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       # taz.de -- Die Wahrheit: Hammerschlaue Belehrungen
       
       > Darf man etwas noch als „dumm“ bezeichnen? Oder ist bereits die bloße
       > Erwähnung des Worts eine Beleidigung für alle Einfältigen?
       
   IMG Bild: Die Dummheit der anderen ist oft ein Thema: Demonstrantin bei einer Anti-Querdenken-Demo 2021
       
       Ich weiß nicht Bescheid. Zwar habe ich hier und da leise Ahnungen, so ganz
       genau weiß ich aber nicht, wo’s klemmt. Geschweige denn, was geschehen
       müsste, damit es endlich nicht mehr klemmt auf der Welt. Glücklicherweise
       gibt es Leute, die genau wissen, wo’s klemmt. Nicht an ihnen, den
       Bescheidwissern, denn die sind „woke“ und „aware“, möglicherweise auch
       „clear“ – nee, Quatsch, das sind ja die Scientologen.
       
       Unter vollem Einsatz ihrer guten Laune kämpfen diese
       Sozialgerechtigkeitskrieger für eine strahlende Zukunft, der ich nicht mehr
       teilhaftig werde. Ich bin ein zusehends alternder weißer Mann und bald tot.
       Bis dahin stehe ich der Verwirklichung dieser Zukunft bockig im Weg herum.
       Das tut mir sehr leid.
       
       Neulich habe ich in einem Artikel ein bestimmtes Magazin leichtfertig als
       „dumm“ bezeichnet. Eine Bescheidwisserin forderte mich schriftlich auf, das
       Adjektiv doch bitte zu vermeiden. Sie stieß mir Bescheid, mal unter
       „Ableismus“ nachzuschlagen. Der A. ist korrekt mit „Fähigkeitismus“
       übersetzt und soll nach dem Willen von US-Sozialforschern und ihren
       gutwilligen Agenten das Gefühl für Schicklichkeit ersetzen. Konkret könnten
       sich Menschen mit „geringem IQ“ oder „kognitiven Einschränkungen“ demnach
       durch das grobe Wörtchen „dumm“ an erlittene Traumata möglicherweise nicht
       nur erinnert fühlen, sondern seelische Verletzungen neuerlich erleiden.
       
       Ich gestehe, ich hielt diesen Hinweis für einen Witz. Erstens hatte ich ein
       lebloses Objekt als dumm bezeichnet, nicht einen Menschen als „behindert“
       oder dergleichen. Zweitens handelte es sich bei diesem Magazin nachweislich
       um ein sehr einfältiges Produkt. Drittens war der Text keineswegs in
       „einfacher Sprache“ verfasst, Menschen mit kognitiven Einschränkungen also
       nicht barrierefrei zugänglich. Gäbe es hier eine Logik, dürfte auch von
       „kleinlichen“ Einwänden keine Rede mehr sein. Kleinwüchsige könnten
       unabsichtlich „mitgemeint“ und getriggert werden. Aus Rücksicht auf
       fettleibige Menschen wäre auf das „dicke Ende“ zu verzichten.
       
       Generell habe ich die leise Ahnung, das Böse und das (Achtung!
       Trigger-Warnung!) Dumme verschwinden nicht aus der Welt, wenn wir –
       ungeachtet der Zusammenhänge – die scharfkantigen Begriffe aus ihr
       entfernen. Es sind Werkzeuge. Wie ein Hammer. Ich kann ihn einsetzen, um zu
       verletzen oder um den Nagel auf den Kopf zu treffen. Das sind
       unterschiedliche Einsatzzwecke, die ich sehr gut auseinanderhalten kann.
       Deshalb werde ich den Hammer nicht hergeben. Ich brauche ihn für meine
       Arbeit. Im Steinbruch der Sprache ist mit einem Werkzeugkasten voller
       Blümchen nichts anzufangen.
       
       Meine Achtjährige weiß übrigens auch Bescheid. Statt dumm sagt sie
       prinzipiell „unschlau“, weil der vermiedene Begriff nach ihrem Empfinden
       „zu böse“ ist. Es sei denn, ihre Schwester geht ihr richtig auf die Nerven.
       Dann holt sie den Hammer raus. Dafür ist er da.
       
       26 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
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