# taz.de -- Die Wahrheit: Bandwurm in Babyhand
> Seit das Verkaufsverbot für Alkohol aufgehoben wurde, hat der irische
> Karfreitag ein wenig von seinem urwüchsigen Charme verloren.
IMG Bild: Deutsche Auswahl: In keinem anderen EU-Land kann man so gut trinken, essen und rauchen
Jims Mutter war gestorben. Am Karfreitag wurde sie auf dem berühmten
Dubliner Prospect Cemetery begraben. Es war ein langer Trauerzug, vorneweg
der Leichenwagen mit Jim auf dem Beifahrersitz, dahinter die schwarze
Limousine mit diverser Verwandtschaft, gefolgt von den Autos der Freunde
und Bekannten. „Als wir in Phibsboro am Einkauszentrum vorbeikamen, hielt
der Leichenwagen plötzlich an“, erzählte Maeve. „Jim sprang heraus und lief
einfach davon.“
Maeve rannte hinter ihm her, weil sie sich Sorgen machte. Das war unnötig.
Jim sei schnurstracks in den Supermarkt gegangen und habe eine Flasche
Whiskey gekauft, sagte Maeve erbost. Er meinte, man müsse es ausnutzen,
dass man am Karfreitag Alkohol kaufen dürfe.
Das Verbot wurde erst im vergangenen Jahr aufgehoben. Es macht nun weniger
Spaß, sich am Karfreitag zu betrinken. Als es noch illegal war, musste man
sich das Vertrauen eines Gastwirts erschleichen, damit er das geheime
Klopfzeichen verriet, das einem die Tür zum illegalen Gelage öffnete. Oder
man kaufte sich eine Eisenbahnfahrkarte nach Irgendwo, denn Reisenden
durfte in der Bahnhofsgaststätte kein Getränk verwehrt werden.
Manch andere Tradition ist schon länger nicht mehr in Gebrauch. So war es
früher üblich, sich am [1][Karfreitag] die Haare zu waschen und zu
schneiden. Dadurch war man angeblich gegen Kopfschmerzen gewappnet, und die
Haare sollten doppelt so lang und kräftig werden. Ich habe es probiert,
aber bisher hat sich bei meiner Halbglatze nichts getan. Auf eine andere
Tradition habe ich lieber verzichtet: Wenn man sich die Füße wusch und das
Schmutzwasser bis zum folgenden Karfreitag aufbewahrte, sollte es im
Notfall Warzen und Hühneraugen heilen.
Ein ungeschriebenes Gesetz verbot es, am Karfreitag Hammer oder Nägel zu
benutzen, denn damit wurde Jesus ans Kreuz genagelt. Stattdessen sollte man
Obst und Gemüse pflanzen, das angeblich prächtig gedeihen würde. Ich habe
einen Himbeerstrauch am Meer gepflanzt. Wenn der die salzhaltige Luft und
die Atlantikstürme überlebt, wasche ich mir nächstes Jahr am Karfreitag die
Füße.
Wer Glück hatte, bekam am Karfreitag ein Kind. Ließ man es am Ostersonntag
taufen, konnte es Menschen von Bandwürmern heilen. Dazu musste man dem Kind
während der Taufe einen Bandwurm in die Hand legen.
Aber auch ohne Säugling konnte man sich vor Krankheiten schützen. Man
sollte am Karfreitag Napfschnecken und Seetang für das Abendessen sammeln.
Aufs Meer hinaus durfte man aber nicht, denn es verlangte an dem Tag nach
Opfern.
Heute hat man am Karfreitag zwar nichts mehr zu befürchten, aber der Spaß
des illegalen Trinkens bleibt einem verwehrt. Jetzt sind die Pubs nur noch
am Weihnachtstag geschlossen. Ich muss rechtzeitig mit dem Wirt meiner
Stammkneipe ein Klopfzeichen vereinbaren.
29 Apr 2019
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## AUTOREN
DIR Ralf Sotscheck
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