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       # taz.de -- Hannelore Elsner gestorben: Die, die mitriss
       
       > Sie war eine der größten deutschen Schauspielerinnen. Am Sonntag ist
       > Hannelore Elsner im Alter von 76 Jahren gestorben.
       
   IMG Bild: Keine andere deutsche Schauspielerin war in den letzten 30 Jahren so präsent: Hannelore Elsner
       
       BERLIN taz | Gucke man doch bitte Will Trempers „Die endlose Nacht“. Dann
       kann nicht mehr wahr sein zu behaupten, als junge Actrice habe sie nur in
       trashigen Allerweltsfilmen mitgespielt, nur Stoffe angenommen, die
       heutzutage eben gerade noch vertretbar sind unter der moralischen Mitgift:
       Sie war jung und brauchte das Geld. Davon abgesehen, dass ja nichts gegen
       ausreichende Mittel zu sagen ist, wenn sie denn den Umständen dienen, einer
       so lakonisch orientierten, neugierig, wachen und sich als katholisch
       verstehenden Person, wie sie es bis zuletzt war, ein gutes, würdiges,
       respektvolles Leben zu finanzieren?
       
       [1][Hannelore Elsner], so ist es im Internet vermerkt, spielte in dem 1963
       nachts, während der flugfreien Zeit in der Halle des Tempelhofer Flughafens
       gedrehten Film über irgendwie verlorene und sich sehnende, sich befragende
       und sich und anderen ein Rätsel seiende Menschen, eine junge Frau mit dem
       hübschen Namen Sylvia Stössi, die gern ein Star wäre und nicht recht weiß,
       ohne zweifelhafte Herrenbekanntschaften über die Runden zu kommen.
       
       Das war, gemessen an den Nachnaziverhältnissen im bundesdeutschen Film,
       fast Film noir, das war Nouvelle vague, und das war eine Hannelore Elsner,
       die aus dieser Figur so etwas wie einen Kern an überlebenswilliger
       Glaubwürdigkeit ohne Würdeverlust abringt. Wie sie auf ihren Pumps
       schreitet, wie in ihrem Gang noch keine sittliche Damenhaftigkeit erkennbar
       war, ihre Mimik ohne Scheu, aber nicht frech oder aufmüpfig: Sie will nicht
       verkaufen und weiß doch nicht, wie das immer zu vermeiden sein könnte.
       
       Hannelore Elsner ist in all ihren Rollen, gleich ob sie mit Willi
       Millowitsch, Freddy Quinn, Vadim Glowna, Henry Hübchen, mit Beppo Brem,
       Hansi Kraus oder Günther Maria Halmer spielte, diese Person geblieben: eine
       erwachsene Frau, die so herzlich lachen kann und mitriss durch ihre
       Spielfreude und doch nie Kumpelin war, besonders nahbar oder komödiantisch
       auf die flinke Weise. Sie blieb irgendwie immer ein Körnchen von allen
       Fantasien von Unmittelbarkeit entfernt.
       
       ## „Leben ist ums Verrecken schön“
       
       In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte sie vor acht Jahren,
       befragt, ob sich Verlust wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehe und ob
       ihr Leben vom Alleinsein handele: „Auch, ja. Aber diese Sichtweise allein
       gefällt mir nicht, das klingt schon gleich so traurig!“ Und das sollte es
       auf gar keinen, auf überhaupt keinen Fall heißen, denn „das Leben ist ums
       Verrecken schön“. Bloß nicht als arme Tröpfin durchgehen, nicht als
       Geschöpf, das es peinigend schwer hatte – und daraus noch ne Pose bauen.
       
       „Falsch verstanden zu werden“, sei ihre Furcht, gab sie über sich Auskunft.
       „Wenn ich etwa erzähle, dass mein Bruder und mein Vater so früh gestorben
       sind, meine Mutter auch, dass mein Sohn drei Monate zu früh geboren wurde
       und ich um sein Leben fürchtete, habe ich gleich die Schere im Kopf, es
       könnte heißen: die Arme. Und das stimmt ja so nicht, nur weil ich mich
       lange Phasen meines Leben allein gefühlt habe.“
       
       Sie war sogar gern allein, wie sie mal erwähnte – nötigenfalls löge sie, um
       sich den gelegentlichen Überforderungen durch andere zu entziehen. Wollte
       sie einfach mal nur nicht sprechen, um lieber mit sich spazieren zu gehen,
       erzählte sie schon mal, keine Zeit zu haben – sie führe nun ein Interview.
       
