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       # taz.de -- Strategie der Tabakindustrie: Rauchen ist jetzt wieder cool
       
       > E-Zigaretten sind die gesündere Alternative zum Rauchen, beteuern die
       > Hersteller. Aber machen sie Kinder und Jugendliche nikotinsüchtig?
       
   IMG Bild: Bereits zehn Prozent der amerikanischen Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren rauchen Juul
       
       Aus Zacharys Kindermund quillt weißer Dampf. Seine großen blauen Augen
       schauen konzentriert in die Kamera. Er filmt sich selbst. Mit wackelndem
       Handy und halb geöffnetem Mund, der zwei Schneidezähne entblößt.
       
       Er liegt auf einem braunen Sofa, vermutlich im elterlichen Wohnzimmer. „Ich
       erkläre euch heute den French Inhale“, sagt Zachary. In der rechten Hand
       hält er ein Ding, das aussieht wie ein roter, übergroßer USB-Stick. Er
       klemmt es sich zwischen die Lippen und zieht. Die runden Apfelbäckchen
       werden schmal.
       
       Dann blähen sie sich, und Dampf fließt aus seinem Mund. Ganz langsam, bevor
       er sich zurück in seinen Körper schlängelt, durch die Nasenlöcher. Es sieht
       aus wie ein Wasserfall, der nach oben fließt. „Einer der ersten Tricks, die
       ich gelernt habe“, sagt Zachary. Ein Junge, der Ende 2017 noch Bilder von
       seinen Fischen und Sammelkarten gepostet hat. In einem Chat mit der
       taz-Reporterin schreibt er, dass er sechzehn ist. Er sieht aus wie zwölf.
       
       Die E-Zigarette ist in den USA erst ab 18 Jahren erlaubt, in einigen
       Bundesstaaten erst ab 21 Jahren. Weil Zachary Angst davor hat, sich
       strafbar zu machen, möchte er nur mit seinem Vornamen auftauchen.
       
       Rund 40 Videos hat Zachary aufgenommen, in fast allen geht es um Juul, das
       rote Ding in seiner Hand. Eine E-Zigarette. Seinen ersten Juul kauft
       Zachary sich im September 2018 im Schulbus, für 25 Dollar, erzählt er.
       Seine Lieblingssorte: Mango.
       
       Seine Videos ähneln sich. Mal erklärt er es anderen. Mal sitzt er nur da
       und hüllt sein Kinderzimmer in weißen Dampf. Mal filmt er sich vorm
       Badezimmerspiegel.
       
       ## Schneller im Blut
       
       Er ist nicht der Einzige, bei Weitem nicht. Da sind die beiden Jungs, die
       auf YouTube Tipps geben, wie man richtig „juult“. Ringe pusten, Wolken
       dampfen. Zwei pubertäre Gesichter, mit erstem Bartflaum und glänzenden
       Ohrsteckern. Und da ist Dom, ein braunhaariger Teenager, der Tipps gibt
       wie: „Es hilft, wenn ihr euch im Spiegel anschaut.“ Das lässige Ziehen am
       Gerät, das „lass es laufen“, das kurze Husten zwischen den Tricks.
       
       Das sind Versuche, erwachsen zu sein, die man sich tausendfach anschauen
       kann, auf YouTube und Instagram. Im Hintergrund bietet sich das immer
       gleiche Bild: zerwühlte Betten oder schmucklose Schrankwände. Manchmal auch
       eine Schultoilette oder ein Klassenraum, mitten im Unterricht. Der Juul ist
       immer dabei.
       
       Rund 10 Prozent der amerikanischen Teenager zwischen 15 und 17 rauchen
       Juul, zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der US-Fachzeitung Tobacco
       Control. Unter den Highschool-Schülern rauchen etwa 20 Prozent E-Zigarette,
       ein Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zu 2017. Das zeigen Zahlen des US-
       Gesundheitsministeriums.
       
