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       # taz.de -- Anhörung am Bundesverfassungsgericht: Richter prüfen Sterbehilfeverbot
       
       > Karlsruhe befasst sich mit dem Verbot organisierter Sterbehilfe. Sechs
       > Beschwerden liegen gegen den Strafrechtsparagrafen 217 vor.
       
   IMG Bild: Sterbehilfevereine, Todkranke und Ärzte haben Beschwerde gegen den Paragraphen 217 eingereicht
       
       Der Revolver gab dem schwerkranken Schriftsteller Wolfgang Herrndorf ein
       letztes Gefühl von Freiheit. „Ich muss wissen, dass ich Herr im eigenen
       Haus bin“, schrieb Herrndorf [1][in seinem Blog]. Als sein Hirntumor weit
       fortgeschritten war, erschoss er sich.
       
       Herrndorf hatte sich auf dem Schwarzmarkt in Berlin einen Revolver
       beschaffen müssen, um die letzte Entscheidungsfreiheit über das eigene
       Sterben zu behalten. Denn Beihilfen zum Suizid durch Vereine oder Ärzte,
       etwa indem sie tödliche Substanzen zur Verfügung stellen, sind in
       Deutschland untersagt. Das Bundesverfassungsgericht will sich nun am
       Dienstag und am Mittwoch in einer mündlichen Anhörung mit dem
       entsprechenden Strafrechtsparagrafen 217 befassen. Es liegen sechs
       Verfassungsbeschwerden gegen diesen Paragrafen vor – von
       Sterbehilfevereinen, Todkranken, Ärzten.
       
       Der Paragraf 217, gültig erst seit dem Jahr 2015, stellt unter eine
       mehrjährige Haftstrafe, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen
       zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt,
       verschafft oder vermittelt“.
       
       Wega Wetzel, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben,
       erklärt, dass unter Juristen „geschäftsmäßig“ aber nicht unbedingt
       gewerblich bedeute. Es reiche schon, dass eine Tätigkeit „auf Wiederholung
       angelegt“ sei, um strafbar zu werden. Wetzel hofft, dass es zumindest für
       die Definition des Begriffes „geschäftsmäßig“ nach der Verhandlung vor dem
       Bundesverfassungsgericht „eine Präzisierung für die Ärzte gibt“. Noch
       besser wäre allerdings nach ihrer Meinung eine vollständige Streichung des
       Paragrafen.
       
       ## Indirekte Sterbehilfe ist schon verbreitet
       
       „Suizidbeihilfe ist keine ärztliche Aufgabe“, sagte hingegen die
       niedersächsische Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker dem Evangelischen
       Pressedienst. Die Beschwerdeführer, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen
       möchten, leiten aber aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im
       Grundgesetz ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab.
       
       In Deutschland ist bisher die passive Sterbehilfe durch Unterlassen
       medizinischer Maßnahmen erlaubt, wenn dies dem erklärten Patientenwillen
       entspricht. Auch die sogenannte aktive indirekte Sterbehilfe etwa durch das
       Hochfahren einer Morphindosis in der allerletzten Phase ist unter gewissen
       Umständen zulässig und recht verbreitet.
       
       Aktive direkte Sterbehilfe etwa durch das Spritzen eines tödlichen
       Medikaments durch den Arzt ist aber verboten. Beihilfe zum Suizid, wenn
       also der Patient ein von anderen beschafftes tödliches Medikament selbst
       einnimmt, sind vom Grundsatz her nicht strafbar – nur eben dann, wenn die
       Beihilfe laut Paragraf 217 als „geschäftsmäßig“ gelten könnte.
       
       ## Selbsttötung muss in der Schweiz erfolgen
       
       Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März 2017 entschieden, dass
       todkranken Menschen in Ausnahmesituationen der Zugang zu Medikamenten zur
       Selbsttötung nicht verwehrt werden dürfe. [2][Bundesgesundheitsminister
       Jens Spahn] (CDU) hat aber dem Bundesinstitut für Arzneimittel untersagt,
       die Abgabe solcher Medikamente zu erlauben.
       
       Spahn will nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten, um
       endgültig zu entscheiden. Dort wird vorerst nur mündlich verhandelt. Das
       Urteil wird erst im Herbst erwartet.
       
       Bisher bieten etwa Sterbehilfevereine in der Schweiz wie „Dignitas“ auch
       für Deutsche die Unterstützung zum Suizid mit einem tödlichen Medikament
       an. Die Selbsttötung muss in der Schweiz erfolgen, die gesamten Kosten
       inklusive Vorab-Interviews durch Ärzte, Einäscherung und Überführung liegen
       für Ausländer bei rund 10.000 Euro.
       
       15 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wolfgang-herrndorf.de/
   DIR [2] /Gesundheitsminister-unterlaeuft-Urteil/!5574981
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
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