URI: 
       # taz.de -- nord🐾thema: Wo die Nordsee leuchtet
       
       > Salzwasser ist gut für Haut und Haar, Meeresluft ist gut für die
       > Atemwege: Thalasso-Feeling pur bietet Norderney. Wenn die beliebteste und
       > meistbesuchte der sieben Ostfriesischen Inseln nur nicht so voller
       > TouristInnen wäre
       
   IMG Bild: Windige Rad- und Wanderwege in grüner Hügellandschaft: Norderney
       
       Von Frieda Ahrens
       
       Auf der Fähre ist es laut und überfüllt. Alle zehn Minuten springt eine der
       Alarmanlagen auf dem Autodeck an, weil vergessen wurde, die Handbremse
       anzuziehen. Die Fähre fährt von Norddeich Mole nach Norderney, mit jährlich
       etwa 450.000 Personen die meistbesuchte der sieben Ostfriesischen Inseln.
       Auf dem Oberdeck sitzen Frauen mit Sternmütze, Steppjacke und Sonnenbrille
       wie Hühner auf der Stange eng aneinandergereiht auf den roten
       Plastikbänken. Sie freuen sich schon auf ihren Absacker beim Sundowner in
       der Milchbar, dem Trend-Ort für Touristen auf der Insel. Wer dort während
       des Sonnenuntergangs am Strand vorbei schlendert, dem scheint vom Meer aus
       das Orange der Sonne entgegen, von der Milchbar das Orange der gespritzten
       Gläser.
       
       Auf Norderney tummeln sich wohlhabende Steppjacken-trägerInnen neben
       Öko-Outdoor-Abenteurern. Es ist die Insel der Klassenfahrten, der
       mittelständischen Kleinfamilien, der Reiseveranstalter für SeniorInnen. Im
       Spätsommer wird das Ganze komplettiert durch zu viele
       Junggesellenabschiede, Fussballvereine, die nur noch aus passiven
       Mitgliedern bestehen, und betrunkenen Boßel-Clubs. Allen ist gemein, dass
       sie diese Insel für „meine Insel“ halten, wie der Slogan es verspricht.
       
       Bereits auf der Fähre schlägt salzgetränkte Luft einem das Haar ins
       Gesicht, die Sonne lässt die Wangen glühen, die ersten Sandkörner fangen in
       den Schuhen an zu jucken. Das Schiff legt an, und schon mit den ersten
       Schritten auf der Insel scheint man weit weg vom Alltag, der ach so
       anstrengenden Realität. Das Meer rauscht, die Möwen schreien, mit jedem
       Atemzug fühlt man sich gesünder. Salzwasser ist gut für Haut und Haar,
       Meeresluft ist gut für die Atemwege. Thalasso- Feeling pur. Der Strand
       liegt weiß und weit vor der Promenade.
       
       Vom Nordstrand dauert es drei Stunden bis zum Wrack, welches weit raus an
       der südlichen Inselspitze mitten im Naturschutzgebiet liegt und deshalb nur
       zu Fuß zu erreichen ist. Die Strecke führt nicht nur am Strand entlang,
       sondern auch quer durch die Dünen. Hier ziehen sich gepflasterte Rad- und
       Wanderwege durch die grüne Hügellandschaft. Von der alten Meierei aus kann
       man auf dem Weg zum Wrack einen Zwischenstopp beim Leuchtturm einlegen.
       Beliebtes Ausflugsziel ist auch der Strandabschnitt „Weiße Düne“. Das
       gleichnamige Lokal hat einen kleinen Ableger direkt am Strand, bei dem es
       Picknickproviant für die ganze Familie gibt. Für den größeren Hunger
       empfiehlt sich das 300 Meter entfernt in den Dünen liegende Restaurant.
       