       Juul kommt ohne Tabak aus und liefert trotzdem Nikotin. Ein dünner Stab
       wird mit sogenannten Liquids gefüllt. Ein Gemisch aus Aromen, Glycerin,
       Benzoesäure und Propylenglykol, einem chemischen Stoff, der auch in
       Nebelmaschinen zum Einsatz kommt. Das Starter-Kit kostet 49,99 Dollar,
       E-Zigarette, USB-Ladegerät und vier Geschmacksrichtungen.
       
       Im Juni 2015 kommt das Gerät auf den US-Markt. Zwischen 2016 und 2017
       steigert Juul seine Verkäufe um etwa 600 Prozent. Im Dezember 2018
       investiert das Tabakunternehmen Altria, früher bekannt als Philip Morris,
       12,8 Milliarden und sichert sich 35 Prozent am Unternehmen. Juul erreicht
       bei E-Zigaretten einen Marktanteil von 73 Prozent.
       
       Das liegt vor allem am Gerät. Juul Labs ist einer der ersten
       E-Zigaretten-Hersteller, der mit sogenannten Nikotinsalzen arbeitet. Kurz
       gesagt ist das Nikotin in gebundener Form. Gelangt schneller ins Blut und
       kickt genauso wie eine normale Zigarette.
       
       Die Bedienung ist einfacher als bei vielen anderen Modellen. Kein
       Zusammenbauen, keine Wartung, kein Temperaturregler – nur einen neuen Pod
       und einen Knopfdruck. Das Prinzip E-Zigarette ist nicht ganz neu, aber
       jetzt könnte es seinen Durchbruch haben; so wie damals beim iPhone. Das war
       auch nicht das erste Smartphone auf dem Markt, aber es funktionierte besser
       und sah besser aus.
       
       „Ein Hype“, sagt Zachary.
       
       „Eine echte Alternative zur Zigarette“, sagen die Gründer von Juul.
       
       „Eine Epidemie“, sagt der Leiter der US-Gesundheitsbehörde.
       
       Im Mai 2018 werden die ersten Juuls in Israel verkauft. Im Juli im
       Vereinigten Königreich. Einen Monat später in Kanada. Seit Dezember 2018
       ist Juul auch in Deutschland auf dem Markt.
       
       Die E-Zigarette ist Mittelpunkt einer neuen Erzählung, in der Rauchen
       sauber und risikoarm ist. Ohne Krebs, Raucherbein und Impotenz. Trotz
       Nikotin.
       
       Auch der Konsument ist ein anderer. Wer E-Zigarette raucht, raucht nicht,
       er dampft. Er zieht nicht mehr in die weite Prärie, einsam und
       abenteuerlustig, er sitzt am Laptop, irgendwo in einer globalen Metropole.
       Willkommen in der rauchfreien Zukunft.
       
       Ab den späten 50er Jahren wird immer deutlicher, dass Rauchen schädlich
       ist, tödlich sein kann. In dieser Zeit setzt die Tabakindustrie erstmals zu
       einem Gegenschlag an. Mithilfe von Marketing, neuen Produktideen und
       Sprache.
       
       ## E-Zigarette als Rettungsanker
       
       Am 11. Januar 1964 erscheint der Terry-Report, in dem der amerikanische
       Arzt Luther Terry – selber Raucher – und neun weitere Kollegen erstmals den
       toxikologischen Beweis führen, dass Rauchen und Lungenkrebs verknüpft sind.
       Terry steigt auf Pfeife um.
       
       Am 22. Januar 1964 erscheint im Spiegel ein Interview mit Karl-Heinz Weber,
       Leiter der Wissenschaftlichen Forschungsstelle im Verband der
       Zigarettenindustrie. Das Institut, das seit 1959 daran arbeitet, die
       Zigarette weniger schädlich zu machen, wird von den führenden deutschen
       Tabakkonzernen finanziert.
       
       Auf den Terry-Report angesprochen und die Frage, was die Industrie gegen
       das erhöhte Lungenkrebs-Risiko tut, sagt Weber: „Sie tut alles, was in
       ihren Kräften steht, um durch Forschung dahinterzukommen, woran es liegen
       könnte, und wenn irgend jemand in der Welt einen gefährlichen Stoff findet,
       kommt er raus. Darüber gibt es keine Frage!“
       
       Selbstregulierung, Vorwärtsverteidigung und Leugnung von Fakten. Diese
       Strategie zieht sich durch die letzten 60 Jahre der Zigarette, nicht nur in
       der Forschung, auch im Umgang mit Werbung. Das zeigt eine Publikation des
       Bundesforschungsministeriums, in der die Autoren den Image-Wandel der
       Zigarette im Detail nachvollziehen. Titel: „Als die Zigarette giftig
       wurde“.
       
