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       # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Ausflug ins Völkerstrafrecht
       
       > Der Tod des inhaftierten Milizenführers Ignace Murwanashyaka ist ein
       > Debakel für den Versuch, in Deutschland Kriegsverbrechen zu ahnden.
       
   IMG Bild: Konnte seine Deckung bis zu seinem Tod aufrecht erhalten: FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka
       
       Neun Jahre und fünf Monate minus einen Tag saß Ignace Murwanashyaka in
       deutscher Haft. Am 16. April 2019 ist der Präsident der Demokratischen
       Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), jener von Tätern des ruandischen
       Völkermordes gegründeten Miliz im Kongo, schwer krank als Gefangener [1][in
       der Universitätsklinik Mannheim gestorben].
       
       Es ist das bestürzende Ende eines Justizfalls, dessen Bedeutung weit über
       Deutschland hinausgeht. Der „Fall Ignace M.“, auf den die taz als erstes
       deutsches Medium vor genau elf Jahren aufmerksam machte, ist der Fall einer
       bewaffneten Exilgruppe, die sich das Machtvakuum in der Demokratischen
       Republik Kongo zunutze machte, um von dort aus Ruanda zurückzuerobern. Ihr
       Gedankengut war das des ruandischen Völkermordes, und in Kongos Wäldern
       errichteten die Hutu-Kämpfer eine Terrorherrschaft. Ihr politischer Führer
       agierte von Deutschland aus. Man kann über Deutschlands Rolle in Afrika
       nicht ehrlich reden, ohne diesen Skandal zu thematisieren.
       
       Am 17. November 2009 wurde die FDLR-Führung in Deutschland verhaftet, von
       2011 bis 2015 saßen Ignace Murwanashyaka und sein Stellvertreter Straton
       Musoni [2][auf der Anklagebank in Stuttgart]. Es war Deutschlands erster
       Völkerstrafrechtsprozess. Die Justiz wollte wissen, ob ihr neues
       Völkerstrafgesetzbuch funktioniert. Sie biss sich die Zähne aus.
       
       Der Mammutprozess ergab lediglich die Verurteilung Murwanashyakas als
       Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung sowie wegen Beihilfe zu vier
       Kriegsverbrechen. Ende 2018 hob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das
       Beihilfeurteil wieder auf und setzte einen neuen Prozess an. Nun ist
       Murwanashyaka tot, bevor der neue Prozess beginnen konnte. Das
       Versuchskaninchen hat den Versuch nicht überlebt.
       
       Ähnlich wie schon bei den Den Haager Prozessen gegen Kongos
       Ex-Rebellenführer Jean-Pierre Bemba und gegen den Expräsidenten der
       Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, zeigt sich: Der einst als revolutionärer
       Durchbruch gegen Straflosigkeit gefeierte Rechtsbegriff der
       „Vorgesetztenverantwortlichkeit“ ist ein stumpfes Schwert. Die Gerichte
       schaffen es nicht, jemanden als Befehlshaber eines Verbrechens zu belangen,
       der weder dort war noch den konkreten Befehl erteilt hat – selbst wenn
       ansonsten seine Stellung in der Täterorganisation maßgeblich ist für das,
       was diese Organisation überhaupt tut, wie sie ihren Kampf rechtfertigt, wen
       sie als Feind definiert, welches Vorgehen sie für legitim hält und welche
       Mittel sie einsetzt.
       
       Nicht nur eine militärische Kommandoverantwortlichkeit, sondern auch eine
       politische Gesamtverantwortung müsste justiziabel sein. Sie ist es aber
       nicht, und so verstricken sich die Juristen im Klein-Klein. Schon
       Murwanashyakas Verurteilung wegen Beihilfe 2015 gründete lediglich auf
       seinem Kauf von Telefoneinheiten sowie dem Verfassen von Presseerklärungen,
       also administrativen Hilfstätigkeiten.
       
