URI: 
       # taz.de -- Kommentar Russlands aggressive Politik: Déjà-vu im Donbass
       
       > Der Kreml meint nach den Wahlen in der Ukraine wieder einmal, Fakten
       > schaffen zu müssen. Das ist armselig und brandgefährlich.
       
   IMG Bild: Putin will Ukrainer zu Russen machen, die dann beschützt werden müssen (Archivbild)
       
       Der neue Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenski, ist noch nicht einmal
       im Amt – und schon demonstriert die Regierung in Moskau, wie sie die
       künftigen Beziehungen zum Nachbarn zu gestalten gedenkt. Frei nach dem
       Motto „Fakten schaffen, auch mit Waffen“.
       
       [1][Der Erlass von Russlands Staatschef Wladimir Putin], der BürgerInnen in
       den von prorussischen Kämpfern kontrollierten ostukrainischen Gebieten
       Lugansk und Donezk unbürokratisch zur russischen Staatsbürgerschaft
       verhelfen soll, ist eine weitere Kriegsdrohung an Kiew. Und ein Déjà-vu: Es
       ist bekannt, dass der Kreml zum Schutz seiner im Ausland an Leib und Leben
       bedrohten Landsleute gerne mal ein paar Panzer vorbeischickt.
       
       Was das bedeutet, wissen die Georgier nur zu gut. Schon vor dem [2][Krieg
       um Südossetien 2008] waren dort russische Pässe im Umlauf. Der Waffengang
       erfolgte dann ganz im Sinne der Verteidigung der Menschenrechte. Heute wird
       die abtrünnige und international nicht anerkannte Region von Russland
       kontrolliert. [3][Ihre Grenzen verschieben sich unaufhaltsam immer weiter]
       nach Georgien hinein. Ähnlich im Landstrich Transnistrien, der de facto
       nicht von der Republik Moldau kontrolliert wird. Auch hier, im letzten
       sowjetischen Freiluftmuseum Europas, hat die Hälfte der Bevölkerung
       russische Pässe. Angesichts der illegalen Präsenz russischer
       „Friedenstruppen“, machen sich die Machthaber in Chişinău so ihre Gedanken.
       
       Aber einmal abgesehen von der Frage, wie armselig eine selbst ernannte
       Großmacht sein muss, die ihre Interessen nur mit Waffengewalt meint
       durchsetzen zu können, ist dieser Status quo brandgefährlich. Denn auch in
       anderen ehemaligen Sowjetrepubliken rumort es. So ist es kein Zufall, das
       in Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan, der im Mai vergangenen Jahres
       nach Massenprotesten an die Macht kam und [4][wenige Monate später die
       Parlamentswahlen klar gewann], auffallend darum bemüht ist, den Kreml nicht
       zu reizen. Schließlich beherbergt die Südkaukasusrepublik die einzige
       russische Militärbasis in der Region mit mehreren Tausend Soldaten.
       
       Auch von Weißrusslands autokratischem Dauerherrscher Alexander Lukaschenko
       dräut Ungemach. Dieser verspürt offensichtlich wenig Neigung, den 1999
       geschlossenen, bislang folgenlosen Unionsvertrag mit Russland über die
       Bildung eines gemeinsamen Staates zu reanimieren. Denn was für Putin die
       Möglichkeit einer weiteren Präsidentschaft in dem neuen Staatsgebilde
       bedeutete, hieße für Weißrussland, sich einfach eingemeinden zu lassen. Wie
       dieser Wettkampf ausgeht, ist noch offen. Moskau, als ein Hauptsponsor der
       weißrussischen Wirtschaft, sitzt jedoch am längeren Hebel.
       