       Seit Oktober 1963 darf im westdeutschen Fernsehen vor 19 Uhr keine
       Tabakwerbung mehr gezeigt werden. Um weiteren Einschränkungen zu entgehen,
       beschließt die deutsche Tabakindustrie eine freiwillige Selbstauflage: Ab
       dem 1. Januar 1966 schalten die deutschen Tabakkonzerne keine Werbung mehr,
       die sich an Jugendliche richtet – dann wird sie ganz verboten.
       
       1973 bringt der deutsche Tabakkonzern Reemtsma eine Neuauflage der R6 auf
       den Markt. Beworben wird sie als besonders „leichte“ Zigarette. Um das
       Image der Zigarette mit dem niedrigen Nikotingehalt anzukurbeln, druckt der
       Konzern ab 1975 die Werte von Kondensat, auch bekannt als Teer, und Nikotin
       auf die Packung. 1976 wird das für alle verpflichtend.
       
       Erst 1999, nach verlorenen millionenschweren Prozessen und nach erbittertem
       Widerstand, geben die globalen Tabakkonzerne zu, dass Rauchen die
       Gesundheit gefährdet. Vier Jahre später kommt die erste E-Zigarette auf den
       Markt, in China. Ein Jahrzehnt später steigen die globalen Konzerne ins
       Geschäft ein. Getrieben werden sie von schwindenden Rauchern, drastischerer
       Regulierung und immer höheren Steuern auf Tabakprodukte.
       
       Und so wird die E-Zigarette zum Rettungsanker für eine Industrie, deren
       Platz und Einfluss schwindet. Und zur vermeintlich gesünderen Alternative.
       So zumindest das Versprechen, das sich über die ganze Welt verbreitet. Von
       China über die USA bis nach Deutschland.
       
       Mitte Januar. Tobias Gerlach, der Pressesprecher von Juul Labs Deutschland,
       ist spät dran. Er sitze noch auf dem Fahrrad, sagt er am Telefon und
       entschuldigt sich. Es ist einer der ersten warmen Tage im neuen Jahr und
       Gerlach würde gerne draußen sitzen, aber im Café Einstein haben sie die
       Gartensaison noch nicht eröffnet. Ein Tisch drinnen ist nun sein
       Arbeitsplatz für die nächsten Stunden. Interview folgt auf Interview.
       
       Seit rund einem Monat gibt es den Juul auch in Deutschland zu kaufen. Aber
       mit weniger Nikotingehalt. Statt 60 mg nur 20. Erhältlich in 1.000
       ausgewählten Verkaufsstellen, keine Werbung in der Testphase. „Wir wollen
       bereits in diesem Jahr 300.000 erwachsene Raucher dazu bringen
       umzusteigen“, sagt Tobias Gerlach.
       
       Könnte funktionieren. Der Markt ist da.
       
       ## Gesünder und glücklicher leben
       
       Deutschland ist Raucherland. In den 90ern rauchte fast die Hälfte aller
       Erwachsenen zwischen 18 und 25. Heute ist es nur noch ein Drittel. Im
       Vergleich zu anderen Ländern ist das noch immer viel. In den Niederlanden
       rauchen 19 Prozent der Bevölkerung, in Schweden nur noch 7 Prozent.
       
       Während der Markt der althergebrachten Tabakprodukte schrumpft, steigt die
       E-Zigarette in immer neue Höhen. Rund 2 Millionen Deutsche dampfen bereits
       E-Zigarette. 2019 soll der Markt um 25 Prozent wachsen, auf rund 500
       Millionen Euro. Davon gehen Branchen-Prognosen aus.
       
