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       # taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Auf Mission mit Jesus und Rührei
       
       > Die Tochter unseres Autors geht voll auf in Jahreszeiten und Festen. Zu
       > Ostern heißt das Eierausblasen, an Weihnachten christliche Bekehrung.
       
   IMG Bild: Eier ausblasen – das macht Spaß? Nö
       
       Rührei. Ich hasse Rührei. Obwohl, nein, eigentlich liebe ich Rührei. Mit
       Bacon, Pancakes und Ahornsirup. Vielleicht auch noch Pommes. Kalorien für
       sieben Tage. Geil.
       
       Aber die Beziehung zwischen Rührei und mir ist momentan kompliziert. Es ist
       ungefähr so wie bei einem Partner oder einer Partnerin, bei der man den
       kleinen Tick, die kleine Besonderheit anfangs interessant und toll fand;
       aber nach ein paar Jahren drehen sich einem die Zehennägel auf links, wenn
       sich dieser kleine Tick, diese kleine Besonderheit nur andeutet.
       
       Warum die Liebe zwischen Rührei und mir erkaltet ist? Weil meine erste
       Tochter großer Osternfan ist. Das heißt: Hase, bisschen Jesus (der wird
       aber eher mit Advent und Weihnachten assoziiert) – und Eier. Jeden Tag
       werden bei uns zu Hause Eier ausgeblasen. Davon kommen einige in die Kita,
       damit alle was davon haben. Aber die ausgepustete gallertartige Masse
       bleibt daheim, und damit nichts verkommt, werden gerade jeden Tag
       Eierspeisen zubereitet. Und weil Tochter eins nicht nur Eierausblasen
       liebt, sondern auch Rührei, bin ich bis Ostern in der Rühreispirale
       gefangen.
       
       Doch Tochter eins liebt nicht nur Ostern. Nein, sie geht voll und ganz in
       allen Jahreszeiten und den mit ihr verbundenen Festen auf. Erst Fasching,
       dann Ostern, dann Sommerferien, dann Adventszeit, dann Weihnachten. Sie
       lebt von Großereignis zu Großereignis – und steigert sich da rein.
       
       ## Wutbürgerin auf christlicher Mission
       
       Anfang Dezember des vergangenen Jahres fuhren wir mit dem Fahrrad die
       Neuköllner Karl-Marx-Straße hoch. Ich vorne, sie hinten. Und sie brüllte
       pausenlos: „ES IST ADVENTSZEIT! DIE HEILIGE ZEIT! ES IST ADVENTSZEIT! DIE
       HEILIGE ZEIT!“
       
       Oh mein Gott! Wir haben einen missionierenden Jesusfreak herangezogen,
       dachte ich, während ich immer schneller fuhr, dann kann der, der gerade
       noch „ADVENTSZEIT!!“ ins Ohr gebrüllt bekommen hat, vielleicht das „HEILIGE
       ZEIT!!“ gar nicht mehr hören, schneller, immer schneller, und sie lauter,
       immer lauter: „ADVENTSZEIT! HEILIGE ZEIT!“
       
       Und dann: eine rote Ampel. Was mache ich jetzt? Drüberfahren? Darf ich doch
       nicht. Und mit Kind hintendrauf schon doppelt nicht. Aber anhalten?
       Vielleicht kennt uns hier jemand? „ADVENTSZEIT! DIE HEILIGE ZEIT!!!“,
       schallt es von hinten. Aaaah, was soll ich machen? Ich bremse. Natürlich.
       Sie nutzt diese Chance sofort. Natürlich. Sie brüllt die Radfahrer*innen,
       Fußgänger*innen und Autofahrer*innen noch lauter an: „ADVENTSZEIT!
       HEILIGE ZEIT!!!“ Die Wutbürgerin auf christlicher Mission.
       
       Ein Dutzend Passant*innen dürfte am selben Abend noch in die Kirche
       eingetreten sein. Aus Angst vor einer Vierjährigen mit rosa Helm auf dem
       Kopf und Eulenreflektor an der Jacke.
       
       Immerhin brüllt und wirft sie den anderen Verkehrsteilnehmer*innen momentan
       keine Ostererinnerungen oder -eier an den Kopf. Und auch kein Rührei. Das
       ist ja schon mal ein Fortschritt.
       
       24 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
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