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       # taz.de -- Fotografie-Ausstellung in Berlin: Ein Urknall namens FiFo
       
       > „Bauhaus und die Fotografie“ ist das Thema einer Ausstellung. Es geht
       > mehr um Fotografiegeschichte als um Bauhaus-Historie.
       
   IMG Bild: T. Lux Feininger, Bauhausbühne Dessau: Lichtspiel von Oskar Schlemmer mit dem Tänzer und Pantomimen Werner Siedhoff, 1928, Silbergelatinepapier (Ausschnitt)
       
       Wenn Sie sich für eine der beiden Ausstellungen entscheidenden müssten,
       weil Sie wenig Zeit haben: Würden Sie in „FiFo und die Folgen“ gehen? Oder
       doch lieber in „Bauhaus und die Fotografie“?
       
       Selbstverständlich besuchten Sie die Ausstellung mit dem [1][Bauhaus]. Denn
       [2][das wird gerade 100 Jahre alt], war eh unheimlich wichtig und ist bis
       heute schick und angesagt geblieben – vor allem aber: Sie kennen es. Von
       einer „FiFo“ dagegen haben Sie vermutlich noch nie gehört.
       
       Es sei denn, Sie besäßen fundiertes Fachwissen in der Geschichte der
       Fotografie. Dann wüssten Sie, dass die im Jahr 1929 in Stuttgart
       stattgefundene Ausstellung „Film und Foto“, abgekürzt FiFo, entscheidend
       dafür verantwortlich war, die Fotografie als ernstzunehmend Kunstform zu
       etablieren, und sich als prägend für die künstlerische Avantgarde der
       folgenden Jahrzehnte erwies.
       
       Klingt spannend? Aber doch lieber Bauhaus? Zum Glück müssen Sie sich nicht
       entscheiden, denn es gibt nur eine Ausstellung. Sie heißt „Bauhaus und die
       Fotografie. Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst“ und ist im Museum für
       Fotografie in Berlin zu sehen, müsste allerdings eher „FiFo und die Folgen“
       heißen. Denn tatsächlich spielte die Fotografie im Bauhaus gar keine große,
       sondern eine eher marginale, untergeordnete, dienende Rolle.
       
       ## Werbung für die eigenen Designprodukte
       
       Auch Kris Scholz, Kokurator der Ausstellung, die vom NRW-Forum Düsseldorf
       übernommen wurde, gibt zu, dass „im Bauhaus kein einheitlicher
       fotografischer Stil“ erkennbar sei und „die Fotografie dort vor allem der
       Werbung für die eigenen Designprodukte“ diente. Fotografie war zwar
       Lehrfach in Dessau, aber erst zehn Jahre nach der Gründung des Bauhauses –
       und wurde nie eigenständig, sondern blieb der Reklamewerkstatt zugeordnet.
       
       Das Medium blieb im Bauhaus weitgehend Mittel der Dokumentation, auch wenn
       sich László Moholy-Nagy und Erich Consemüller mühten, der Fotografie einen
       eigenständigen Platz in der Bauhaus-Ästhetik zuzuweisen.
       
       Moholy-Nagy war es denn auch, der 1929 die FiFo, die wohl historisch
       bedeutsamste Fotoausstellung auf deutschem Boden, kokuratierte. Da lehrte
       der Ungar aber schon nicht mehr in Dessau. Die Ausstellung, die nach
       Stuttgart noch in Berlin und Zürich zu sehen war, fand denn auch nicht
       unter Federführung des Bauhauses, sondern dem des Werkbundes statt, der dem
       Bauhaus in beständigen programmatischen Kabbeleien verbunden war.
       
       ## Mit VR 90 Jahre zurück
       
       Gleich zu Beginn der Ausstellung im Berliner Museum der Fotografie kann man
       im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen in die FiFo vor 90 Jahren. Da
       liegen – tauchermaskengleich – zwei VR-Brillen aus, mit denen vor Augen man
       den ersten Raum der historischen Ausstellung durchschreiten kann, der, von
       Moholy-Nagy zusammengestellt, die „Geschichte der Fotografie“ darstellen
       sollte.
       
