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       # taz.de -- Die Wahrheit: Aufstand der Anständigen
       
       > Auch wertorientierte junge Leute wollen protestieren. In München geht
       > eine Jugendbewegung in Rüschen „für Disziplin“ auf die Straße.
       
   IMG Bild: In der Szene gilt Philipp „Sweetbabyjesus“ Amthor als besonders süßer Heiland
       
       Viele Jahre lang galt die deutsche Jugend als schläfrig, angepasst und
       brav. Besonders Altachtundsechziger klagten gerne nach dem vierten Rosé:
       Wir haben für unser Eigenheim immerhin noch unsere Ideale verraten, die
       Jugend von heute hat nicht einmal mehr welche!
       
       Doch der freitägliche Klimastreik, der zurzeit Schüler im ganzen Land auf
       die Straße treibt, beweist, dass in der kommenden Generation sehr wohl
       Feuer steckt. Da möchte auch der konservative Teil der Jugend nicht passen.
       Auch wertorientierte junge Menschen rufen immer lauter nach Gehör.
       
       Unter dem provokanten Namen „Aufstand für Disziplin“ hat sich inzwischen
       eine Jugendbewegung von rechts formiert. Wer die Initiatoren kennenlernen
       will, der wird nach München eingeladen. Die Graswurzelaktivisten residieren
       in einer Büroetage im Glockenbachviertel, das als Szenebezirk der Stadt
       bekannt ist, seit hier vor vierzehn Jahren an einer Hauswand für zwanzig
       Minuten das erste und bislang einzige Graffito Münchens zu sehen war.
       
       Herzlich wird der Besucher von den beiden Sprechern der Initiative begrüßt.
       Theresa (15) trägt eine neckische Rüschenbluse, Leopold (31) nur ein
       T-Shirt unter dem Jackett. Sofort wird klar: Hier ist konservativ
       keineswegs gleichbedeutend mit verstaubt und gestrig.
       
       ## Lieber Mann im trauten Heim
       
       „Ich habe schon immer den Funken des Aufruhrs in mir gespürt“, erzählt
       Leopold, nachdem er seine Kameradin zum Kaffeekochen geschickt hat. „Schon
       als Kind habe ich meinen Eltern immer wieder Kontra gegeben. Sie
       aufgefordert, mich früher ins Bett zu schicken zum Beispiel. Schließlich
       hängt der Lernerfolg ganz entschieden davon ab, dass man im wahrsten Sinne
       des Wortes ausgeschlafen ist. Einmal hat mir mein Vater bei einer
       Familienfeier einen Schluck Bier angeboten. Ich habe ihn regelrecht
       zusammengebrüllt! Ich war ja noch nicht einmal 21! Meine Mutter musste ich
       immer eher in ihrer Fürsorge bremsen. Ständig hat sie Töchter ihrer
       Freundinnen zu uns eingeladen, um mich zu verkuppeln. Dabei habe ich ihr
       mehrfach klipp und klar erklärt, warum ich mich bis zur Ehe aufheben
       möchte.“
       
       „Das Schlimmste, was uns Jugendlichen angetan wird, ist doch, dass man uns
       keine Grenzen mehr setzt“, sagt Theresa, die inzwischen mit selbst
       gebackenem Pflaumenkuchen aus der Küche zurückgekehrt ist. „Mich
       interessiert vor allem die Familienpolitik. Jungen Frauen wird heute
       überall eingeredet, sie müssten unbedingt Abitur machen und später arbeiten
       gehen. Dabei träumen viele Mädel ganz wie ich bloß davon, einem lieben Mann
       ein sauberes und trautes Heim zu schaffen.“ Leopold nickt zu den Worten
       seiner Gefährtin: „Und ihr Mädels braucht keine linksgrünen Schlaumeier,
       die euch sagen, was ihr zu denken habt, nicht wahr, Kleine?“ – „Ganz genau,
       Leopold, du sagst es.“
       
       ## Von Kubitschek gemolken
       
       Nun wendet sich das Gespräch ins Grundsätzliche. „Wir möchten erreichen,
       dass die Kids sich sagen: Es ist einfach cool, sich für das Vaterland
       einzusetzen!“, erklärt Leopold. „Patriotismus, der unseren Wohlstand
       sichert – das ist doch eine echt fette Devise! Der Sieg im globalen
       Wettbewerb kommt jedenfalls nicht von allein. Wir brauchen Ordnung, Fleiß,
       Gehorsam – die berühmten Primärtugenden eben, für die Deutschland früher
       immer stand. Deswegen haben wir als erste Aktion die Schüler in Deutschland
       dazu aufgerufen, für die Wiedereinführung des Samstagsunterrichts zu
       demonstrieren. Letzte Woche habe ich mich mit Theresa das ganze Wochenende
       demonstrativ vor die Eingangstür ihrer Schule gesetzt und Algebra mit ihr
       geübt!“
       
       „Aber denken Sie bitte nicht, wir wären Spießer!“, bricht es aus Theresa
       heraus. „Wir haben auch verrückte Ideen und Träume! Letztens träumte ich
       zum Beispiel mal, ich wäre plötzlich verwandelt in eine Ziege und würde von
       Götz Kubitschek gemolken.“ – „Ja, und ich war schon mal bei einem Konzert
       der Rolling Stones! Das hat wirklich derbe gerockt, vorm letzten Lied habe
       ich sogar mal die Ohrstöpsel rausgenommen.“
       
       ## Amthor in Jerusalem
       
       Kurz sprachlos sind die beiden, wenn man sie auf das große Porträtfoto des
       CDU-Shootingstars Philipp Amthor anspricht, das die Wand ihres Quartiers
       schmückt. Theresas Gesicht färbt sich feuerrot und auch Leopolds Augen
       fangen an zu glänzen. „Der Philipp ist einfach ein riesengroßes Vorbild für
       uns“, bekennt der junge Mann schließlich.
       
       „Halten Sie mich für irre, aber ich glaube, der wird uns mal als Kanzler
       aus diesem ganzen Chaos führen. Letztens habe ich gelesen, schon ein
       Viertel der jungen Deutschen wünscht sich einen starken Führer, der
       unangefochten durchregiert. Ich denke, der Trend wird noch mehr in diese
       Richtung gehen. Und da setzen wir definitiv aufs richtige Pferd.“ – „Sagen
       wir lieber: auf den richtigen Esel!“, ruft Theresa begeistert. „Wir sind
       schließlich entschiedene Christen. Und unser Retter soll einziehen wie
       Jesus in Jerusalem!“
       
       22 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bittner
       
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