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       # taz.de -- Kommentar Nach der Wahl in Israel: Warum Netanjahu gewann
       
       > Sicherheit ist für die Israelis das alles dominierende Thema. Das stärkt
       > das rechte Lager. Ändern könnten das nur die Palästinenser.
       
   IMG Bild: Er bleibt wohl Regierungschef: Benjamin Netanjahu
       
       Wer schon einmal die weltoffenen Israelis in den Tel Aviver Cafés
       kennengelernt und anschließend vielleicht noch in einem Kibbuz ein paar
       Tage ausgespannt hat, der fragt sich unweigerlich: Wie kann [1][Benjamin
       Netanjahu bloß die Wahlen gewonnen haben]? Und wieso geben angesichts von
       quasi Schweizer Preisen im Super- und auf dem Wohnungsmarkt nicht ohnehin
       mehr Israelis linken Parteien ihre Stimme?
       
       Die Antwort ist gar nicht so kompliziert. In der europäischen Wahrnehmung,
       aber auch in der von so manchem israelischen Linksliberalen, ist das
       „echte“ Israel immer noch das der sozialdemokratischen
       Staatsgründer*innen – und der Rechtsruck eine Art Betriebsunfall. Die
       „richtigen“ Israelis, das sind solche wie Schimon Peres oder Jitzhak
       Rabin, David Ben Gurion, Golda Meir oder Amos Oz, die alte Elite mit
       Wurzeln in Europa, die den jungen Staat prägte und später auch den
       Friedensprozess in Gang setzte.
       
       Aber dieses Israel existiert schon lange nicht mehr. Heute ist das Land
       mehrheitlich tatsächlich das, wofür Netanjahu steht: rechter,
       konservativer, wirtschaftsliberaler und amerikanischer als in den ersten
       drei Jahrzehnten. Und ähnlich wie in Trumps Anhängerschaft stehen auch in
       Israel viele aus dem rechten Spektrum der „linken Elite“ misstrauisch bis
       feindselig gegenüber.
       
       Im Zweifel also denjenigen, die in den Cafés in Tel Aviv sitzen oder im
       idyllischen Kibbuzim leben. Netanjahus Wähler wohnen in Orten wie Petach
       Tikwa, Bet Schemesch, Sderot oder Modi’in. Es ist die Peripherie, die ihn
       und seine Verbündeten stark macht.
       
       Auch für die erstaunlich geringe Bedeutung der sozialen Probleme bei den
       Wahlen gibt es eine Erklärung. Umfragen belegen: Das Thema Sicherheit ist
       nach wie vor die alles entscheidende Frage für die Israelis. Viele mögen
       Netanjahu vielleicht nicht, seine Unbescheidenheit, die Arroganz der Macht
       und die Schmutzkampagnen gegen seine politischen Gegner.
       
       Doch sie schätzen ihn als einen Regierungschef, der ihnen ein halbwegs
       sicheres Leben ermöglicht. Und sie haben nicht vergessen, dass Netanjahu
       vor dem Abzug aus dem Gazastreifen, aus dem heute so viele Raketen fliegen,
       gewarnt hatte. Wen kümmern da schon die Korruptionsvorwürfe?
       
       ## „Land gegen Frieden“
       
       Auch der Herausforderer Benny Gantz setzt als ehemaliger Armeechef auf das
       Thema Sicherheit. Doch General zu sein, das reicht inzwischen nicht mehr.
       Schließlich hat Ehud Barak, ebenfalls ehemaliger Generalstabschef,
       seinerzeit als Premierminister gerade in der Sicherheitsfrage völlig
       versagt; unter seiner Führung brach die Zweite Intifada aus.
       
       Kurzum: Derzeit haben die politischen Kräfte jenseits des rechten Lagers
       keine Chance. Und, so paradox es klingen mag, nur die arabische Seite kann
       daran etwas ändern. Da wären zum einen die Palästinenser mit israelischem
       Pass, die sogenannten israelischen Araber. Sie haben wegen geringer
       Wahlbeteiligung nur 10 von 120 Sitzen gewonnen.
       
       Ohne Boykottaufrufe, mit hoher Wahlbeteiligung könnten sie ihre Mandate
       nahezu verdoppeln und den Abstand, mit dem das rechte Lager vorne liegt,
       dahinschmelzen lassen. Zum anderen müssten sich die politischen
       Verhältnisse im Gazastreifen ändern. Es brodelt dort schon lange, die
       Proteste gegen die islamistische Hamasregierung nehmen zu.
       
       Würden aus dem Gazastreifen nicht länger Raketen abgefeuert, „Feuerdrachen“
       zwecks Brandstiftung nach Israel losgeschickt und die Grenze gestürmt,
       mischten sich die Karten neu. Die Verhandlungsformel „Land gegen Frieden“,
       die für das linksliberale Lager bis hin zur politischen Mitte immer von
       zentraler Bedeutung war, bekäme wieder Sinn. Utopisch ist das nicht. Auf
       beiden Seiten erinnern sich noch viele, nicht selten mit Wehmut, an die
       Zeiten, als die Israelis am Sabbat mal eben zum Humusessen nach Gaza fuhren
       und die Palästinenser ihr Auskommen in Israel fanden.
       
       12 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wahlerfolg-fuer-Netanjahu-in-Israel/!5584784
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Silke Mertins
       
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