       Rund 200 kleine und mittlere Unternehmen verdienen an dem Geschäft. Dazu
       kommen rund 400 bis 500 Fachgeschäfte und etwa 12.000 weitere
       Verkaufsstellen. Kioske, Supermärkte, Tankstellen. Und große Konzerne.
       
       Im Juli 2015 steigt mit Japan Tobacco International der erste globale
       Tabakkonzern in den deutschen E-Zigaretten-Markt ein. Im Dezember 2015
       folgt British American Tobacco mit der Marke Vype. Im Mai 2017 bringt
       Philip Morris International den Tabakverbrenner Iqos auf den Markt.
       
       Die rauchfreie Zukunft, sie ist auch in Deutschland angekommen – und mit
       ihr Juul. Der Markteinstieg alarmiert deutsche Behörden und Verbände. Groß
       ist die Angst vor einer ähnlichen Entwicklung wie in den USA.
       
       „Sie können sicher sein, dass ich als Drogenbeauftragte nicht nur Juul,
       sondern alle neuen Produkte auf dem Tabak- und Nikotinmarkt genau im Auge
       behalte“, sagt Marlene Mortler (CSU), die Drogenbeauftragte der
       Bundesregierung, im März 2019 der taz.
       
       „Gefährliche Zigarette. Mehr Nikotin als in einer ganzen Schachtel“, hat
       die FAZ im Dezember 2018 getitelt und die DAK-Krankenkasse forderte: „Die
       Politik muss endlich ein umfassendes Werbeverbot für Tabak, Zigaretten und
       auch für E-Zigaretten in Deutschland durchsetzen.“
       
       Im Einstein möchte Gerlach jetzt über die sogenannte Mission von Juul Labs
       sprechen. „Wir wollen eine tabakfreie Welt“, sagt er. „Wir wollen das Leben
       von einer Milliarde erwachsener Raucher verbessern.“ Ziel sei es, eine
       weniger gesundheitsschädliche Alternative anzubieten.
       
       So steht es auch auf der Website des Unternehmens, wo angebliche
       Konsumenten sagen, dass sie jahrzehntelang der Kippe verfallen waren und
       jetzt gesünder und glücklicher leben. Besser auch für Familie und
       Beziehungen.
       
       Die beiden Gründer von Juul, Adam Bowen und James Monsees,
       Stanford-Absolventen, dynamische Start-up-Typen, haben beide früher
       geraucht. Sie haben eine Alternative gesucht und waren unzufrieden mit dem,
       was es gab. Also fingen sie an zu tüfteln und zu testen, zehn Jahre lang;
       auch das steht auf der Website. Das Ergebnis: „Ein geschlossenes
       Vaporizer-System, das erwachsenen Rauchern eine einfache und zugleich
       zufriedenstellende Alternative zum Rauchen bietet – ohne Teer, ohne
       Kohlenmonoxid und ohne viele andere toxische Chemikalien, die bei der
       Verbrennung von Tabakzigaretten entstehen.“
       
       So viel zur Theorie.
       
       Im Jahr 2015 veröffentlicht das britische Gesundheitsministerium eine
       Studie, die zu dem Schluss kommt, dass E-Zigaretten „95 Prozent weniger
       schädlich sind als normale Zigaretten und Rauchern beim Aufhören helfen
       können“. So zumindest die Schätzungen.
       
       In Deutschland ist man sich dessen nicht so sicher.
       
       ## Viel Geld mit Dampf
       
       „E-Zigaretten sind lediglich im Vergleich mit Tabakzigaretten weniger
       schädlich; ein vollständiger Umstieg vom Rauchen auf E-Zigaretten kann
       wahrscheinlich das Gesundheitsrisiko senken. Für Nichtraucher, die
       keinerlei schädliche Substanzen inhalieren, bedeuten E-Zigaretten jedoch
       eine Erhöhung des Gesundheitsrisikos, da beim E-Zigaretten-Konsum ein
       Chemikaliengemisch inhaliert wird“, schreibt das Deutsche
       Krebsforschungszentrum schon im Jahr 2014.
       