       Keine andere deutsche Schauspielerin war in den vergangenen drei
       Jahrzehnten im Film wie im Fernsehen, auf der Theaterbühne (etwa als Teil
       des Projekts der „Vagina-Monologe“) so präsent wie sie. Sie hat offenbar
       gern sehr viele Rollen übernommen, hungrig vermutlich nach mehr – und immer
       darauf bedacht, das Beste ihrer Kunst vorzuzeigen. Sie spielte
       Primetime-Stoffe im ZDF, in der ARD, sie war öfter eine Frau in ruinierten
       oder moralisch zwiespältigen Verhältnissen, Prostituierte, Kneipenwirtin,
       eine trinksüchtige Grande Dame, ehemalige Cabaret-Chanteuse, Mutter als
       Mittelpunkt eines Familienfests: Ihr Gesicht konnte auch kalt wirken,
       herzlos, entschlossen. Wie in Oskar Roehlers „Die Unberührbare“, in dem sie
       mit Vadim Glowna eine glühende Salonkommunistin, die Schriftstellerin
       Gisela Elsner („Hanna Flanders“) – nicht mit ihr verwandt oder verschwägert
       –, die am Fall der Mauer und ihren eigenen zerstobenen Heilserwartungen
       zerbricht. Hannelore Elsner – das war über Nacht die Schauspielerin der
       ernsthaftesten Sorte schlechthin, feuilletonfähig.
       
       ## Sie nahm das Leben nicht als Last
       
       Sie hat in angemessener Weise alle relevanten Preise erhalten, natürlich
       das Bundesverdienstkreuz am Bande 1997, die Goldene Kamera, den
       Grimme-Preis, den Preis der deutschen Filmkritik, den Bambi, den Goldenen
       Ochsen des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern, auch den Bayerischen
       Filmpreis für ihr Lebenswerk. Elsner, mehrfach verheiratet, immer gut über
       ihre Ex sprechend, nur nicht über den Vater ihres Kindes Dominik,
       TV-Regisseur Dieter Wedel. Sie hat, das war kein Geheimnis und sollte auch
       keines sein, so gut wie alles ausprobiert und womöglich herausgefunden,
       wie das geht, was sie in den frühen sechziger Jahren ersehnte: ein Leben
       wie in einem französischen Film, wie in „Außer Atem“, keine Facette des
       Lebens auslassend und wenn dies dann mal Kummer machte, dann bitte nicht
       hadern, das brächte doch nichts, wie sie sagte.
       
       Für das eigene Leben, das sie so liebte, Verantwortung übernehmen: Das mag
       ihre wichtigste Message jüngeren Kolleginnen gegenüber gewesen sein – in
       der #metoo-Debatte gab sie schließlich einmal kund, sie sei innerlich immer
       so unabhängig gewesen, dass sie immer Nein sagen konnte – und es auch tat
       –, wenn falsche Avancen ihr angetragen wurden. Wobei, das sagte sie eben
       auch, sie habe sich auf Abenteuer eingelassen, immer. „Ich habe mich nie
       benutzen lassen.“ Und auch dies: Man müsse eine Begabung dafür haben, „das
       Schöne zu sehen“, wie sie der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll gab, aber
       „das muss man sich erkämpfen. Die Dinge sind nicht von alleine schön.“ Sie
       ging mit ihren Verhältnissen um und machte sie zu ihren: ein Leben in dem,
       was heutzutage modisch Selbstbestimmung genannt wird. Mutig auch, sowieso,
       vorbildhaft, dies vielleicht ebenso: Sie nahm das Leben nicht als Last,
       weil es, sie recht verstanden, einfach nicht lohnte.
       
       Ostersonntag ist sie mit 76 Jahren gestorben, nach kurzer schwerer
       Krankheit, wie es heißt.
       
       23 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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