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       # taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Der nicht einzigartig sein will
       
       > Guido Burgstaller hat nicht viel getroffen diese Saison, drei Mal bloß in
       > der Fußball-Bundesliga. Was dann aber folgt, ist sehr viel auf einmal.
       
   IMG Bild: Wieder mal nicht getroffen: Guido Burgstaller
       
       Es gibt Spieler, die nach Toren nicht jubeln; und dann gibt es Spieler, die
       es nicht interessiert, wie man jubelt. Letztere sind häufig Verteidiger,
       die sich nie einen Kopf darüber gemacht haben, weil die Vorstellung, dass
       sie je einmal treffen, eine sehr abstrakte war. Ganz selten aber gibt es
       auch einen Stürmer, den es nicht juckt, wie er aussieht, wenn er sich
       freut. Guido Burgstaller ist so einer.
       
       Burgstaller macht, wenn er ein Tor macht, alles auf einmal. Er winkt, er
       läuft, er lacht, er klatscht ab, schaut nach rechts, nach links, nach oben
       und nach unten, ganz so wie er lustig ist. Er denkt nicht darüber nach, wie
       es wirken könnte; und gerade deshalb wirkt es so unkoordiniert, ungelenk.
       Es ist etwas Kindliches in diesem Jubel, etwas sehr sympathisches; gerade
       weil er nicht so tut, als wäre er authentisch, ist er es.
       
       Der Torjubel ist die ideale Mischung aus Inszenierung und Emotion. Er ist
       künstlich genug, um nicht intuitiv zu wirken; und er ist emotional genug,
       um die künstliche Überformung ironisch zu brechen. Es ist ein
       Authentizitätstheater, das keiner richtig ernst nimmt; Mario Gomez etwa
       zieht nach seinen (seltener werdenden) Toren eine imaginäre Muleta vor sich
       durch die Luft, als wäre er ein Stierkämpfer. Das tut er, weil er spanische
       Wurzeln hat. In der Regel lächelt er dabei, weil er sich über sein Tor
       freut, was die ganze Geste wieder aufhebt: kein Matador würde während einer
       Corrida lächeln.
       
       Torjubel sind oft als Ausbruch des Individuums aus den Zwängen des
       Kollektivs gefeiert worden. Einer der ersten kolportierten Torjubel fand
       1938 statt, beim sogenannten Versöhnungsspiel, nach dem die österreichische
       Mannschaft in einer gesamtdeutschen aufgehen sollte. Matthias Sindelar,
       Wiener und einer der wohl besten Spieler seiner Zeit, soll nach seinem Tor
       zum 2:0 vor die Tribüne gegangen sein, auf der die ganzen Nazi-Größen
       saßen, und dort ein Tänzchen aufgeführt haben.
       
       Der einsam Feiernde vor der Gewalt der Masse, der stumme Protest der
       Lebensfreude vor der stumpfen Diktatur: das ist Teil des Mythos rund um
       Matthias Sindelar. Es blieb symbolisch, später hat er von der Arisierung
       profitiert und einem befreundeten jüdischen Geschäftsmann dessen Café weit
       unter Marktpreis abgekauft. Er starb unter ungeklärten Umständen kurz
       danach in seiner Wohnung.
       
       ## Verfeinerte Coreografien
       
       Der Torjubel ist in zweierlei Hinsicht ein Fußabdruck des Fernsehens.
       Einerseits hat die Videoanalyse die mannschaftlichen Abläufe automatisiert,
       sodass es auf dem Platz immer weniger Raum gibt für den Ausdruck von
       Individualität; der aber umso exzessiver genutzt wird, durch auffällige
       Frisuren, Tattoos, den Jubel.
       
       Andererseits hat das Fernsehen die Choreografien verfeinert und so auch
       recht schnell den Versuch, Individualität herzustellen, scheitern lassen;
       am deutlichsten durch Cristiano Ronaldo, der seinen eigenen Move zum Teil
       seiner Marke gemacht hat und als Selling Point etabliert hat, und durch
       Pierre-Emerick Aubameyang, der sich zu Dortmunder Zeiten einmal eine Maske
       seines Sponsors über das Gesicht gezogen hat. Gegen Schalke war das, im für
       viele Fans wichtigsten Spiel des Jahres.
       
       Guido Burgstaller hat nicht viel getroffen diese Saison, drei Mal bloß in
       der Liga. Sein letztes Tor war der Endstand in Hoffenheim, die zwei im 2:5,
       und auch da hat er sich nicht gefreut: nach dem Schuss blieb er noch für
       eine Sekunde auf dem Arsch sitzen und trabte dann ohne große weitere Geste
       zurück zum Mittelkreis. So läuft kein Star, so läuft einer, bei dem es
       gerade scheiße läuft.
       
       Ein Unterkandidelter, einer wie jeder, der halt gerade gar nicht ist wie
       jeder; sonst könnte er sich dem Selbstinszenierungswahn ja nicht entziehen.
       Das Sympathische an ihm ist gerade, dass er nicht scheinen will. Nächsten
       Samstag vielleicht ausnahmsweise, wenn Schalke gegen Dortmund versuchen
       wird, [1][die komplette Saison zu retten]. Aber selbst wenn er dann trifft,
       wird er sich nur freuen, nicht mehr.
       
       26 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Frederic Valin
       
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