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       # taz.de -- Kennzahlenvergleich bei Abschiebungen: Hannover sucht den Superabschieber
       
       > Niedersachsens Innenministerium will Optimierungsmöglichkeiten bei
       > Abschiebungen feststellen. Die Kommunen sind sauer.
       
   IMG Bild: Hauptsache weg? Ein Flugzeug über einem Abschiebeknast in Hannover
       
       Hamburg taz | Die Irritation ist deutlich zu hören: „Wir haben erwartet,
       dass es ein Entschuldigungsschreiben gibt“, sagt Hubert Meyer,
       Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistags (NLT). Stattdessen
       habe das niedersächsische Innenministerium lediglich ein
       Rechtfertigungsschreiben an die aufgebrachten Kommunen geschickt. Grund des
       Streits: ein Kennzahlenvergleich zur Abschiebepraxis, anhand dessen das
       Ministerium ersehen kann, wie erfolgreich die Kommunen dabei sind.
       
       Diese Praxis ist in den Augen der Kommunen doppelt fragwürdig. Zum einen
       sei die zugrunde gelegte Statistik „reiner Unsinn“, sagt Hubert Meyer. Denn
       dort würden alle „im Prinzip“ ausreisepflichtigen Menschen aufgeführt,
       unabhängig davon, ob sie eine Duldung hätten, etwa wegen einer begonnen
       Ausbildung, die eine Abschiebung verhindert.
       
       Außerdem sei die Situation in den verschiedenen Kommunen sehr
       unterschiedlich – man vergleiche da sozusagen Äpfel mit Birnen. Manchen
       Kommunen würden viele sogenannte „Dublin-Fälle“ zugewiesen, denen
       „praktisch nie“ eine Duldung ausgesprochen würde, sagt Meyer. Andere
       Landkreise bekämen dagegen mehr Asylbewerber zugeteilt, die durchaus
       Perspektiven zumindest auf eine Duldung hätten. Insofern sei die Quote
       derer, die überhaupt tatsächlich abgeschoben werden könnten, sehr
       unterschiedlich und von den Kommunen selbst nicht beeinflusst.
       
       Auch in anderer Hinsicht sieht Meyer den MitarbeiterInnen der Landkreise
       weitgehend die Hände gebunden: etwa beim Besorgen von Passersatzpapieren.
       Die nicht zu bekommen, sei nicht „die Verantwortung einer schlampigen
       Verwaltung“. Eine Kommune sei schlicht nicht in der Lage, die
       Staatsrechtspolitik eines ausländischen Landes zu beeinflussen. Auch die
       schlechte Besetzung der Bundespolizei und fehlende Charterflüge könnte man
       nicht den Kommunen anlasten.
       
       In Niedersachsen ist, so man den Begriff benutzen möchte, ein Viertel der
       Abschiebungen erfolgreich. Laut Innenministerium sind die Hauptgründe für
       den Abbruch einer geplanten Abschiebung das Nicht-Antreffen der
       Betroffenen, Umbuchung des Flugs und aktiver oder passiver Widerstand der
       abzuschiebenden Person.
       
       Das System der Kennzahlen, so heißt es aus dem Haus, sei keine Erfindung
       des Ministeriums gewesen. Vielmehr habe der Landtag – ausgehend von einem
       Hinweis des Landesrechnungshofes – die Landeregierung aufgefordert, „auf
       Grundlage definierter Kennzahlen Optimierungspotenziale bei der Rückführung
       vollziehbar ausreisepflichtiger Personen durch die örtlich zuständigen
       kommunalen Ausländerbehörden zu eruieren“, so heißt es in der Antwort der
       Innenbehörde auf eine Anfrage der taz.
       
       Es sei dabei „wichtig festzuhalten“, dass „ein niedriger Wert bei der
       ermittelten Kennzahl noch keine Bewertung der von der jeweiligen
       Ausländerbehörde geleisteten Arbeit“ erlaube. Den Vorwurf, die zugrunde
       liegenden Zahlen seien unsinnig, weist das Ministerium zurück. Alle
       geduldeten Personen seien „vollziehbar ausreisepflichtig“.
       
       ## Unterstützung erwünscht
       
       Wozu das Verfahren gut ist, wenn die Kennzahlen nicht notwendigerweise
       Aufschluss über die Qualität der Arbeit vor Ort geben? Die Kommunen sollten
       prüfen, „ob Optimierungsbedarf bei der Einleitung aufenthaltsbeendender
       Maßnahmen besteht“, heißt es dazu relativ allgemein in der
       Ministeriumsantwort. Auch in der Frage der Verantwortlichkeit für
       erfolglose Abschiebungen wird man nicht sehr konkret: „Die Gründe“, so
       heißt es, „können sehr vielfältig sein. Diese konkret in Erfahrung zu
       bringen, sei Funktion der Schreiben an die Kommunen.
       
       Geht es nach denen, stellt das Ministerium sie möglichst rasch ein. Doch
       dort ist von solchen Plänen nichts bekannt. NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert
       Meyer wünscht sich statt Belehrungen Unterstützung – etwa bei der Aufgabe,
       Passersatzpapiere zu besorgen. Die Praxis des Kennzahlenvergleichs nennt er
       eine „sehr unschöne Art der Statistik“. Die Organisation der Abschiebungen
       sei ohnehin „einer der unangenehmsten Jobs, die wir haben, wir kümmern uns
       lieber um Integration“.
       
       ## Ungutes politisches Klima
       
       Glaubt man dem niedersächsischen Flüchtlingsrat, so ist die Diskussion um
       Abschiebezahlen ohnehin „fragwürdig“, so sagt es dessen Geschäftsführer Kai
       Weber. Seit 2015 hätte sich die Zahl der Geflüchteten verfünffacht, während
       sich die der Ausreisepflichtigen nur verdoppelt habe. Abschiebungen seien
       nicht dringlicher geworden, sondern das politische Klima habe sich
       verschärft.
       
       Innenminister Boris Pistorius (SPD) habe noch 2015 Aktivisten, die
       Abschiebungen blockierten, versichert, es sei legitim, sich so zu
       engagieren. Und in der Flüchtlingspolitik sollte nach der Ära Schünemann
       ein Paradigmenwechsel stattfinden mit einer Politik, die statt auf
       Abschiebungen auf freiwillige Rückkehr setzte. Stattdessen treibe nun
       bundesweit die AfD die Politiker der Mitte vor sich her.
       
       29 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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