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       # taz.de -- Whistleblower Ellsberg zu Julian Assange: „Für journalistische Arbeit angeklagt“
       
       > Whistleblower Daniel Ellsberg glaubt, dass der Fall Assange in Verbindung
       > steht mit den Eskalationen des US-Präsidenten gegen die Presse.
       
   IMG Bild: „Embassy Cat“, die Katze von Julian Assange, soll in Sicherheit sein, laut Wikileaks.
       
       taz: Die meisten Aktivisten haben sich längst von Julian Assange abgewandt.
       Aber Sie unterstützen ihn weiterhin. Warum? 
       
       Daniel Ellsberg: [1][Wenn Julian in den USA vor ein Gericht käme], hätte er
       keine Chance auf einen fairen Prozess. Wer unter dem Spionagegesetz oder
       unter irgendeinem anderen Gesetz angeklagt wird, das benutzt wird, um
       offizielle Geheimnisse zu schützen, darf im Gerichtssaal nicht über seine
       Motive sprechen. Dabei spielt es keine Rolle, ob seine Enthüllungen über
       unrechtmäßiges Handeln eine positive Wirkung hatten, [2][wie bei Ed
       Snowden], der die Überwachungsmechanismen angeprangert hat, oder bei den
       Pentagon Papers, die dazu beigetragen haben, den Vietnamkrieg abzukürzen.
       Als meine Anwälte in meinem Prozess gefragt haben, warum ich die Pentagon
       Papers an die Öffentlichkeit gebracht habe, erklärte der Staatsanwalt die
       Frage für irrelevant.
       
       2010 waren Sie selbst an Assanges Enthüllungen beteiligt. 
       
       Er hat mich zu einer Pressekonferenz in London eingeladen, um die
       Irakkriegsprotokolle vorzustellen. Es war seine dritte Veröffentlichung.
       Und ich habe sie definitiv unterstützt, weil sie dem öffentlichen Interesse
       diente. Die erste Veröffentlichung war das Video „[3][Collateral Murder]“.
       [Das zeigt, wie irakische Zivilisten, darunter auch Journalisten, aus einem
       US-Militärhubschrauber erschossen werden; d. Red.] Die zweite
       Veröffentlichung waren die afghanischen Kriegsprotokolle. In den Tagen nach
       der Pressekonferenz hatte ich mehrere Gespräche mit Julian. Obwohl später
       auch die unredigierten Versionen der Kriegsprotokolle an die Öffentlichkeit
       kamen, gibt es keine Beweise dafür, dass sie jemandem geschadet haben.
       
       Im Gegenteil. Die Welt hat Details von Kriegsverbrechen erfahren. 
       
       Nehmen Sie den Irak. Es kam heraus, dass die USA über die Grausamkeiten
       von US-Soldaten informiert waren und jeden Versuch, diese juristisch zu
       verfolgen, verhindert haben. Diese Enthüllung führte dazu, dass die
       irakische Regierung sich weigerte, einem Stationierungsabkommen
       zuzustimmen, das amerikanische Soldaten vor juristischer Verfolgung im Irak
       schützen würde. Das wiederum zwang Präsident Obama, sich an den von der
       Bush-Regierung vereinbarten Truppenabzug aus dem Irak zu halten. Für mich
       war das ein gutes Ergebnis. Aber es war zugleich eines, das nicht vor
       Gericht diskutiert werden konnte. [4][Chelsea Manning] hat weitere
       Kriegsverbrechen enthüllt. Zum Beispiel, dass Gefangene – darunter
       Zivilisten – an irakische Truppen übergeben wurden, obwohl bekannt war,
       dass sie gefoltert werden würden.
       
       Im Vergleich zu den Whistleblowern ist Assange nur wegen einer
       verhältnismäßig kleinen Sache angeklagt. Statt von Spionage ist von
       „Hacking“ die Rede. 
       
       Das Justizministerium hat da einen falschen Eindruck vermittelt. Er ist
       nicht wegen Hacking angeklagt. In seiner Presseerklärung war in der
       Überschrift von Hacking die Rede. Aber Chelsea Manning war eine echte
       Whistleblowerin. Sie hatte Zugang zu geheimen Daten, und sie wurde dafür
       verurteilt, dass sie diese Daten veröffentlicht hat. Julian Assange ist für
       Dinge angeklagt, die ganz normaler Bestandteil von journalistischer Arbeit
       und Recherche sind.
       
