URI: 
       # taz.de -- Verurteilter Blogger Hardy Prothmann: Noch lange nicht am Boden
       
       > Hardy Prothmann wurde mit seinem „Rheinneckarblog“ zum Vorbild für
       > modernen Lokaljournalismus. Dann erfand er einen Terroranschlag.
       
   IMG Bild: „Jetzt mache ich mal einmal einen Fehler, und alle hauen drauf“, sagt Hardy Prothmann
       
       Seine Idee ist gescheitert, aber er hört trotzdem nicht auf, für sie zu
       kämpfen. „Schluss ist, dann, wenn der Freispruch da ist“, sagt [1][Hardy
       Prothmann], 52 Jahre alt, stämmige Figur, misstrauischer Blick, tiefe
       Augenringe. „Juristisch bin ich auf der richtigen Seite.“ Er sieht müde
       aus.
       
       Prothmann hat sich selbst mal die „Zukunft des Lokaljournalismus“ genannt,
       er wurde 2009 für seine Pionierarbeit mit sogenannten hyperlokalen Blogs
       mit einem Medienpreis ausgezeichnet, auf Podien eingeladen und zigfach
       interviewt. Er galt damals als sperriger, unbequemer Typ. Als einer, der
       dem oft als bieder und angepasst gescholtenen Lokaljournalismus wieder die
       kritische Haltung einbläute. Heute ist er in den Texten mancher Kollegen
       bloß noch der „[2][Fake-News-Blogger aus Mannheim]“.
       
       Der Hintergrund: Im Januar dieses Jahres verurteilte ihn das Amtsgericht
       Mannheim wegen der Störung des öffentlichen Friedens zu 12.000 Euro Strafe
       (Update: Das Landgericht Mannheim hat die Strafe inzwischen auf 4.800 Euro
       herabgesetzt). Zuvor, im März 2018, hatte er auf seinem Rheinneckarblog
       [3][einen fiktiven Text über einen blutigen Terroranschlag] in der Stadt
       veröffentlicht. Von 136 Toten war die Rede. Die Auflösung kam erst hinter
       einer Paywall: Eine Debatte über mangelnde Medienkompetenz und die
       Bedrohungslage durch Terrorismus habe man erzeugen wollen, heißt es da.
       
       Die Debatte kommt – nur anders, als Prothmann beabsichtigt hatte.
       Kommentatoren werfen ihm rechte Meinungsmache vor, andere bezeichnen ihn
       als Fall für die Psychiatrie. Anonyme Anrufer blöken ihm Beleidigungen und
       Morddrohungen in den Hörer. Der Presserat spricht eine Rüge aus, der
       Deutsche Journalisten-Verband urteilt: „Er hat dem Journalismus einen
       Bärendienst erwiesen.“
       
       Hat es Prothmann dieses Mal zu weit getrieben? „Aus der Ecke kommt er nicht
       mehr raus“, sagen manche aus der Branche. „Das war’s für ihn.“
       
       ## Ätzen gegen Kritiker
       
       Aber Prothmann mag zwar in der Ecke stehen – am Boden ist er noch lange
       nicht. Er hat Berufung eingelegt. Schreibt wie am Fließband Abmahnungen an
       die Prozessberichterstatter. Geht weiter in den Gemeinderat, ätzt gegen
       seine Kritiker und kommentiert lokale Aufregerthemen. Er ähnelt dabei einem
       Boxer, der in Bedrängnis wild um sich schlägt, statt sich in die
       Doppeldeckung zurückzuziehen, um Luft zu holen.
       
       Dem ehemaligen Türsteher würde dieser Vergleich wahrscheinlich gefallen.
       „Wer sich mit mir anlegt, bekommt auf die Fresse“, zitiert ihn ein früherer
       Text. Heute fällt so ein Satz nicht mehr, er hat ja dazugelernt.
       Mittlerweile sagt er eher Dinge wie: „Ich lehne Gewalt ab. Aber trotzdem
       war ich in meinem Leben in ziemlich viele Kämpfe verwickelt. Habe aber nie
       was abbekommen.“
       
       Man muss solche Sätze nachhallen lassen, um etwas über Prothmanns
       Selbstbild zu erfahren: ein Mann mit hehren Zielen, der stets zum Opfer der
       Dummheit anderer wird, am Ende aber trotzdem immer Gewinner bleibt. Wo
       nimmt so einer bloß die Ausdauer und Überzeugung her? Manche würden es
       Selbstüberschätzung nennen.
       