       Das Revisionsurteil von 2018 [3][zerpflückt das gnadenlos]: Das
       erstinstanzliche Urteil weise nicht nach, dass Murwanashyaka „im Einzelnen
       über die Strategie“ der FDLR-Kämpfer im Kongo informiert war, monieren die
       Karlsruher Richter und formulieren dann noch: „Der Schluss von dem Umstand,
       dass dem Angeklagten Anlass sowie Art und Weise des militärischen Vorgehens
       bekannt waren, auf die Kenntnis oder die billigende Inkaufnahme von
       hierdurch nicht gebotenen Gewaltexzessen lässt sich nicht ohne weiteres
       nachvollziehen.“
       
       Deutsche Juristen können das vielleicht nicht nachvollziehen, Kongolesen
       aber schon. Anfang 2009 wurde der FDLR-Exilstaat im Ostkongo von den Armeen
       Kongos und Ruandas mithilfe lokaler Milizen zerschlagen. Die
       FDLR-Hauptquartiere im Dschungel wurden zerstört, die Hutu-Kämpfer
       zerstreuten sich und übten Rache. Dörfer wurden nachts angegriffen, Hütten
       angezündet, Menschen verbrannt, Frauen vergewaltigt, Bewohner zerstückelt,
       erschossen, erschlagen.
       
       ## Murwanashyaka wird zum Märtyrer. War es das wert?
       
       „Alles, was atmet, wird entfernt“, lautete der Einsatzbefehl beim Angriff
       auf den Ort Busurungi in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2009, wo
       mindestens 96 Menschen getötet wurden. „Glückwunsch“, stand auf der
       Erfolgsmeldung an alle FDLR-Einheiten am Tag danach. „Wir waren
       erfolgreich, wir haben Ernte gemacht“, berichtete der höchste FDLR-General
       im Kongo seinem Präsidenten in Deutschland vier Tage später am Telefon.
       
       Der erörterte daraufhin mit seinen Kollegen, wie man das öffentlich
       dementiert. Die Formulierung „Wir greifen nachts an, und es ist schwer“
       fand der FDLR-Präsident nicht so gut: „Wenn man jetzt eine Erklärung
       abgibt, dann sagt man natürlich ‚Wir wussten nichts davon‘“, befand er. Für
       den Fall, dass UN-Ermittler Busurungi untersuchen, wies der Präsident an:
       „Bereitet eine Mannschaft und Flüchtlinge vor, die sich mit ihnen treffen,
       und bereitet das vor, was sie ihnen sagen werden.“
       
       All das ist aktenkundig. Dennoch behaupten die Bundesrichter, man könne
       daraus nicht auf Murwanashyakas „Kenntnis oder billigende Inkaufnahme“
       schließen. Sie fragen sich auch, welche „Vorstellungen“ Murwanashyaka von
       den Angriffen hatte. Sie hätten sich sein Abschlussplädoyer in Stuttgart
       anhören können, als der FDLR-Präsident nach dem Muster „Ich kann auch
       anders“ argumentierte: Wenn solche Verbrechen befohlen worden wären, sagte
       er, hätte ganz Ostkongo gebrannt, nicht nur ein paar Orte; und wenn man
       Busurungis Bevölkerung hätte töten wollen, hätte man den Ort mit schweren
       Waffen platt gemacht. Die deutsche Justiz schafft es nicht, aus einem
       solchen Auftritt Schlüsse zu ziehen.
       
       Acht Jahre Gerichtsverfahren – und am Ende bleibt die Frage offen, was der
       Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung mit den Taten dieser
       Vereinigung zu tun gehabt haben könnte. Dafür braucht man kein
       Völkerstrafgesetzbuch. Deutschlands Ausflug ins Völkerstrafrecht endet mit
       dem Tod des Angeklagten nach fast neuneinhalb Jahren Einzelhaft. Für die
       FDLR wird damit ihr Präsident zum Märtyrer. War es das wert?
       
       22 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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