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       # taz.de -- Basketball-Star Dirk Nowitzki: Bodenständige Legende
       
       > Beim Abschied wollte er die Tränen nicht mehr verstecken: Dirk Nowitzki
       > hat sein letztes Heimspiel für die Dallas Mavericks absolviert.
       
   IMG Bild: „Dirki“ ist jetzt eine Art Übervater und spiritueller Führer der Basketball-Franchise am Trinity River
       
       Seine Helden waren zum Abschied gekommen: Charles Barkley, Detlef Schrempf,
       Larry Bird, Shawn Kemp und Scottie Pippen, dessen Poster einst im
       Jugendzimmer von Dirk Nowitzki in Würzburg hing. Der Deutsche, der nach 21
       Jahren seine Karriere bei den Dallas Mavericks beendet, stand ein bisschen
       verloren neben diesen Basketballgrößen, trat wie ein blonder Tanzbär von
       einem Bein aufs andere und versuchte, seine Emotionen in diesem Sturm der
       Zuneigung und des Respekts, der über dem 2,13 Meter großen Lulatsch in der
       Arena von Dallas zusammenschlug, in den Griff zu kriegen. „Ich versuche es
       mit meiner Yoga-Atemtechnik, aber es funktioniert nicht“, sagte er.
       
       Diesmal konnte er seine Tränen nicht verstecken, wie er es nach der
       Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking oder dem Gewinn der
       NBA-Meisterschaft 2011 mit seinen mittlerweile legendären Fluchten in die
       Kabine versucht hatte. Er durfte sich mit allem Kitsch, mit allem Pomp
       feiern lassen. Denn dieser Typ, der als schüchterner Teenie mit
       lächerlichem Haarschnitt in die beste Basketballliga der Welt gekommen war,
       hat sich selbst Legendenstatus erspielt. Er steht mittendrin in der
       Ahnenreihe der Barkleys, Birds und Jordans. Dass es diesem doch recht
       hüftsteifen Menschen aus Unterfranken gelungen ist, mehr Punkte zu erzielen
       als der große Wilt Chamberlain, dass ihm nun eine Liga zu Füßen liegt, dass
       nicht nur seine spielerischen Fähigkeiten gerühmt werden, das ist Teil
       einer Sportgeschichte, wie sie nur sehr selten geschrieben wird.
       
       In seinem [1][letzten Heimspiel] durfte Dirk Nowitzki unter dankbarer
       Duldung des Gegners, es waren die Phoenix Suns, 30 Punkte erzielen. Sie
       gönnten dem 40-Jährigen, der den Magnetismus der Schwerkraft in seinem
       Alter doppelt und dreifach spürt, sogar einen Dunk. Er drückte den Ball in
       die Reuse, und die Fans der Mavericks flippten schier aus, sahen sie doch
       einen Mann, der sich in seiner letzten Saison mehr schlecht als recht übers
       Parkett geschleppt hatte. Sein Knöchel machte ihm zu schaffen, sein
       gesamter Körper entwickelte sich mehr und mehr zum Krisengebiet. Für ihn
       lächerliche 7,1 Punkte warf er im Schnitt in seiner letzten Saison.
       
       „Es hat keinen Sinn mehr gemacht“, sagte Nowitzki nach dem Showact auf der
       Pressekonferenz, „ich habe so viele Pillen geschluckt und Spritzen
       gekriegt. Aber vom Mentalen her könnte ich noch weiterspielen.“ Zum ersten
       Mal sah er nicht verkleidet aus in einem Anzug, im Gegenteil, das hellgraue
       Teil, das er mit einem marinblauen Schlips kombiniert hatte, saß passgenau
       und diente vielleicht als Verweis auf seine künftigen Aufgaben im
       Verwaltungs- oder Trainerteam der Mavericks. Denn er wird in Dallas
       bleiben, logisch. „Dirki“, wie Teameigner Mark Cuban sagte, ist jetzt so
       eine Art Übervater und spiritueller Führer der Basketball-Franchise am
       Trinity River.
       
       ## Nicht zum Arschloch mutiert
       
       Nowitzki ist mit der Stadt, mit dem Team auf symbiotische Weise verwachsen.
       „Ich bin ein Texaner“, schleuderte er enthusiastischen Fans entgegen, und
       Cuban versprach ihm im Gegenzug „einen lebenslangen Job“ bei den Mavs. Der
       Dotcom-Milliardär kündigte auch an, eine Nowitzki-Statue vor der Arena
       errichten zu wollen. Bei den nicht enden wollenden Lobpreisungen des
       Deutschen, die meistens wirklich von Herzen kommen, steht vielleicht eine
       Aussage von Charles Barkley im Mittelpunkt: „Er ist der Netteste ever“,
       sagte der mittlerweile etwas rundlich gewordene Allstar. Und was soll man
       sagen? Barkley liegt nicht so falsch, denn Nowitzki, obwohl alles erreicht,
       hat sich nie professionell deformieren lassen.
       