       Und weiter: „Da E-Zigaretten erst seit wenigen Jahren auf dem Markt sind,
       gibt es noch keine verlässlichen Informationen zur Gesundheitsgefährdung
       bei Langzeitkonsum.“ Es sei schwer vorhersehbar, welche Folgen die
       dauerhafte und häufige Inhalation des Chemikaliengemischs auf den Körper
       und insbesondere die Lunge habe.
       
       Gerlach raucht nicht. Generell sollte eh keiner rauchen, sagt er, weder
       Zigaretten noch Juul. Ganz wichtig ist ihm: „Juul hat in den Händen von
       Kindern und Jugendlichen nichts verloren“, sagt er. „Da ist Nikotin drin,
       das macht abhängig.“
       
       Damit die deutschen Kinder und Jugendlichen die Finger von Juul lassen, hat
       das Unternehmen Maßnahmen erarbeitet, die „deutlich über die gesetzlichen
       Vorgaben hinaus“ gingen. Durch doppelte Alterskontrollen,
       Händler-Schulungen und Testkäufe solle sichergestellt werden, dass Kinder
       und Jugendliche keine E-Zigaretten kaufen können.
       
       Auch was Werbung angeht, wolle man sich selbst beschränken: Nicht an
       Schulen, Kindergärten und öffentlichen Plätzen, die von Jugendlichen
       frequentiert werden.
       
       Im Dezember 2018 reicht die Bundestagsfraktion der Grünen einen
       Gesetzesentwurf ein, der vorsieht, Außen- und Kinowerbung für
       Tabakzigaretten, aber auch für E-Zigaretten gänzlich zu verbieten. Eine
       Mehrheit dürfte der Antrag nicht bekommen und das findet Gerlach gut. Denn
       wie sollen Raucher von der Umsteigemöglichkeit erfahren, wenn nicht über
       Werbung? Sie planen, Juul überall zu verkaufen, wo es Raucher gibt. Nicht
       nur in speziellen Vape-Shops, sondern auch im Lebensmittelhandel und in
       Tankstellen.
       
       Ein Ziel, das der Tabakkonzern Philip Morris International (PMI) ebenfalls
       verfolgt, mit dem Iqos. Ein sogenannter „Tabakerhitzer“. Anstatt einer
       Flüssigkeit wird echter Tabak erhitzt, auf 300 Grad. Ein Gerät, das
       aussieht wie ein Smartphone: runde Formen, Farben in Chrom-Optik.
       
       In Deutschland kämpfen zwei Produkte um den Markt, während sie in den USA
       über den gleichen Vertriebsweg laufen, die Altria Group.
       
       2003 wird aus dem Tabakkonzern Philip Morris die Altria Group. 2008 wird
       die Tochtergesellschaft Philip Morris International aus dem Altria-Konzern
       herausgelöst. Während Altria das US-Geschäft behält, übernimmt Philip
       Morris International den weltweiten Vertrieb. Fünf Jahre später – die Zahl
       der Raucher ist weltweit zurückgegangen – tun sich Altria und Philip Morris
       erneut zusammen. Sie unterschreiben eine Kooperationsvereinbarung, in
       dessen Zentrum die Zukunft des Rauchens steht: die E-Zigarette.
       
       Vorgesehen ist, dass Altria zwei PMI-Tabakerhitzer auf dem amerikanischen
       Markt bringen darf. Im Gegenzug vermarktet PMI die von Altria entwickelten
       E-Zigaretten weltweit. Geplant sind neben einem gemeinsamen Vertrieb auch
       Forschungsprojekte. Iqos fällt unter diese Vereinbarung, Juul nicht, trotz
       der Beteiligung von Altria. Deswegen auch die Konkurrenzsituation in
       Deutschland.
       
       Der Deal der Tabakriesen zeigt: Das Geschäft mit den normalen Zigaretten
       ist Geschichte. Die Zukunft gehört dem Dampf. Mit ihm wollen die
       Tabakkonzerne in Zukunft weiter viel Geld verdienen.
       
