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       # taz.de -- Ausstellung „Von Wölfen und Menschen“: Durchs Reich der Metaphern
       
       > Ambivalentes Verhältnis: Das Hamburger Museum am Rothenbaum nimmt den
       > Umgang des Menschen mit dem Wolf in den Blick.
       
   IMG Bild: Mensch im Wolfspelz: George Catlins „Bisonjagd in Wolfsverkleidung“
       
       Eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, einen Deutschkurs absolvieren, ein
       Bankkonto einrichten. Formalitäten mit denen sich der Homo sapiens unserer
       Zeit, nicht aber ein Canis lupus abmüht, [1][wenn er ins Bundesgebiet
       migriert]. Dass der Mensch sich lesbar macht, um sich in einer vom
       Gesellschaftsvertrag geregelten [2][Gemeinschaft vor sich selbst zu
       schützen], ist notwendig und politischer Konsens. Dem entzieht sich der als
       Nomade umherstreifende Wolf. In unserem von Regeln und Grenzen geformten
       Leben macht ihn das zum Reflexionspunkt menschlichen Objektivierungsdrangs.
       
       In einer performativen Kunstaktion hat sich Corinna Korth anderthalb Jahre
       lang [3][als hybride Wolfsfrau] dem mühevollen Prozess einer Einbürgerung
       unterworfen. Anhand von Urkunden und Fotografien dokumentiert sie
       Behördengänge und den Versuch, als Wolf in menschlichen Kategorien Platz zu
       finden.
       
       Die Ausstellung „[4][Von Wölfen und Menschen]“ im Hamburger Museum am
       Rothenbaum (Markk) macht genau das. Denn hier geht es nicht um die
       physiologischen Eigenheiten oder Verhaltensweisen des Tieres, sondern
       darum, wie der Mensch sich auf den Wolf bezieht. Das ist ebenso
       widersprüchlich wie aussagekräftig.
       
       ## Der Wolf ist überall
       
       Als wild und eigenständig wird er beschrieben, aber auch als ein Tier mit
       [5][hochentwickeltem Sozialverhalten und ausgeprägtem Familiensinn]. Er
       gilt als kräftig und ausdauernd, denn anders als Raubkatzen verfolgen Wölfe
       ihre Beute über einen langen Zeitraum hinweg. Sie gelten als überaus
       [6][intelligente Tiere], die ihr Wissen an die jüngeren Generationen
       weitergeben.
       
       Die Fülle an Assoziationen, die der Wolf beim Menschen hervorruft, macht
       ihn zu einer geeigneten Projektionsfläche, zum „Sinnstifter“ und zur
       „Angstfigur“ gleichermaßen. Ob als [7][Sportmaskottchen], [8][Krafttier],
       Namensgeber, politisches Symbol, Werbelogo oder Protagonist in Filmen oder
       Erzählungen – der Wolf ist überall, und das nicht erst neuerdings.
       
       Denn lange war der Wolf [9][das am weitesten verbreitete Landsäugetier] der
       Erde. Erst wir Menschen lösten ihn in dieser Position ab und verdrängten
       ihn in das Reich der Mythen, Märchen und Metaphern. Dass der Vorfahre des
       Hundes nun nicht nur wieder über Felder und durch Wälder streift, sondern
       auch in Museen großer Städte Einzug hält, verwundert daher nicht: Einen
       lebensgroßen Wolfsbau findet man im Eingangsfoyer des Markk – zurzeit
       jedoch noch unbewohnt.
       
       ## Viele Bedeutungsebenen
       
       Für die Besucher*innen stehen im Museum vier Stationen bereit, um durch die
       kulturanthropologischen Bedeutungsebenen des Tieres zu streifen. Im ersten
       Teil wird dem damals vorrangig bedrohlichen Aspekt des Tieres dessen
       Bedeutung als Bereicherung der Artenvielfalt gegenübergestellt. Feierte man
       vor 150 Jahren noch die Ausrottung des Tieres in Europa als
       zivilisatorischen Erfolg, gilt der Wolf heute als besonders schützenswert.
       
       [10][Wolfsmonitoring] etwa versucht deshalb, die Routen und Bestände der
       Rudel zu erfassen. Besucher*innen können nachvollziehen, wie dabei
       vorgegangen wird und welche Hilfsmittel nötig sind. Aufnahmen von
       Wildtierkameras zeigen das Rudeltier auch in freier Wildbahn.
       
       Wie konträr die menschlichen Sichtweisen auf den Wolf sind, haben
       [11][Kulturanthropolog*innen im Rahmen eines Seminars] deutlich gemacht. In
       sieben filmischen Interviews interviewten sie Menschen aus
       unterschiedlichen Kontexten.
       