       ## An Zynismus kaum zu überbieten
       
       Schon 2014 nutzte Moskau das Machtvakuum in Kiew nach dem Sturz des
       damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, um die Krim quasi im Handstreich
       zu erobern. Auch der jüngste Vorstoß in Sachen Donbass erfolgt, nur wenige
       Tage nach der Präsidentenwahl, nicht zufällig und ist an Zynismus kaum zu
       überbieten. Schließlich wird der Osten der Ukraine seit 2014 von einem
       Konflikt erschüttert, in dem es mittlerweile über 14.000 Todesopfer gibt
       und [5][den Russland – aller Falschpropaganda zum Trotz – nach Kräften
       befeuert]. Eine Umsetzung des Minsker Friedensabkommens von 2015 dürfte
       jetzt noch unwahrscheinlicher werden.
       
       Noch ist unklar, wie der künftige Präsident Wolodimir Selenski auf diese
       Provokation reagiert, aber er wird um eine Positionierung nicht
       herumkommen. Anders als sein Amtsvorgänger Petro Poroschenko verfügt er
       aber über ein nicht zu unterschätzendes politisches Kapital. Er genießt,
       wie das Wahlergebnis zeigt, Rückhalt über alle bisherigen Trennlinien
       hinweg. Das liegt auch daran, dass er bislang auf jedwede Polarisierung
       verzichtet hat. Dieses Kapital gilt es jetzt zu nutzen. Dann könnte der
       Schuss für Putin und Konsorten nach hinten losgehen. Es wäre zu wünschen –
       vor allem den Menschen im Donbass.
       
       27 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Machtwechsel-in-der-Ukraine/!5590681
   DIR [2] /Kommentar-Russland/!5176613
   DIR [3] /Grenzkonflikt-in-Georgien/!5456141
   DIR [4] /Parlamentswahlen-in-Armenien/!5558069
   DIR [5] https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Donbass
   DIR Wladimir Putin
   DIR Wolodymyr Selenskij
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Ukraine
   DIR Russland
   DIR Wladimir Putin
   DIR Ukraine
   DIR Wladimir Putin
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ukraine setzt russischen Tanker fest: Der Geist des Sieges
       
       Ein russischer Tanker ist in einem ukrainischen Hafen durchsucht worden.
       Hinter dem Vorfall steckt der Konflikt um die Hoheit auf See in der Region.
       
   DIR Kommentar Europarat und Russland: Kaum noch ernst zu nehmen
       
       Dass der Europarat Sanktionen gegen Mitglieder der russischen Delegation
       aufhebt, ist ein Punkt für Putin. Der kommt mit Erpressung erneut zum Ziel.
       
   DIR Kommentar Siegesfeiern in Moskau: Paranoider Gedenkkult
       
       Einst Gedenkfeier, heute ideologische Stütze: Präsident Wladimir Putin
       nutzt den „Tag des Sieges“ zusehends für seine Politik der Isolation.
       
   DIR Gedenken an tödliches Feuer: Odessa ist in Trauer vereint
       
       Am 2. Mai 2014 starben 42 Aktivisten beim Brand des Gewerkschaftshauses in
       der südukrainischen Stadt. Die Gedenkveranstaltung verläuft friedlich.
       
   DIR Kommentar Machtwechsel in der Ukraine: Putins Nadelstiche
       
       Der neue Präsident der Ukraine ist noch nicht im Amt, schon wird er vom
       russischen Staatschef vorgeführt. Der bietet Separatisten an, Russen zu
       werden.
       
   DIR Präsidentschaftswahl in der Ukraine: Russland wartet ab und wundert sich
       
       Der Kreml reagiert auf den Sieg von Wolodimir Selenski abwartend. Ein
       russischer Blogger schreibt, es sei ungewohnt, eine Wahl zu haben.
       
   DIR Politologe zu Ukraine-Wahlsieger Selenski: „Die wollen echte Veränderungen“
       
       Erst Komiker, bald Präsident der Ukraine: Wolodimir Selenski wird vieles
       ändern, sagt Politologe Wolodimir Fesenko. Doch er muss mit starkem
       Widerstand rechnen.