URI: 
       # taz.de -- Abschiebung in Nürnberg: Die Tochter des Dissidenten
       
       > Ende März wurden ein vietnamesischer Oppositioneller und seine Frau
       > abgeschoben. Jetzt hofft ihr Kind auf eine Aufenthaltsgenehmigung.
       
   IMG Bild: Hong An beim Konzert in Nürnberg
       
       Nürnberg taz | Hong An steht im zitronengelben Festkleid auf der Bühne des
       Heilig-Geist-Saals. Sie verbeugt sich mit ernstem Gesicht. Erst als der
       Beifall des Publikums nicht abreißt, kommt ein Lächeln auf ihr Gesicht.
       
       Hong An studiert Klavier an der Hochschule für Musik in Nürnberg. Ihre
       Professoren sprechen von ihr als einer musikalisch begabten,
       hochintelligenten Studentin mit herausragender Disziplin. Eine
       Musterstudentin. Aber nicht das ist der Grund, warum die 19-jährige
       Vietnamesin heute hier spielt.
       
       Ihre Kommilitonen und Professoren, von denen viele ebenfalls spielen, haben
       das Konzert für sie organisiert. Ende März waren ihre Eltern nach Vietnam
       abgeschoben worden. Sie selbst blieb davon lediglich verschont, weil ihr
       vietnamesischer Reisepass abgelaufen ist. Hong Ans Vater ist
       Menschenrechtler und Autor, er wurde 1979 wegen „Propaganda gegen den
       sozialistischen Staat“ zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt, von
       der er 17 Jahre absitzen musste.
       
       Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat den Asylantrag der
       Familie dennoch abgelehnt. Denn es sei nicht erwiesen, dass sich die
       Regierung in Hanoi heute noch für die publizistische Tätigkeit des Mannes
       interessieren würde, stand in dem Bescheid. „Die Bearbeitung des
       Asylverfahrens wurde inzwischen überprüft“, teilt das Bamf der taz mit. „Im
       Ergebnis wird an der getroffenen und gerichtlich überprüften Entscheidung
       festgehalten.“ Nur die Tochter soll eine neue Anhörung bekommen. Sie war
       zum Zeitpunkt der ersten Anhörung noch minderjährig, jetzt ist sie
       volljährig.
       
       ## Auf Hilfeleistungen von Verwandten angewiesen
       
       Susanne Veeh vom Studentischen Konvent der Musikschule hat vor gut einer
       Woche aus der Zeitung erfahren, in welcher Situation ihre Kommilitonin
       steckt. „Wir haben spontan überlegt, wie wir Hong An helfen können“, sagt
       die Gesangsstudentin. Studentinnen besuchten Hong An im Flüchtlingswohnheim
       und kochten mit ihr. Denn allein hatte die 19-Jährige über Tage nicht
       gegessen und kaum geschlafen.
       
       Dann merkten sie, dass Hong An dringend Geld brauchte. Bis dahin hatte sie
       von dem wenigen gelebt, was ihr Vater mit seiner publizistischen Tätigkeit
       verdiente. Anträge auf Bafög und auf ein Stipendium der Hochschule sind
       inzwischen gestellt. Aber Hong Ans Vater, der an Diabetes leidet und in
       Deutschland einen Schlaganfall erlitt, ist von starken Herzmedikamenten
       abhängig, die er nicht mit nach Vietnam nehmen konnte. Dort bezahlt sie ihm
       niemand.
       
       Die Eltern sind als Dissidenten zudem sozial ausgegrenzt und seit ihrer
       Rückkehr nach Vietnam auf Hilfeleistungen von Verwandten angewiesen. Doch
       die Regierung mache Druck, dass die Verwandten den 65-Jährigen und seine
       Frau auf die Straße setzen sollen, sagt Hong An. „Genau weiß ich nicht, wie
       das abläuft. Sie können am Telefon nicht offen sprechen, die Gespräche
       werden abgehört.“
       
       Susanne Veeh und die anderen Studenten stellten das Konzert auf die Beine:
       Der Erlös sollte Hong An zugutekommen. Für Medikamente für den Vater. Aber
       die Studentin braucht auch Geld für den Anwalt.
       