       Als er 2011 seine diversen lokalen Portale im Rheinneckarblog mit Redaktion
       in Mannheim bündelt, macht er jedenfalls anfangs ziemlich viel richtig. „Es
       gab eine Phase, da war der Rheinneckarblog auf den Fluren des Rathauses
       relevanter als der Mannheimer Morgen“, sagt ein Gemeinderatsmitglied. Ein
       anderer Kommunalpolitiker sagt: „Während die Lokalzeitung zu jeder
       Angelegenheit drei Wer-wie-was-Fragen schickte und sich damit zufriedengab,
       hat Prothmann oft lange Fragenkataloge geschickt und immer wieder
       nachgehakt.“
       
       ## Furchtloser Einzelkämpfer
       
       In seinen besten Zeiten steckt Prothmann die Finger in die richtigen Wunden
       einer kränkelnden Branche. „Journalismus ist manchmal auch Provokation“,
       sagt er.
       
       Aber die Rolle des furchtlosen Einzelkämpfers gegen den
       „Bratwurstjournalismus“ verführt ihn offenbar dazu, den Bogen zu
       überspannen. Prothmann kann dann in seinen Texten sehr persönlich und
       hämisch werden, für Zwischentöne bleibt oft kein Platz. Einer Redakteurin
       des Mannheimer Morgen wirft er einmal „journalistische Prostitution“ vor –
       es folgt eine Anzeige wegen Diffamierung. Immer wieder bleiben Menschen
       zurück, die sich von ihm öffentlich in den Schmutz gezogen fühlen. In der
       taz möchte keiner von ihnen zitiert werden. „Das gebe ich mir nicht noch
       mal“, heißt es dann.
       
       Sein Ohne-Rücksicht-auf-Verluste-Journalismus verwickelte ihn seit 2010
       nach eigenen Angaben in 47 juristische Verfahren – das laufende nicht
       eingerechnet. „In den zuvor fast zwanzig Jahren als freier Journalist für
       große deutsche Medienhäuser hatte ich kein einziges Verfahren am Hals“,
       sagt er.
       
       Tatsächlich verliert er aber auch mit seinen Blogs nur einmal, oft wiegen
       Presse- oder Meinungsfreiheit schwerer. Prothmann scheint das als Beweis
       dafür zu sehen, dass er mit seiner Arbeit auf der richtigen Fährte ist und
       inszeniert sich als eine Art Schimanski des Journalismus: kernig,
       unbestechlich, knallhart. Er sagt: „Ich habe nichts gegen Lokalzeitungen,
       das treibt mich nicht an. Ich mache mir einfach Sorgen um den
       Journalismus.“
       
       Viele seiner ehemaligen Wegbegleiter machen sich aber zunehmend auch Sorgen
       um ihn. Seine Motivation sei schon authentisch, sagen sie, aber er habe
       sich irgendwann einfach komplett verrannt. Der rastlose Zwang immer liefern
       zu müssen, die täglichen Nachtschichten, der finanzielle Druck, die
       ständigen Prozesse. „Das macht ja keiner jahrelang mit, ohne zu
       verschleißen“, sagt ein Freund.
       
       „Mir fehlt ein Korrektiv“, sagt Prothmann dazu selbst überraschend
       selbstkritisch. „Vielleicht wäre dann auch der Terrortext so gar nicht
       erschienen.“ Den Hintergrundgedanken hält er aber nach wie vor für richtig,
       da legt er Wert drauf. „Aber jetzt mache ich mal einmal einen Fehler, und
       alle hauen drauf.“
       
       ## Ein Text ist ein Text ist ein Text
       
       Dieser Fehler wird nun die Gerichte weiter beschäftigen. Prothmann will bis
       zur höchsten Instanz gehen, wenn nötig. Er kann sich wortreich über die
       Hinweise auf einen Fake auslassen, die er in seinem Terrortext verteilt
       hatte: „Einsatz der Bundeswehr im Innern“, solche Dinge.
       
       Er weist darauf hin, dass er nur wenige Minuten nach der nächtlichen
       Veröffentlichung selbst die Polizei informiert hat, dass die Paywall ja nur
       aus einem kostenlosen Probeabo bestand und er noch am selben Morgen ein
       Erklärstück online gestellt habe. Zudem sei die öffentliche Aufregung ja
       erst viel später am Mittag entstanden. Ein als Zeuge geladener
       Verfassungsschützer spricht vor dem Amtsgericht von etwa „fünf bis zehn
       nächtlichen Anrufern bei der Polizei“.
       
       Prothmanns eigentliche These ist aber: Ein Text ist ein Text ist ein Text.
       Man könne ihn doch bei seiner Bewertung nicht einfach in zwei Teile
       schneiden – nur wegen einer Paywall. „Es gibt dazu Urteile des
       Bundesverfassungsgerichts“, diktiert er den Journalisten nach dem Prozess
       in die Blöcke. „Stichwort: Kontext. Recherchieren Sie.“
       
       Ihn fuchst es, dass kaum einer der Berichterstatter seine Intention
       zumindest zu verstehen versucht. Er fühlt sich missverstanden – wieder
       einmal.
       
       ## Prothmann sieht sich als Opfer der „Systemmedien“
       
       Dahinter steckt wohl die alte Geschichte von dem Glashaus und den Steinen.
       Prothmann, kritisieren viele, reibe sich zu oft bloß noch in sinnlosen
       Scharmützeln mit anderen Medien auf und vernachlässige dabei sein eigenes
       Kerngeschäft. Seine Fehlersuche bei Kollegen ist von einer Pedanterie, der
       seine eigenen Texte auch nicht immer standhalten können.
       