       Während Juul noch ganz am Anfang steht, ist Iqos schon in Deutschland
       angekommen. In einer Seitenstraße vom Berliner Kurfürstendamm, Berlins
       alter Edel-Einkaufsmeile, liegt hinter einer hohen Glasfront einer von
       dreizehn deutschen Iqos-Stores. Helle Kommoden und edle Auslagen, perfekt
       ausgeleuchtet. Das Erste, was auffällt, wenn man den Laden betritt, ist der
       Geruch: Es riecht verbrannt, nach Tabak. Aber nicht nach kaltem Rauch.
       
       Der Geruch kommt aus einer Ecke im hinteren Bereich des Ladens. Dort
       probiert sich ein mittelalter Herr mit Brille und kleinem Rollkoffer gerade
       durch das Sortiment. Je nach Modell kosten die Geräte zwischen 89 und 109
       Euro. Wer will, kann dazu edle Accessoires kaufen, etwa eine Lederhülle für
       44 Euro.
       
       Heets heißen die Stäbchen, die man in den Iqos steckt und dann anzündet.
       Sie sehen aus wie sehr kleine Zigaretten. Die Firma wirbt damit, dass „die
       Menge an schädlichen Substanzen, die der Konsument inhaliert, im Vergleich
       zur normalen Zigarette im Schnitt um 90 Prozent reduziert“ ist.
       
       ## 260.000 mal #juul
       
       Wie die Stäbchen funktionieren und warum diese kleinen Zigaretten besser
       sind als große, das möchten jetzt Iris Brand und Alexander Nussbaum
       erklären. Brand, blond, in den 30ern, ist die Pressesprecherin von Philip
       Morris Deutschland, sie hat zuvor für einen Kaugummihersteller gearbeitet.
       Nussbaum, drahtig und in den 40ern, ist ein promovierter Biochemiker, der
       vor etwas mehr als zwei Jahren die Seiten gewechselt hat. Er forschte
       vorher zu Impfstoffen und Lungenkrebs.
       
       Beide sind Nichtraucher. Sie sind an diesem Morgen extra für das Gespräch
       mit der taz aus München angereist. Im Gepäck haben sie zwei Stunden Zeit
       und eine Powerpoint-Präsentation.
       
       Nussbaum beginnt mit Zahlen und hauseigenen Studien. In der Schweiz, in
       einem kleinen Ort unweit von Bern, betreibt Philip Morris International ein
       Forschungs- und Entwicklungszentrum. Ein weiteres steht in Singapur. In
       Iqos, so das Unternehmen, steckten rund 4,5 Milliarden US-Dollar Ausgaben
       für Forschung und mehr als 4.300 Patente. 400 PMI-Mitarbeiter arbeiten
       weltweit daran, dass die verbliebenen Raucher bald Iqos rauchen. Der
       Imagewechsel kostet.
       
       „Wir befinden uns in einer Transformation“, sagt Brand. Man wolle den
       Austausch mit der Politik, der Wissenschaft und der Politik. Den Rauchern
       wolle man erklären, „dass es eine Alternative gibt“.
       
       Nussbaum ist die perfekte Werbefigur. Ein Wissenschaftler, der Rauchen
       ablehnt und deshalb eine Alternative schafft. Weniger schädlich,
       hochtechnologisiert, rauchfrei. Früher hielt er Vorträge als Krebsforscher,
       wirklich erreicht habe er da wenige, sagt er. Deswegen sei er 2016 zu
       Philip Morris gewechselt. „Um die Industrie von innen umzukrempeln.“
       
       Nussbaum zitiert Studien und spricht viel von „harm reduction“.
       Schadensminimierung. „Ich möchte das nicht verharmlosen“, ist ein Satz, den
       er oft wiederholt.
       
       In den nächsten Monaten will Philip Morris International mit Iqos auf den
       US-Markt expandieren. Der Antrag auf Zulassung wurde bereits gestellt.
       
       Juul und Iqos. Zwei Produkte mit der gleichen Botschaft: Wir sind die
       bessere Alternative. Neu ist das nicht, das zeigt der Blick auf die
       Tabak-Imagekampagnen der letzten Jahrzehnte. Neu sind vor allem die Kanäle,
       auf denen diese Botschaft transportiert wird: Instagram, YouTube, Twitter
       und Facebook.
       