       ## Bis Juli nicht abgeschoben
       
       Auch die Vereinigung der vietnamesischen Flüchtlinge in Nürnberg und
       Mittelfranken hat nicht von der Familie selbst von ihrer Not erfahren, sagt
       deren Vertreter Nguyen The Bao. Von Landsleuten aus Frankreich war er
       informiert worden, dass Nguyen Quang Hong Nhan, der vietnamesische
       Menschenrechtler und Autor, und seine Frau abgeschoben wurden und dass die
       Tochter vielleicht Hilfe brauchen könne. „Sie war in einem so erbärmlichen
       Zustand, dass wir als Verein sagten: Das Mädchen lassen wir nicht mehr los.
       Wir tun alles, damit sie in Deutschland bleiben kann.“
       
       Warum hat die Familie bis zu ihrer Abschiebung niemanden über ihre
       schwierige Situation informiert, der hätte helfen können? Die
       Musikstudentin hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass ihre
       Mitstudenten, Professoren, Landsleute und viele Nürnberger ihr helfen
       würden. Sie fürchtete, so eine Polizeiaktion würde Schande über ihre
       Hochschule bringen.
       
       Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Da spielt eine Rolle, dass der Vater
       als ehemaliger politischer Gefangener schwer anderen Menschen trauen kann,
       wie aus seinem Umfeld zu hören ist. Nachdem Asylantrag und Folgeantrag
       abgelehnt wurden, traute er auch den Deutschen nicht mehr. Seine Hoffnung
       setzte er in die Weiterwanderung nach Kanada. Doch dazu hätten sie ein
       Interview in der kanadischen Botschaft in Wien absolvieren müssen. Dorthin
       aber durften sie wegen der Residenzpflicht nicht reisen.
       
       Für Hong An sieht es nicht ganz aussichtslos aus, dass sie in Deutschland
       bleiben kann. Ihr Hochschulpräsident hat dem bayerischen Innenminister
       Joachim Herrmann (CSU) das Versprechen abgerungen, dass sie bis Juli nicht
       abgeschoben wird. Bis dahin hat sie den Bachelor in der Tasche und die
       Aufnahmeprüfung zum Masterstudium absolviert.
       
       Bis dahin lebt sie aber auch vier Jahre in Deutschland und kann von einer
       Bleiberechtsregelung für besonders gut integrierte junge Flüchtlinge
       profitieren. „Ich bin 19 Jahre alt. Meine Eltern haben alles für mich
       getan. Ich habe noch nichts für meine Eltern getan“, sagt Hong An. „Ich
       fühle mich schuldig an ihrem Schicksal. Bisher war ich immer sehr leise.
       Aber so möchte ich nicht mehr sein.“
       
       12 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
       ## TAGS
       
   DIR Flüchtlinge
   DIR Abschiebung
   DIR Vietnam
   DIR Nürnberg
   DIR Joachim Herrmann
   DIR Brand
   DIR Abschiebung
   DIR Vietnam
   DIR Abschiebung
   DIR Abschiebung
   DIR Vietnam
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Brand im Dong-Xuan-Center in Berlin: Schweres Feuer im Einkaufszentrum
       
       In dem asiatischen Großmarkt Dong-Xuan-Center ist am Donnerstag ein Feuer
       ausgebrochen. Großhändler haben viele Waren verloren.
       
   DIR Vietnamesischer Autor aus Nürnberg: Behörde verteidigt Abschiebung
       
       Das Flüchtlingamt hält die Abschiebung eines Menschenrechtlers immer noch
       für richtig. Dessen Bedeutung als Schriftsteller sei übertrieben.
       
   DIR Präsident Trong scheut Öffentlichkeit: Vietnamesen rätseln um Staatschef
       
       Staatsmedien räumen ein, Nguyen Phu Trong habe gesundheitliche Probleme.
       Experten zufolge soll es einen Kampf um die Nachfolge geben.
       
   DIR Nobelpreis-Kandidat aus Vietnam: Opposition kritisiert Abschiebung
       
       Bayern hat einen Regierungskritiker und dessen Frau nach Hanoi abgeschoben.
       Es schalten sich Flüchtlingsrat, Grüne und FDP ein.
       
   DIR Abschiebung nach Vietnam: One-Way nach Hanoi
       
       Die bayerischen Behörden schieben einen Schriftsteller und seine Frau nach
       Vietnam ab – obwohl der Mann dort als „Volksfeind“ geführt wird.
       
   DIR Wirtschaftsminister besucht Vietnam: Geschäfte mit dem Kidnapperstaat
       
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier besucht mit einer
       Wirtschaftsdelegation Vietnam. Auf dem Programm fehlen
       Menschenrechtsfragen.