       ## Chance, zu lernen
       
       Während die Geschäftsführerin des Landesverbands Schleswig-Holsteiner
       Schaf- und Ziegenzüchter auf die wirtschaftlichen Risiken der Rückkehr des
       Wolfes eingeht und sich darum sorgt, dass „er mehr holt oder die Schafe mal
       raustreibt auf die Straße“, sieht der Erzieher eines Waldkindergartens es
       als, „Chance zu lernen, wie wir mit dem Wolf umgehen“. Der Jäger und
       Vizepräsident des Landesverbands Schleswig-Holstein hingegen dreht den
       Spieß um: „Nein – der Wolf muss lernen mit dem Menschen zu leben.“
       
       Als Grenzgänger und Objekt der Verwandlung findet der Wolf Einzug in
       unterschiedliche kulturelle Kontexte. Seit der Antike kennt man
       [12][Erzählungen vom Werwolf]. Im Mittelalter wurde dieser gar als
       Rechtssubjekt angeklagt, verurteilt und anschließend auf dem Scheiterhaufen
       verbrannt oder erhängt. Animalisches Verhalten wurde mit physischen oder
       psychischen Krankheiten assoziiert – oder gleich dem Teufel zugeschrieben.
       
       Für das moderne europäischer Selbstverständnis ist die Abgrenzung zum Tier
       bedeutend gewesen. Anders verhält es sich bei den von der nordwestlichen
       Pazifikküste stammenden [13][Nuu-chah-nulth]. Die bunten, aus Holz
       gefertigten Wolfsmasken, die in verschiedenen, unter anderem rituellen
       Kontexten genutzt werden, zeugen von einer ganz anderen Beziehung zum Tier.
       
       ## Wölfe als politisches Symbol
       
       Worin die Unterschiede genau bestehen, das versucht die Ausstellung aber
       erst gar nicht vollumfänglich begreiflich zu machen. Ohne im selben
       kulturellen Kontext aufgewachsen zu sein, sei das ohnehin zum Scheitern
       verurteilt, darin sind sich Künstler und Kurator*innen einig: eine
       erfrischend selbstkritische Einordnung eines Exponats. Aufsetzen darf man
       eine der Masken trotzdem.
       
       So ästhetisch der Wolf ist, so sehr wurde er als politisches Symbol
       missbraucht, vor allem von Nationalisten. Hitlers Faszination für die
       nordische Mythologie, in der der Wolf eine zentrale Rolle spielt, schlägt
       sich zum Beispiel in der [14][Namensgebung des Führerhauptquartiers, der
       Wolfsschanze], und der Wahl seines ersten Pseudonyms, Herr Wolf, nieder.
       Aber auch neuere nationalistische Bewegungen oder Parteien wie die MHP aus
       der Türkei, bekannt als „[15][Graue Wölfe]“, beziehen sich auf ähnliche
       Ursprungsmythen.
       
       Ob der Wolf nicht nur als Metapher unter Menschen wieder einen Platz finden
       kann, fragt man sich am Ende. Corinna Korths hybrider Wolfsmigrant
       jedenfalls hat es nach einer Ausbildung zur Tierwirtin mit Schwerpunkt
       Schafshaltung geschafft, ein Vertrauensverhältnis zu Huftieren aufzubauen.
       Beim Wolf fällt das dem hochentwickelten Primaten offenbar noch schwer.
       
       27 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Woelfe-in-Deutschland/!5552471
   DIR [2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-philosophische-flaschenpost-hobbes-und-der-boese-wolf.2162.de.html?dram%3Aarticle_id=438728
   DIR [3] /!1233794/
   DIR [4] https://markk-hamburg.de/ausstellungen/von-woelfen-menschen/
   DIR [5] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/18742.html
   DIR [6] https://www.sueddeutsche.de/wissen/tierische-intelligenz-lernen-von-woelfen-1.1878879
   DIR [7] https://www.tagesspiegel.de/sport/fussball-wm-2018-in-russland-maskottchen-wird-ein-wolf/14723720.html
   DIR [8] http://www.schamanische-krafttiere.de/krafttier-wolf.html
   DIR [9] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/deutschland/index.html
   DIR [10] https://www.wolfsmonitoring.com/
   DIR [11] https://www.uni-hamburg.de/newsroom/campus/2019/0423-von-woelfen-und-menschen.html
   DIR [12] https://de.wikipedia.org/wiki/Werwolf
   DIR [13] https://de.wikipedia.org/wiki/Nuu-chah-nulth
   DIR [14] https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrerhauptquartier_Wolfsschanze#Name
   DIR [15] /Graue-Woelfe/!t5014397
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Till Wimmer
       
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       veranlasst.