von 1971 bis 1986 hielt Krawutschke, damals Pressefotograf für die Berliner
       Zeitung, das Arbeitsleben in Ostberliner Betrieben fest. Als Bildreporter
       für den Berliner Verlag hatte er oft exklusiven Zugang zu den
       Industriebetrieben, die in der DDR der Parteiführung der SED unterstanden.
       Aber auch politische Veranstaltungen, wie zum Beispiel das Treffen zwischen
       dem chilenischen Kommunistenführer Luis Corvalán und Erich Honecker im VEB
       Bergmann-Borsig 1977, konnte Krawutschke dokumentieren.
       
       Statt wie offiziell gewünscht glorifizierende Arbeiterporträts aufzunehmen,
       beobachtete Krawutschke seine Protagonisten ausgiebig. Oft so lange, bis
       sie nicht mehr starr posierten, den Fotografen vielleicht gar nicht mehr
       wahrnahmen. So entstanden Bilder in Pausen, auf denen Arbeiter gemeinsam
       Bier trinken oder Karten spielen – konzentrierte Blicke auf faltigen
       Gesichtern. Die Porträts erinnern an die unmittelbare Beobachtung in der
       Fotografie August Sanders, einer der einflussreichsten Porträtfotografen
       der 1920er Jahre.
       
       In vielen Bildern von Krawutschke sind Frauen in Führungsrollen zu sehen.
       Eines von 1970 zeigt eine Gruppe von fünf männlichen Bahnarbeitern,
       angeleitet von einer Frau – im Westen zu dieser Zeit kaum denkbar.
       Krawutschkes Fotografien sind dadurch nicht nur Kunstwerke, sondern auch
       wichtige historische Dokumente. 4.000 Negative erwarb das Technikmuseum
       2018 aus seinem Archiv. Auch heute noch fotografiert Krawutschke die Stadt,
       zuletzt arbeitete er an einem Projekt über die Linienstraße in Mitte.
       
       ## „Eine Lücke im Museum schließen“
       
       Ein Großteil der früheren Ostbetriebe musste um die Wendezeit schließen.
       Andere wurden privatisiert, da sie sich wirtschaftlich nicht halten
       konnten. Reste der ehemals Volkseigenen Betriebe (VEB) der DDR verteilen
       sich über den ganzen Osten Deutschlands, in Berlin dominierte die
       Elektroindustrie. In einigen Fällen weiß man nicht, wie viele Mitarbeiter
       die Betriebe hatten und wann genau sie schließen mussten. „Wir haben
       versucht, möglichst viel über die Großbetriebe zu recherchieren, bei
       manchen sind wir uns aber bis heute nicht sicher“, sagt Kurator Bernd Lüke
       der taz.
       
       Die Ausstellung ist bisher die einzige im Technikmuseum, die sich dezidiert
       mit einem DDR-Thema befasst – obwohl viele Exponate aus dem ehemaligen
       Osten stammen. „Wir möchten so auch eine Lücke im Museum schließen“, sagt
       Lüke.
       
       Eine Karte Ostberlins zeigt ehemalige Industriestandorte. Auf dem Gelände
       des VEB Elektrokohle Lichtenberg an der Herzbergstraße etwa steht heute das
       Dong Xuan Center, in dessen Hallen asiatische Großmärkte und kleine
       Geschäfte untergebracht sind. Und im ehemaligen Kabelwerk Oberspree in
       Oberschöneweide befindet sich mittlerweile die Hochschule für Technik und
       Wirtschaft (HTW).
       
       Ein Bild Krawutschkes zeigt die Fließbandproduktion von Radios im VEB
       Sternradio in Berlin. Die Radioausstellung im Technikmuseum stellt dazu
       passend ein original Radio „Sternchen“ aus, das bereits 1959 auf den Markt
       gebracht wurde. Das handliche Gerät war eins der ersten Transistorradios
       der DDR, die die holzverkleideten Kastenradios ablösten.
       Produktdesign-Studenten der Kunsthochschule Weißensee designten die Geräte,
       hergestellt wurden sie im VEB Sternradio Sonneberg in Thüringen, das mit
       dem Berliner Standort kooperierte. So entsteht ein spannender Einblick in
       die Ostberliner Industriegeschichte.
       
       17 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://guenterkrawutschke.de/
   DIR [2] https://www.google.com/search?q=deutsches+technikmuseum&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b-ab
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anima Müller
       
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