       Es ist vielleicht seine größte Leistung, dass er nicht zum Arschloch,
       Angeber oder Großsprecher mutiert ist wie so viele seiner Sportkollegen,
       die von Fans und Medien in den Orbit der Aufmerksamkeit geschossen werden.
       
       Nowitzki blieb immer unten, dank einer verblüffenden Resistenz gegen die
       üblichen Verführungen der Branche. Geld? Interessierte ihn nie wirklich.
       Rampenlicht? War nur okay, wenn es sich um Deckenstrahler in einer
       Basketballhalle handelte. Posing? Geradezu lächerlich, wenn man ihn, die
       „Gym-Rat“, all die Jahre beobachtet hat. Skandale? Gab’s nur einen, als er
       eine Betrügerin ehelichen wollte, die seine Gutgläubigkeit offensichtlich
       auszunutzen gedachte. Doping? Gab es nie einen Verdacht, auch wenn der
       ehemalige NBA-Trainer George Karl in seiner Autobiografie mit recht
       eindeutigem Verweis auf den Deutschen schrieb: „Es ist offensichtlich, dass
       einige unserer Spieler Doping betreiben. Wie werden manche Männer älter,
       aber dünner und fitter? Wie erholen sie sich von Verletzungen? Warum fahren
       sie in der Nebensaison nach Deutschland? Ich bezweifle, dass es das
       Sauerkraut ist.“
       
       Komischerweise ist Nowitzki bei all der Zuneigung, die ihm jetzt
       dargebracht wird wie eine Opfergabe, ein gewöhnlicher Held geblieben.
       Alles, was nicht Basketball war, ist bei ihm ziemlich unspektakulär. Privat
       lebt er irgendwo im unterfränkischen Biedermeier, in dem Familie und sein
       Mentor Holger Geschwindner die wichtigsten Rollen spielen. Sein Sport fand
       hingegen in einer anderen Galaxie statt. Dass er beide Welten stets
       zusammenbringen konnte, ohne abzudrehen oder seine Herkunft zu verraten,
       das ist das eigentlich Spektakuläre an seiner Karriere. Weil er wusste, wo
       seine Wurzeln verlaufen, konnte er auch als internationaler Superstar stets
       sagen: „Ich bin ein lockerer Typ, normalerweise kommt jeder gut mit mir
       klar.“ Da ist er wieder: Dirki, der nahbare Supershooter, der zwar die
       Medien nicht so richtig mag, aber begriffen hat, worauf es ankommt in der
       hypertrophen NBA-Welt: Etwas von sich hergeben, ohne die eigene Mitte zu
       verlieren.
       
       ## Geschwindner hat einen Rohdiamanten geschliffen
       
       Als sich Dirk Nowitzki Mittwochnacht in Dallas bei allen bedankte, auch
       beim Vater und der Schwester, die in der Halle saßen, da vergaß er einen:
       Holger Geschwindner. Vielleicht war es die Aufregung oder die
       atemberaubende Parade seiner Heroen, aber wie dem auch sein, dieser Holger
       Geschwindner hat Nowitzki erst zu dem gemacht, der er heute ist.
       
       Der ehemalige deutsche Nationalspieler hat sich den 16-jährigen Nowitzki
       geschnappt und sein Talent in einer muffigen Turnhalle in Rattelsdorf
       ausgebaut. Er hat einen Rohdiamanten geschliffen, ihn zum Funkeln gebracht.
       Das Verhältnis Nowitzkis zu diesem älteren Herrn, der „seine Sachen nur
       selten wechselt“, wie ein Schulfreund in einer Doku sagte, ist speziell.
       Geschwindner, der sich als studierter Physiker durchaus in einer Rolle des
       Mad Scientist sieht, hat nicht nur seine Wurf-Software Dirkometrix
       entwickelt, sondern auch Dutzende Trainingswerkzeuge, mit denen er seinen
       Schützling immer besser machte. Bis zuletzt griff Geschwindner ein, wenn
       bei Nowitzki Schludrigkeiten sichtbar wurden, zum Beispiel wenn der Wurfarm
       nicht mehr schnurgerade nach vorne schnellte oder die Endgeschwindigkeit im
       Handgelenk plötzlich variierte. Er war sein Korrektiv, seine Rettung, die
       immer kam, wenn Nowitzki Hilfe brauchte.
       
       „Wenn so einer geht, dann verändert das die Landschaft“, sagte sein
       langjähriger Trainer Rick Carlisle am Mittwoch. „Es wird nicht das Gleiche
       ohne ihn sein.“ Dirk Nowitzki hat nicht nur als Typ Eindruck hinterlassen
       in dieser Liga, sondern auch als ein Schlaks, der von außen treffen konnte
       wie die kleinen Dribbler. Damit hat „Dirkules“ nebenbei die Ära der großen,
       technisch versierten Allrounder in der NBA eingeleitet.
       
       10 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kolumne-Henningway/!5582163
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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