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       # taz.de -- Massenprotest in Algerien: Sie sind laut, sehr laut
       
       > „Raus aus unserer Republik“, rufen in Algerien die Demonstrant*nnen. Ihr
       > Protest wächst und wächst. Wie reagiert der Sicherheitsapparat?
       
   IMG Bild: Slogans und Parolen mäandern zwischen scharfzüngig, rhetorisch brillant, vulgär und sarkastisch hin und her: Algier am 15. März
       
       Algier taz | Die Party auf Algeriens Straßen geht weiter. Und wie. Am
       Freitag protestierten abermals mehrere Millionen Menschen lautstark gegen
       das hinter dem angezählten Staatschef Abdelaziz Bouteflika stehende Regime
       und forderten echte demokratische Reformen.
       
       Die seit dem 22. Februar [1][jeden Freitag stattfindenden
       Großdemonstrationen] erhielten dabei weiteren Zulauf. Die Innenstadt von
       Algier platzte förmlich aus allen Nähten. Schon am Vormittag, lange vor
       Ende der Freitagsgebete, versammelten sich Zehntausende an den
       traditionellen Protestorten am Place Audin und der Grande Poste und gaben
       einen Vorgeschmack auf den „menschlichen Tsunami“ – so der
       Nordafrika-Ableger der Huffington Post –, der am Nachmittag durch Algier
       fegen sollte.
       
       Ein regelrechtes Menschenmeer schob sich dabei stundenlang und unnachgiebig
       laut skandierend die Prachtallee Didouche Mourad hinauf auf den Platz vor
       der Grande Poste. Die Botschaft der weiterhin ohne klare Führungsstrukturen
       agierenden und extrem heterogenen Protestbewegung ist deutlich.Nein zur
       verfassungswidrigen Verlängerung von Bouteflikas viertem Mandat, nein zu
       substanzlosen Personalrochaden. „Wir sagen: Die Suppe ist versalzen. Sie
       sagen: Dann tauschen wir die Löffel aus“, ist auf einem Plakat zu lesen.
       
       Erst am Montag hatten die hinter Bouteflika stehenden Eliten [2][auf die
       Massenproteste reagiert] und eine politische Übergangsphase sowie eine
       Regierungsumbildung angekündigt. Doch Algeriens jugendliche Bevölkerung
       kennt ihr Regime und hat schon bei Demonstrationen unter der Woche gezeigt,
       dass man keineswegs gedenkt, sich mit halbherzigen Kompromissen
       zufriedenzugeben.
       
       ## Alles bleibt friedlich
       
       Die Ernennung von Innenminister Noureddine Bedoui zum Regierungschef und
       Ramtane Lamamra zum Vizepremier und Außenminister wurden auf den
       Freitagsprotesten entsprechend bissig kommentiert. „Ihr verändert die
       Gesichter, dann verändern wir eben unsere Parolen“, so ein Demonstrant, der
       mit seinem „Hau ab“-Plakat durch die Innenstadt marschiert.
       
       Während sich das intransparente, hinter den Kulissen regierende Geflecht
       aus Regimeparteien, Geschäftseliten und Sicherheitsapparat mit derlei
       politischen Manövern Zeit erkauft, bekommt auch die Protestbewegung die
       Zeit, die sie braucht, um sich besser zu organisieren und Forderungen zu
       konkretisieren. Ging es zu Beginn der Proteste fast ausschließlich darum,
       Bouteflikas fünftes Mandat zu verhindern, werden heute eine zweite Republik
       und tiefgreifende Reformen gefordert.
       
       Es geht längst nicht mehr nur um Bouteflika, sondern um das System, das er
       repräsentiert. Die Wucht, mit der sich derzeit [3][der öffentliche Raum im
       Land politisiert] und öffnet, ist atemberaubend. Slogans, Parolen und
       Wortmeldungen mäandern zwischen scharfzüngig, rhetorisch brillant, vulgär
       und sarkastisch hin und her, beinhalten aber zunehmend konkrete politische
       Forderungen. Der Tonfall der Beteiligten ist vielfältig, doch die Mittel
       ausnahmslos friedlich und vor allem laut, sehr laut.
       
       Die große Unbekannte bleibt jedoch der Sicherheitsapparat, denn mit
       Bouteflikas Entourage rivalisierende Clans in Algeriens Machtgefüge warten
       im Hintergrund schon ungeduldig darauf, die Seilschaften des Staatschefs
       ersetzen und aus den Massenprotesten politisches Kapital schlagen zu
       können.
       
       16 Mar 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sofian Philip Naceur
       
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