       Nämlich? 
       
       Die Anklage nennt Julians Bemühung, die Anonymität von Chelsea zu schützen,
       und sie erwähnt seine Aufforderung an Chelsea, weitere Dokumente zu
       besorgen. Beides ist Routine in der Arbeit von investigativen Journalisten.
       Die Anklage vermittelt den Eindruck, dass es Julian war, der Chelsea
       erlaubt hätte, Zugang zu geheimen Dokumenten zu bekommen. Aber nach ihrer
       eigenen Aussage hatte sie den Zugang bereits mit ihrem eigenen Usernamen.
       Es ging darum, ihre Anonymität mit einem Passwort zu schützen. Die
       Anonymität hat sie im Übrigen selbst aufgegeben, als sie mit einem
       Informanten sprach. Anstatt einer Anklage wegen Spionage, die sämtliche
       Nachrichtenorganisationen aufgebracht hätte, oder einer Anklage wegen
       verschlüsselter Kommunikation, die alle investigativen Journalisten
       aufgebracht hätte, konzentriert sich diese Anklage auf eine Passwortfrage,
       die enger wirkt.
       
       Sie betrachten Assange als einen Stellvertreter. Und sagen, dass mit der
       Anklage gegen ihn [5][die Medien insgesamt gemeint sind] – die Leute, die
       der US-Präsident als „Feinde des Volkes“ bezeichnet? 
       
       Ich betrachte es als Schuss auf Journalisten und Verleger, die sich
       investigativem Journalismus widmen. Es ist eine Eskalation von Trumps Krieg
       gegen die Presse, die er in Tweets als Feind des Volkes bezeichnet.
       
       Ein hartes Vorgehen gegen Whistleblower [6][ist in den USA nicht neu]. 
       
       US-Regierungen versuchen seit Jahren, Whistleblowing zu verhindern. Unter
       Obama gab es eine nie zuvor da gewesene Menge juristischer Verfolgungen von
       Quellen. Aber Trump geht jetzt von den Quellen zu den Überbringern über: zu
       den Journalisten, die die Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Im
       Falle von Julian hatte Obama alle Fakten und ein starkes Interesse, ihn
       hinter Gitter zu bringen. Aber seine Regierung entschied, dass ihre Beweise
       nicht für eine Anklage reichen.
       
       [7][So lange Ecuador seine schützende Hand über ihn hielt], wäre es schwer
       gewesen, an ihn heranzukommen. 
       
       Laut New York Times hat es sowohl unter der Obama-Regierung als auch unter
       Trump Treffen mit Ecuador gegeben. Präsident Lenín Moreno wollte
       Schuldenerlass und bessere Beziehungen mit den USA. Jetzt hat er Milliarden
       von IWF und Weltbank, wo die USA eine starke Rolle spielen, erhalten. Laut
       Wall Street Journal haben die USA zwei Bedingungen gestellt, um Morenos
       Wunsch zu unterstützen. Die eine war, Assange aufzugeben, die andere war
       es, die Anklage gegen den Ölkonzern Chevron wegen der Ölverschmutzung des
       Amazonasgebiets einzustellen.
       
       Was sagen Sie zu [8][Assanges Unterstützung] für Donald Trump? 
       
       Das war eine extrem schlechte Einschätzung. Ich kann nur vermuten, dass er
       in Hillary diejenige sah, die zu seiner Inhaftierung drängte. Aber der
       Gegner war Donald Trump. Allerdings war Julian nicht allein. Es gab viele,
       die gegen Hillary waren und nicht glaubten, dass Trump schlimmer war als
       sie. Zum Beispiel jene, die für die Grüne Kandidatin Jill Stein gestimmt
       haben. Darunter auch eine Menge Freunde von mir. Aber bei Julian sollte man
       nicht unterschätzen, dass er jahrelange in einem einzigen Raum lebte. Wenn
       mir das passierte, würde ich meinem eigenen Urteil nicht trauen.
       
       Hätte Wikileaks die gehackten Dokumente aus dem
       Hillary-Clinton-Hauptquartier 2016 nicht veröffentlichen sollen? 
       
