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       # taz.de -- Präsidentenwahl in der Slowakei: Eine Frau will ganz nach oben
       
       > Zuzana Čaputová, Menschenrechtsanwältin und Aktivistin, führt die
       > Umfragen an. Sie gilt als politisch unbelastet. Das zieht offenbar.
       
   IMG Bild: Will die erste Präsidentin der Slowakei werden: Zuzana Caputova
       
       Prag taz | Es war ein Rücktritt, der erst richtigen Schwung in den
       slowakischen Präsidentschaftswahlkampf brachte: Ende Februar schied ein
       Favorit, der angesehene Wissenschaftler Róbert Mistrík, freiwillig aus dem
       Rennen aus. Aus reiner Taktik: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass der
       verlängerte Arm eines Róbert Fico oder Vladimír Mečiar es ins Amt des
       Präsidenten schafft“, begründete Mistrík seinen Rückzieher. Mečiar und Fico
       – die Namen der beiden früheren Regierungschefs symbolisieren für viele
       Slowaken die mafiösen Verknüpfungen zwischen Politik, Justiz und
       Wirtschaft, die das Land seit den 1990ern wie eine Krake umschlungen
       hatten.
       
       Unter den 15 Namen, die im ersten Wahlgang am kommenden Sonntag am Start
       sind, könne nur einer garantieren, dass diese Krake nicht weiter den
       Rechtsstaat und die Entwicklung einer freiheitlichen Gesellschaft in der
       Slowakei ersticke, so Mistrík.
       
       Oder besser gesagt: Eine. Zuzana Čaputová ist die, seit Einführung der
       Direktwahl 1999, fünfte Frau, die in das spätbarocke Palais Grassalkovich,
       den präsidentiellen Sitz zwischen Altstadt und Hauptbahnhof von Bratislava,
       einziehen möchte. Spätestens seitdem Róbert Mistrík bei seinem Rücktritt
       zur Wahl Čaputovás aufgefordert hat, gilt sie als aussichtsreichste
       Kandidatin.
       
       Laut Umfragen der slowakischen Meinungsforschungsagentur AKO sind die
       Präferenzen für die 45-jährige Aktivistin und Menschenrechtsanwältin nach
       Mistríks Ausscheiden auf knapp 53 Prozent geklettert. Andere Erhebungen
       sind da zurückhaltender. Die Agentur Focus sieht Čaputová bei 26,3 Prozent.
       Eine Wahlumfrage des öffentlich-rechtlichen slowakischen Rundfunks und
       Fernsehens sagt ihr einen Stimmanteil von 23,5 Prozent voraus.
       
       ## Ein Marketing-Produkt
       
       „Die enormen Unterschiede in den Umfragewerten stechen ins Auge“, meint der
       Ökonom und Publizist Vladimír Pikora. Seine Einschätzung: Čaputová sei
       nichts weiter als ein Marketing-Produkt: jung, durchaus repräsentativ und
       vor allem unbelastet von der hohen Politik.
       
       Besonders letzteres könnte in der Stichwahl am 30. März für Čaputová
       entscheidend sein. Denn seit dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und
       seiner Verlobten Martina Kušnírová vor einem Jahr rumort es in der
       slowakischen Gesellschaft. Der brutale Tod des jungen Paares hat die
       Slowakei nicht nur bis ins Mark erschüttert. Er hat auch die oligarchischen
       Strukturen des 5-Millionen-Einwohnerlandes offen gelegt. Und da mag Zuzana
       Čaputová vielen als eine Lichtgestalt erscheinen.
       
       Die geschiedene Mutter von zwei Kindern ist nicht nur unbefleckt von
       Politik und Mauschelei. Erst Ende 2017 trat sie in die neue,
       außerparlamentarische Partei Progresivní Slovensko (Fortschrittliche
       Slowakei) ein, deren Vize-Vorsitzende sie seit Anfang 2018 ist.
       
       Mehr noch: Sie hat sich in der Vergangenheit schon erfolgreich gegen das
       durchgesetzt, was sie „Arroganz der Macht“ nennt. Was Čaputová – und das
       wird ihr durchaus vorgeworfen – an politischer Erfahrung fehlt, macht sie
       an Glaubwürdigkeit wieder wett.
       
       ## Kampf gegen Mülldeponie
       
       14 Jahre lang stand sie als Anwältin an der Spitze einer Bürgeriniative,
       die gegen eine Mülldeponie in ihrem Heimatort Pezínok nahe Bratislava
       kämpfte. „Es ging nicht nur um den Gestank. Wir hatten eine
       überdurchschnittliche hohe Krebsrate. Allein die Leukämiefälle lagen
       achtmal über dem Landesdurchschnitt“, sagt Čaputová, deren Vater an Krebs
       erkrankt ist.
       
       Die Kampagne hatte Erfolg. 2013 entschied das Höchste Gericht der Slowakei
       gegen die Gifthalde. Und Čaputová rückte ins öffentliche Bewusstsein. 2016
       wurde sie für ihr Engagement gegen die Deponie mit dem Goldman-Preis
       ausgezeichnet, der als Nobel-Preis für Umweltschutz gilt.
       
       Jetzt ist sie selbst diejenige, über die giftiger Dreck ausgeschüttet wird.
       Sie solle dem slowakischen Volk beweisen, dass sie keine Jüdin sei, lautete
       ein Aufruf in den sozialen Netzwerken. Nicht zu vergessen der Vorwurf, sie
       sei eine Marionette des US-Milliardärs George Soros und der USA.
       
       Den Verschwörungstheorien setzt Čaputová ein Wahlprogramm entgegen, das der
       Sehnsucht der Slowaken nach einem „anständigen Staat“, so ihr Wahlslogan,
       entsprechen soll. Darin steht sie für ein Mehr an Rechtsstaat, Würde im
       Alter und Umweltschutz, ein Ja zur registrierten Partnerschaft und der
       Adoption für homosexuelle Paare sowie das Recht der Frau, selbst über eine
       Abtreibung zu entscheiden.
       
       Damit fordert sie nicht nur die slowakischen Oligarchen, sondern auch die
       konservativen Slowaken heraus. Es sei eine schwere Sünde, eine
       Ultraliberale öffentlich zu unterstützen, wütete der slowakische Erzbischof
       Ján Orosch. Er spalte anstatt zu einen, reagierte Čaputová souverän. Ein
       dickes Fell scheint sie jedenfalls zu haben. Das könnte in der Slowakei die
       wichtigste Voraussetzung für das höchste Amt sein.
       
       16 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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