       Ganz nah kann man nun heranrücken an die virtuellen Wände, an denen
       historische Fotografien und Pflanzenstudien, medizinische Aufnahmen oder
       Röntgenbilder hängen.
       
       Die restlichen zwölf Räume der historischen FiFo werden in der Berliner
       Schau nicht rekonstruiert. Stattdessen hat Christine Kühn von der
       Kunstbibliothek einen Teil der damals gehängten 1.200 Bilder ausgewählt und
       an verschiedenen Wänden thematisch geordnet.
       
       „Wir haben das assoziative Spiel von Moholy-Nagy aufgenommen“, erklärte
       Kühn bei der eröffnenden Pressekonferenz, wie sie die sinnlichen Muscheln
       und Korallen von Aenne Mosbacher, Bewegungsstudien von Hans Robertson oder
       Charlotte Rudolphs Fotos der Tänzerin Gret Palucca hat – und nach
       Themengebieten wie „Geometrisierung der Welt“, „Neue Sachlichkeit“ oder
       „Licht – Raum – Zeit“ gegliedert hat.
       
       Moholy-Nagys berühmtes Porträt einer nach oben aus dem Bild blickenden
       Ellen Frank hängt nun unter dem Titel „Studiopose – Nahsicht – Fragment“
       neben dem Konterfei eines von Hedda Walter fotografierten Gorillas.
       
       Über die Fotografien im ersten Raum der FiFo hatte Moholy-Nagy damals in
       großen Lettern „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“ an die Wand
       schreiben lassen. Diese Frage stellten sich auch die Kuratoren von „Bauhaus
       und die Fotografie“. Sie sehen die FiFo als Urknall der experimentellen
       Fotografie und wollen zeigen, was die heute noch leisten kann.
       
       Zu dem Zweck konfrontieren sie die historische Rekonstruktion der FiFo mit
       den Werken von zwölf zeitgenössischen Fotokünstlern, darunter so prominente
       Namen wie Wolfgang Tillmans, aber auch vergleichsweise unbekannte wie Doug
       Fogelson aus Chicago.
       
       ## Prädikat sehenswert
       
       Was auffällt: Seit 1929 hat bei der Avantgarde nicht nur die Farbe Einzug
       gehalten, sondern offensichtlich auch der Drang zum übergroßen Format.
       Während die Abzüge der historischen Ausstellung zum allergrößten Teil noch
       prima in eine Fotomappe passen würden, stößt manches der modernen Werke
       fast an die Decke der Ausstellungshalle – so wie die vier mächtigen
       Tintenstrahldrucke von Kris Scholz, von denen die dunkle Farbe abblättert
       und abplatzt. Das ist dunkel, ziemlich aggressiv und bedrohlich. Ob man
       sich als Kokurator unbedingt selbst aufhängen sollte, ist wieder eine
       andere Frage.
       
       Am interessantesten sind denn auch die neuen Blickwinkel, wenn sie das
       Format nicht nur ausweiten, sondern tatsächlich sprengen. So wie Antje
       Hanebeck, deren – zugegeben auch ziemlich große – Bilder auf den ersten
       Blick wie allzu grobkörnige Architekturfotos wirken, sich dann aber als
       zwischen abstrakt und märchenhaft oszillierende Stadtlandschaften
       entpuppen.
       
       Oder Stefanie Seufert, die belichtetes Fotopapier zu bunt schillernden
       Türmen schichtet und faltet, die trotz aller dreidimensionalen
       Standfestigkeit leicht und geradezu unwirklich wirken.
       
       Was das mit dem Bauhaus zu tun hat? Irgendwie alles, weil das Bauhaus
       vermeintlich einen gewaltigen Einfluss auf jede Avantgarde genommen hat.
       Aber eben deshalb auch: nicht viel. Unbedingt sehenswert ist die
       Ausstellung aber trotzdem, auch wenn sie das, was ihr Titel verspricht,
       nicht wirklich einlöst.
       
       28 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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