       Wenn man ihm die konkreten Stellen vorlegt, an denen seine Texte Schwächen
       aufweisen, reagiert er erstaunlich zurückhaltend. „Ich habe ja auch nicht
       die Weisheit mit Löffeln gefressen.“ Und wenn man ihn fragt, ob er es mit
       all den Abmahnungen gerade nicht etwas übertreibt, antwortet er: „Ich
       vermisse jetzt gerade etwas die Empathie bei Ihnen.“
       
       Denn Prothmann, der früher immer wieder gegen die „Lügenpresse“-Rufer
       anschrieb und Gründungsmitglied im Netzwerk Recherche ist, sieht sich
       mittlerweile als Opfer der „Systemmedien“, die einen kritischen
       Journalisten „wegmachen“ und „hängen“ möchten.
       
       Mit solchen Positionen hat er einige prominente Mitstreiter. Der ehemalige
       Spiegel-Ressortleiter [4][Matthias Matussek], Ex-Handelsblatt-Chef
       [5][Roland Tichy] oder der bereits verstorbene [6][Udo Ulfkotte], der
       früher bei der FAZ arbeitete – sie alle eint der Glaube an eine
       Mainstreampresse, die Abweichler angeblich mundtot machen möchte.
       
       Und was hält er von denen? Hardy Prothmann bläst verächtlich den Rauch
       seiner Zigarette in die Luft und fährt sich durchs Haar. „Das sind für mich
       einfach böse, alte Männer. Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun.“
       Und dann lächelt er und sagt: „Ich hoffe wirklich, dass ich nie so werde.
       Und wenn, dann hoffe ich, dass es jemanden gibt, der es mir rechtzeitig
       sagt.“
       
       24 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fake-News-ueber-Terror/!5493809
   DIR [2] https://www.sueddeutsche.de/medien/journalismus-fake-news-rheinneckarblog-1.4277650
   DIR [3] /Fake-News-ueber-Terror/!5493809
   DIR [4] /Kolumne-Flimmern-und-Rauschen/!5576629
   DIR [5] /Rechtes-Politmagazin-Tichys-Einblick/!5347431
   DIR [6] /Nachruf-auf-Udo-Ulfkotte/!5371711
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Graf
       
       ## TAGS
       
   DIR Blog
   DIR Fake News
   DIR Lokaljournalismus
   DIR Hardy Prothmann
   DIR Gerichtsurteil
   DIR Medienpolitik
   DIR Lokaljournalismus
   DIR Lokaljournalismus
   DIR Norwegen
   DIR Fake News
   DIR Willkommenskultur
   DIR Blog
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Medienkritikerin Samira El Ouassil: Stimme der reinen Vernunft
       
       Mit scharfer Analytik kritisiert Samira El Ouassil den Journalismus. Und
       wie reagiert die Branche? Die liebt sie trotzdem noch.
       
   DIR TV-Talkshows am Pranger: Lustlose Dienstleister des Nichts
       
       Zynisch und demokratieschädigend: Ein angehender Demokratiewissenschaftler
       seziert in einem Essay aktuelle politische Talkshows.
       
   DIR Lokaljournalismus in der Krise: Großer Bogen um die Provinz
       
       Lokalen Medien auf dem Land fehlt der Nachwuchs. Wenig Geld, fehlende
       Work-Life-Balance und scheinbare Perspektivlosigkeit schrecken ab.
       
   DIR Branchenkonferenz des Lokalrundfunk: Internet kills the Radio Star
       
       In Nürnberg diskutieren Radio- und Fernsehmacher über ihre Zukunft. Für die
       braucht es offenbar vor allem: Value, USP und mächtig Personality.
       
   DIR Ungewöhnliche Werbemaßnahme: Fake News auf Staatskosten
       
       Die staatliche PR-Agentur in Norwegen behauptet, eine Insel wolle die Zeit
       abschaffen. Viele Medien vermelden das – und fallen auf eine Ente herein.
       
   DIR Fake News über Terror: Nur für den Klick, für den Augenblick
       
       Einen Anschlag hat der „Rheinneckarblog“ erst gemeldet, dann dementiert. Er
       habe eine Debatte starten wollen. Das ist ihm gelungen – aber anders als
       gedacht.
       
   DIR Kolumne Eben: Seid endlich dankbar!
       
       Der „Rheinneckarblog“ hat einem syrischen Praktikanten alles gegeben – und
       was macht der böse Junge? Nichts als Ärger.
       
   DIR Hyperlokale Blogs: Das Ende des Hypes
       
       Die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ kämpfen ums Überleben – wie viele
       hyperlokale Blogs. Hat der Onlinejournalismus der Nachbarschaft eine
       Zukunft?