       Es sind Kanäle, die überaus beliebt sind, und zwar insbesondere bei Kindern
       und Jugendlichen. Das zeigt eine Studie der Universität Stanford, die das
       Marketing von Juul ausgewertet hat. Innerhalb von drei Jahren hat Juul
       selbst 2691 Tweets abgesetzt, dazu 248 Einträge bei Facebook, 187 bei
       Instagram. Auch andere haben zu #juul gepostet, den Hashtag fanden sie
       260.000 Mal.
       
       Die Kampagne, so beschreiben es die Wissenschaftler, zeigte Models zwischen
       20 und 30, die in trendigen Kleidern auftraten und eher an Jugendliche
       erinnerten als an Erwachsene. Allgemein sehen sie viele Ähnlichkeiten zur
       klassischen Tabakwerbung. Besonderheit: Es wurden „vor allem süße und
       fruchtige Aromen hervorgehoben“. Als Markenbotschafter habe das Unternehmen
       Social Media Influencer eingesetzt.
       
       Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss: Juuls Behauptung, dass sie das
       Leben der weltweit 1.000.000.000 erwachsenen Raucher verbessern wollten und
       dass ihr Produkt nur für erwachsene Raucher bestimmt sei, ist nicht
       deckungsgleich mit ihrem Marketing.
       
       Eine ähnliche Studie hat auch die amerikanische Anti-Tabak-Organisation
       „Tobacco-Free Kids“ in Auftrag gegeben. In einem Schreiben an die
       amerikanischen Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde warnt die
       Organisation vor der Zulassung von Iqos für den amerikanischen Markt: „Wir
       haben dokumentiert, dass PMI bereits eine massive globale Marketingkampagne
       für Iqos betreibt, bei der ausländische Influencer eingesetzt werden“,
       heißt es darin. Es handle sich um Personen, die eine große Anzahl von
       US-Followern hätten und deren Beiträge über Iqos Millionen von
       US-Verbrauchern auf verschiedenen Social-Media-Plattformen erreichten.
       
       Iris Brand, die Pressesprecherin von Philip Morris, sagt, dass
       Influencer-Marketing in Deutschland verboten sei und deshalb bei Philip
       Morris auch nicht vorkomme. Auf eine Influencerin aus München angesprochen,
       die in dem Report von „Tobacco-Free Kids“ gelistet wird, sagt sie: „Das ist
       vielleicht ein Fan.“ Man könne nicht verhindern, wenn Privatpersonen
       eigenständig Posts absetzten.
       
       Der French-Inhale-Clip von Zachary, dem Jungen auf dem Sofa, hat mehr als
       36.000 Aufrufe bei Instagram. Die Hashtags lauten #juul, #vapetricks und
       #vapecommunity. Rund 200 Nutzer haben Kommentare hinterlassen. Rena,
       Schülerin aus Oklahoma, schreibt: „Ich lerne noch.“ Weinender Smiley.
       Josie, ein Teenager aus Michigan: „Danke, Bruder, das habe ich wirklich
       gebraucht.“ Drei Smileys mit Sternchen-Augen.
       
       Im Mai 2018 wird der Juul aus Israel verbannt. Premierminister Benjamin
       Netanjahu begründet diesen Schritt mit der Sorge um die öffentliche
       Gesundheit. Juul enthalte dreimal mehr Nikotin als im Land erlaubt.
       
       Im April 2018 leitet die US Food and Drug Administration Untersuchungen
       gegen Juul Labs ein. Die Generalbundesanwälte der US-Bundesstaaten Iowa,
       Massachusetts und North Carolina ebenfalls. Juul Labs richte seine Produkte
       gezielt an Minderjährige, so der Vorwurf.
       
       Im Oktober 2018 reicht die Mutter zweier minderjähriger Söhne Klage gegen
       Juul Labs ein. Der Fall wird in Miami verhandelt. Der Vorwurf: Juul Labs
       „vermarktet seine Produkte als sicher, wie etwas Süßes, das Minderjährige
       anzieht“. Und eben nicht als Zigarette.
       
       23 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gesa Steeger
       
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