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       # taz.de -- Regionalwahlen in den Niederlanden: Sieg für Rechtsaußen-Neulinge
       
       > Machtwechsel im rechten Lager: Thierry Baudet stößt Geert Wilders vom
       > Thron. Sein rechtes „Forum“ profitiert vom Terror in Utrecht.
       
   IMG Bild: Die Niederlande seien das „kulturell reichste Land der Welt“, findet der 36-jährige Thierry Baudet
       
       Der getrimmte Vollbart ist ab, die Provokation ist geblieben: In den
       Niederlanden sorgte ein Politiker-Beau für die erwartete Furore. Bei den im
       ganzen Land stattfindenden Regionalwahlen siegte der 36-jährige Thierry
       Baudet mit seiner erst vor knapp drei Jahren gegründeten Partei „Forum voor
       Democratie“ (FvD).
       
       Das FvD macht in Holland vehement Stimmung gegen Migrant*innen, leugnet den
       Klimawandel und befürwortete in der Vergangenheit einen Austritt der rund
       17,3 Millionen Einwohner*innen aus der EU, den „[1][Nexit]“. Rund 16
       Prozent der Wähler*innen stimmten am Mittwoch für Baudet – in den
       parteipolitisch stark fragmentierten Niederlanden reicht das, um sich an
       die Spitze zu setzen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 60 Prozent.
       
       Der pseudo-intellektuell wirkende Baudet tritt zurückhaltender auf als der
       oft krachledern wirkende [2][Geert Wilders] von der „Freiheitspartei“
       (PVV). An seiner Rechtsaußen-Gesinnung ist jedoch nicht zu zweifeln.
       Wilders wiederum hat jetzt bei den Regionalwahlen herbe Verlust eingesteckt
       – mehr als 30 Prozent seiner Stammwähler*innen sind zu Baudet übergelaufen.
       Das FvD hat nach eigenen Angaben in gut zwei Jahren rund 30.000 Mitglieder
       geworben; Wilders dagegen organisiert seine Partei nicht demokratisch und
       erlaubt keine Mitgliedschaft.
       
       Politologen zufolge hat Baudet von aktuellen Fragen wie der [3][Bluttat in
       Utrecht] am Montag profitiert. Während alle anderen Parteien den Wahlkampf
       aus Pietät unterbrachen, machte Baudet einfach weiter – und die Koalition
       unter Mark Rutte für die Tat mitverantwortlich.
       
       Baudet, promovierter Jurist und ehemaliger Montessori-Schüler mit
       französich-indonesischen Wurzeln, ist seit 2017 zusammen mit seinem
       75-jährigen Parteikollegen Theo Hiddema Mitglied der zweiten
       Parlamentskammer. Die ist vergleichbar mit dem deutschen Bundestag.
       
       Mit der Wahl stimmten die Holländer*innen in den Regionalwahlen indirekt
       über die Besetzung der, dem Bundesrat ähnlichen, ersten Kammer ab. Dort hat
       Ministerpräsident Mark Rutte von der rechtsliberalen Partei VVD nun die
       Mehrheit einer auch im Parlament wackeligen Vierparteienkoalition verloren.
       Die Wahl galt als Test für die politische Stimmung in den Niederlanden.
       
       13 Sitze bekommt das FvD jetzt in der 75 Menschen zählenden zweiten Kammer.
       Rutte und seine Partei, die nur noch 12 Sitze einfuhr, werden auf den
       weiteren Wahlsieger vom Mittwoch, die Grünen unter Jesse Klaver, zugehen
       müssen. GroenLinks erhielt 9 Sitze und hat sich damit mehr als verdoppelt.
       Niederländische Kommentator*innen prognostizieren, dass sich die
       rechtsliberale Partei VVD noch stärker in die politische Mitte bewegen
       wird.
       
       Bis nach Mitternacht ließ sich Wahlsieger Thierry Baudet genüsslich Zeit,
       um nahe der Stadt Utrecht in einem Hotel vor seine johlende Anhängerschaft
       und dutzende Fernsehkameras zu treten. Baudets Wähler*innen kommen aus
       allen sozialen Schichten, auch Vermögende und Gutausgebildete sind dabei.
       
       Zuvor hatten ihm bereits fast alle anderen Parteien zum Sieg gratuliert –
       in den Niederlanden ist es verbreitet demokratische Sitte, auch politisch
       unliebsamen Gegner*innen möglichst höflich zu begegnen. Nur aus den Reihen
       der Grünen kamen Stimmen, Baudet und das FvD sollten nun endlich die Katze
       aus dem Sack lassen. Ohne erkennbares Parteiprogramm nur Anti-Stimmung zu
       machen, reiche nicht, sagte die Fraktionsvorsitzende von GroenLinks, Tineke
       Strik, am Wahlabend.
       
       Baudet holte dann in seiner leicht snobistisch vorgetragenen, zum Teil vom
       Blatt abgelesenen und langatmigen Dankesrede wie gewohnt zum Generalangriff
       gegen den „traurigen gegenwärtigen Zustand der Niederlande“ aus. Dieses Mal
       nicht auf Latein – wie noch in seiner Antrittsrede im Den Haager Parlament
       2017. Das „kulturell reichste Land der Welt“, so Baudet Donnerstagfrüh,
       habe keine Helden mehr, lebe in einem spirituellen Vakuum, und kapituliere
       umgeben von „Klima-Hexerei“ vor einer dreisten, allmächtigen Europäischen
       Union, dem „Kartell“.
       
       ## Schlecht fürs Klima
       
       Die Niederlande, so Baudet, mit einschläfernd unbeweglicher Miene und
       süffisant sich verziehendem Mund, seien „linksindoktriniert und von
       häßlicher Architektur umgeben“. Doch dank seiner Partei, dem Forum für
       Demokratie, sei „die gesammelte Stupidität ab heute abgeschafft. Wir machen
       wieder ein einig Land.“
       
       Wer dabei voraussichtlich auf der Strecke bleiben wird, wenn der übersmarte
       Parteichef des FvD seine Ambitionen auf eine Ministerpräsidentschaft bei
       den für 2021 geplanten Parlamentswahlen verwirklichen sollte, ist klar:
       Sozial schwache Menschen und Migrant*innen. Das Klima in den Niederlanden –
       es wird, soviel steht derzeit fest, nicht besser.
       
       21 Mar 2019
       
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       ## AUTOREN
       
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