       Ich meine Julians politisches Urteil und die Tweets, in denen er zeigte,
       dass er stark gegen die Kandidatur von Hillary war. Seine Enthüllungen
       sollten vermutlich der Kandidatur von Hillary schaden und seine
       Unterstützung für Trump zeigen. Damit war ich nicht einverstanden, weil die
       Aussicht auf Donald Trump extrem bedrohlich war. Aber ich sage nicht,
       Julian hätte die Enthüllungen zurückhalten sollen. Sie wären vermutlich
       woanders erschienen.
       
       Was würde passieren, wenn Assange an die USA ausgeliefert würde? 
       
       Ich glaube nicht, dass Trump und die Geheimdienstcommunity sich mit fünf
       Jahren zufriedengeben werden. Ich glaube, sie wollen ihn lebenslänglich
       hinter Gittern. In meinem Fall gab es ursprünglich auch nur drei Anklagen,
       was maximal 25 Jahre bedeutet hätte, aber am Ende des Jahres waren daraus
       12 Anklagen geworden, was bis zu 115 Jahre in Gefängnis bedeutet hätte.
       
       Sie glauben, dass die aktuelle Anklage nur der Anfang ist? 
       
       Ich glaube, dass diese Anklagen dazu dienten, Großbritannien dazu zu
       bringen, ihn auszuliefern. Und Ecuador zu ermuntern, ihn fallen zu lassen.
       Wenn er erst mal hier ist, kann die Anklage erweitert werden. Die
       US-Regierung wollte einen Angeklagten haben, um die Veröffentlichung von
       geheimen Daten illegal zu machen. Und sie wollte die einhellige
       Unterstützung durch Journalisten und die Verfassungsbedenken durch
       Rechtsgelehrten verhindern. Dafür wäre auch ein Blogger infrage gekommen.
       Über den würden manche ebenfalls sagen: „Das ist kein echter Journalist.“
       Assange ist unpopulär und wird als unsympathisch porträtiert. Ich
       widerspreche in diesem Punkt. Denn ich kenne ihn persönlich.
       
       Die [9][Whistleblowerin Chelsea Manning] hat sieben Jahre im Gefängnis
       verbracht, bevor Präsident Obama sie am Ende seiner Amtszeit vorzeitig aus
       der Haft entließ. Aber seit März ist sie erneut hinter Gittern. Der Grund:
       Sie hat es abgelehnt, vor der Grand Jury – die die Anklage gegen Julian
       Assange geschrieben hat – auszusagen. Was bedeutet Assanges Festnahme für
       Chelsea Manning? 
       
       Ich bin kein Anwalt. Aber mich erinnert das an meinen Mitangeklagten Tony
       Russo. Dem wurde damals auch Immunität angeboten, wenn er vor der Grand
       Jury aussagte. Aber er hat das aus denselben Gründen wie jetzt Chelsea
       Manning abgelehnt: weil es ein geheimes Verfahren war, undemokratisch und
       nicht verfassungskonform. Daraufhin haben sie ihn wegen Missachtung der
       Justiz belangt. Nachdem er einen Monat im Gefängnis war, haben sie das
       fallen gelassen und ihn mit mir angeklagt.
       
       Raten Sie jungen Leuten trotz der hohen Risiken zum [10][Whistleblowing]? 
       
       Ich ermuntere niemanden, seine Karriere wegen kleinerer Enthüllungen aufs
       Spiel zu setzen. Das ist es nicht wert. Aber es gibt Amtsträger, die Zugang
       zu Informationen haben, die einen ungerechtfertigten Krieg verhindern oder
       verkürzen oder die Verfassung schützen könnten. Wo das der Fall ist,
       sollten Leute erwägen, den hohen Preis zu zahlen. Hätte es 2002 unter den
       Tausenden von Leuten, die wussten, dass wir auf dem Weg zu einem
       Angriffskrieg im Irak waren, eine Chelsea Manning oder einen Ed Snowden
       gegeben, hätte der Krieg nicht stattgefunden. Das hätte Hunderttausende
       Menschenleben, vielleicht sogar Millionen, gerettet.
       
       14 Apr 2019
       
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