       Eines fehlt dort jedoch: Das Norderneyer Brauhaus Bier. Den inseleigenen
       Gerstensaft gibt es in vielen Lokalen auf der Insel direkt vom Fass und
       auch im Supermarkt in der Innenstadt zu kaufen. „Letztes Jahr sind hier
       150.000 Liter durchgegangen“ sagt ein Brauereigeselle. „Und wir haben für
       dieses Jahr unsere Kapazitäten noch erweitert.“ Den Ursprung hat das
       Inselbier im „alten“ Brauhaus, einer Kneipe, die seit 2012 mit dem Schild
       „Schick ist woanders“ Einheimische und Touristen anlockt und so dem
       Schickimicki-Trend der Insel entgegen wirken will. Scheint zu klappen.
       
       Seit 2013 gibt es die Weststrandbar, ein Außenposten des Brauhauses, ein
       kleine umgebaute Wetterschutzhütte an der Promenade, die im Sommer mit
       ihren Gästezahlen der Milchbar Konkurrenz macht. 2016 wurde ein weiterer
       Standort, die „Brauhalle“, eröffnet. Mitten im Industriegebiet, kurz vor
       dem offiziellen Ortsausgangsschild, stehen die großen Metallkessel, beim
       Bierchen lässt sich ein direkter Blick hinter die Kulissen der kleinen
       Privatbrauerei werfen.
       
       Doch das wirkliche Highlight der Insel ist kein Lokal, kein Ort, sondern
       das Meer selbst in so mancher Sommernacht. Wenn es einige Tage nacheinander
       richtig heiß war, sodass das Wasser auch nachts noch erwärmt ist, die Luft
       aber wieder runtergekühlt, dann funkelt die Nordsee. Meeresleuchten nennt
       sich dieses Phänomen. Es wird durch kleine Organismen im Wasser erzeugt,
       die durch die Oxidation bei Bewegung leuchten. In der Nordsee heißen diese
       Organismen Noctiluca miliaris und zählen zu den Algen.
       
       Meeresleuchten auf Norderney zu sehen ist allerdings ein Risikospiel, denn
       es reicht nicht, beim nächtlichen Spaziergang von der Promenade aus zu
       schauen und darauf zu warten, dass das Meer anfängt zu glitzern. Die vielen
       Lichter entlang des Stadtkerns verhindern, dass sich etwas erkennen lässt.
       Je dunkler der Strandabschnitt, desto besser. Außerdem müssen Neugierige
       das Wasser in Bewegung bringen, also zumindest mit den Füßen ins Meer
       gehen, am besten aber mit dem ganzen Körper. Oft sieht man das
       Meeresleuchten erst, wenn man tiefer im Wasser ist und nicht schon an der
       Brandung. Aber es lohnt sich: Es sieht so aus, als ob man von
       Glühwürmchenschwärmen umzingelt sei, und das Meer wird einmal mehr zu einem
       Ort, an dem die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit für einen kurzen
       Moment zu verschwimmen scheint.
       
       Aber auch wer nicht im Hochsommer auf der Insel ist, kann sich vom
       Meeresleuchten begeistern lassen. Im Goodewind, der Stammkneipe vieler
       Insulaner, gibt es „Meeresleuchten“ das ganze Jahr. In der Kneipe zaubert
       Zaineb den türkis leuchtenden Drink in das Kurzenglas. Den Schnaps gibt es
       seit 1995 – viele versuchen das Getränk nachzumachen. Selbst Edeka versucht
       es, in den Norderney-Filialen steht das „Meeresleuchten“ flaschenweise in
       den Regalen, doch das Original gibt es nur im Goodewind und das Rezept wird
       nicht verraten. „Leider haben wir es damals nicht patentieren lassen“, sagt
       Zaineb. „Unser schmeckt aber immer noch am besten.“
       
       Eine selbstgemachte türkisleuchtende Flasche kann man in der Kneipe aber
       auch „to go“ kaufen. Ein Stück Meeresleuchten für die Heimat, wenn es auf
       dem Rückweg wieder heißt: Auf der Fähre ist es laut und überfüllt.
       
       20 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frieda Ahrens
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA