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       # taz.de -- ZDF-Doku mit Joachim Gauck: Träumen vom Paradies
       
       > Das ZDF hat Altbundespräsident Joachim Gauck auf Deutschlandreise
       > geschickt. Anlass ist der 30. Jahrestag des Mauerfalls.
       
   IMG Bild: Schäuble handelte den Einigungsvertrag aus, Gauck verkörpert die Wiedervereinigung
       
       Unter allen deutschen Fernsehautoren dürfte Stephan Lamby, der Sohn eines
       Ministerialdirektors, derjenige sein mit dem besten Draht in die höchsten
       Kreise der Politik. [1][Mit Filmporträts von Helmut Kohl,] Angela Merkel
       und einigen mehr war er ganz nah dran. Und in diesem Jahr [2][jährt sich
       der Mauerfall zum 30. Mal.] Kurz gesagt: „Eine Erkundungsreise durch
       Deutschland, mit Joachim Gauck“ von Stephan Lamby (und Florian Huber) – ist
       im Fernsehprogramm 2019 ungefähr so überraschend wie die zu erwartende
       Weihnachtsansprache des amtierenden Bundespräsidenten.
       
       Gauck verkörpert mit seiner Biografie gewissermaßen die Wiedervereinigung.
       So wäre wohl nur Schäuble, der den Einigungsvertrag ausgehandelt hat, ein
       ähnlich qualifizierter, aber vielleicht etwas zu ungeduldiger
       Gesprächspartner gewesen. Denn darum soll es in dieser Bilanz von drei
       Jahrzehnten Einheit gehen: den gelernten Pastor ins Gespräch zu bringen mit
       einigen unterschiedlichen Menschen – darunter auch, wenig überraschend,
       Wolfgang Schäuble.
       
       „Die Wiedervereinigung ist auch eine Geschichte von Vorurteilen. Von
       ‚Ellbogenwessis‘ und ‚Jammerossis‘. Gibt es diese Klischees noch?“ Nicht
       dass die Autoren selbst vor sprachlichen Klischees zurückschrecken würden:
       „Privat hat das Paar die Einheit verwirklicht“, wissen sie etwa über Gauck
       und seine Lebensgefährtin.
       
       Gaucks „Weg“, der eine „Spurensuche“ sein soll, führt ihn zuerst nach
       Sachsen. „Ohne Austausch gibt es kein Verstehen“, kommentieren Lamby/Huber
       einmal aus dem Off. Nur um sich selbst zu widerlegen. Von Verständnis keine
       Spur, wenn Gauck mit dem Pegida-Mitgründer René Jahn und später mit der
       Ex-AfD-Sprecherin Frauke Petry zusammensitzt.
       
       ## Suggestives Filmemachen
       
       Petry spricht in einem Atemzug von „Statistik“ und: „Jeden Tag ’ne
       Messerstecherei – gefühlt!“ Gauck echauffiert sich darüber, dass sie
       „Ohnmacht“ sagt, wo sie nach seinem Dafürhalten „Ohnmachtsgefühl“ sagen
       müsste. Gerade bei den Gesprächen mit kontroversem Verlauf erweist es sich
       als Problem, dass der Zuschauer keine Gespräche sieht, sondern
       Zusammenschnitte von Gesprächen. Die Sendezeit ist begrenzt – aber was
       hindert das ZDF, die kompletten Gespräche in die Mediathek zu stellen?
       
       Viel mehr an Verständnis bringt Gauck jedenfalls auf, wenn ihm der
       Schriftsteller Navid Kermani freimütig bekennt: „Die Ostdeutschen waren,
       gerade weil sie Deutsche waren, mir unangenehm.“ Gauck: „Sie mochten
       Schwarzrotgold! Sie fanden Kohl gut! Sie waren stolz!“
       
       In Marianne Birthler trifft er [3][auf seine Nachfolgerin in der Leitung
       der Gauck-Behörde,] die daraufhin Birthler-Behörde hieß. Birthler: „Warum
       fährstn du mit zwei Autos?“ Gauck: „Ich bin noch eingestuft.“ Birthler:
       „Findst das nich’ lästig?“ Gauck: „Ja.“
       
       Lange vor seiner Präsidentschaft war Gauck 1990 als Bundesbeauftragter für
       die Stasi-Unterlagen ins Bewusstsein der meisten Deutschen getreten. Auch
       in das Lothar de Maizières, des letzten Ministerpräsidenten der DDR, der
       Gauck in herzlicher Abneigung verbunden geblieben ist: „Weil wir
       unterschiedlicher Auffassung waren zu dem, welche Rolle ich im Zusammenhang
       mit der Staatssicherheit gespielt habe.“
       
       Off-Text Lamby/Huber: „In den Wendewochen wurden Millionen Akten
       geschreddert, ehe die Gauck-Behörde sie sicherstellen konnte.“
       Bedeutungsschwere Pause, Bilder mit Säcken voller geschredderter Akten:
       „Von Lothar de Maizière wurde nie eine Verpflichtungserklärung entdeckt.“
       So geht suggestives Filmemachen.
       
       Zwischendurch führt Gauck „die Gemütslage“ vieler Ostdeutscher auch auf
       eine überzogene Erwartungshaltung zurück: „Wir träumten vom Paradies – und
       wachten auf in Nordrhein-Westfalen.“
       
       Ein richtiger Klopper kommt dann am Ende noch von Schäuble, spricht er doch
       tatsächlich von „zwei Gesellschaften, die sich aus Gründen, für die die
       Menschen alle nichts konnten, 40 Jahre lang so unterschiedlich entwickelt
       hatten“. Mit Verlaub, Herr Präsident (Schäuble ist Bundestagspräsident):
       Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg!
       
       9 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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