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       # taz.de -- Gedenken an tödliches Feuer: Odessa ist in Trauer vereint
       
       > Am 2. Mai 2014 starben 42 Aktivisten beim Brand des Gewerkschaftshauses
       > in der südukrainischen Stadt. Die Gedenkveranstaltung verläuft friedlich.
       
   IMG Bild: Das Feuer im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014
       
       Odessa taz | Trauernde schicken Dutzende schwarzer Luftballons am
       Donnerstagnachmittag vom Platz des Gewerkschaftshauses in Odessa Richtung
       Himmel. Die Luftballonaktion ist der Höhepunkt eines Tages des Gedenkens in
       der ukrainischen Hafenstadt.
       
       Schon ab dem frühen Morgen fallen auf dem Weg zum Gewerkschaftshaus die
       vielen Fahnen auf, die an Wohnhäusern, öffentlichen Gebäuden und dem
       Hauptbahnhof wehen. Es sind überwiegend die rot-weiß-gelben Fahnen der
       Stadt Odessa und die blau-gelbe ukrainische Nationalfahne. Alle tragen
       Trauerflor. Im Fußballstadion Spartak, nur einen Steinwurf von Hauptbahnhof
       und Gewerkschaftshaus entfernt, sind die ukrainische Fahne und die
       Stadtfahne auf Halbmast gehisst.
       
       Mit Blumen in der Hand strömen den ganzen Tag Bewohner der Stadt vom
       Hauptbahnhof zum Gewerkschaftshaus. Dieses ist hermetisch abgesperrt. Nur
       an einer Stelle kann man den Platz vor dem Gewerkschaftshaus, das Kulikowe
       Polje, durch eine gut von der Polizei gesicherte Absperrung betreten. Die
       Menschen legen die Blumen direkt vor dem weißen Gewerkschaftshaus ab, wo
       schon am frühen Nachmittag ein wahres Blumenmeer entstanden ist. Niemand
       stört sich an den scharfen Kontrollen und den Metalldetektoren. Über 2.000
       Polizisten und Nationalgardisten sorgen für Sicherheit.
       
       Hier in diesem Haus waren vor fünf Jahren, am 2. Mai 2014, prorussische
       Demonstranten bei einem Feuer ums Leben gekommen. Nachdem bei
       Straßenschlachten zwischen Anhängern und Gegnern der Maidan-Bewegung in der
       Innenstadt von Odessa zwei proukrainische und vier prorussische
       Demonstranten erschossen worden waren, hatten sich beide Demonstrationen
       auf den Weg zum Gewerkschaftshaus gemacht. Dabei waren die
       Antimaidan-Aktivisten in das Gewerkschaftshaus geflohen und hatten sich
       dort verbarrikadiert. Als wenig später dort ein Feuer ausbrach, konnten
       sich 42 Personen nicht mehr retten.
       
       ## Breiter Konsens im Gedenken
       
       In der Vergangenheit hatten die Behörden der Stadt Gedenkfeiern am
       Gewerkschaftshaus von Odessa ablehnend gegenübergestanden. Immer wieder
       wurde wegen einer angeblichen Bombendrohung das Gelände just zu einem für
       eine Gedenkveranstaltung geplanten Zeitpunkt gesperrt. Gedenktafeln mit
       Porträts der Toten waren vor diesem immer wieder abgeräumt worden.
       
       Doch in diesem Jahr scheint das Gedenken von einem sehr breiten Konsens
       getragen zu sein. Das Fehlen jeglicher Slogans ermöglicht es auch Personen,
       der Toten zu gedenken, die dies in der Vergangenheit nicht getan hatten –
       aus Furcht, öffentliche Trauer für die toten prorussischen Aktivisten
       könnte als Parteinahme für deren Positionen gewertet werden.
       
       Und so verläuft die Veranstaltung ruhig und friedlich. Lediglich einmal
       sieht sich die Polizei gezwungen, einzuschreiten. Bei einer 15-Jährigen, so
       der Pressedienst der Nationalpolizei, habe man ein T-Shirt mit verbotener
       sowjetischer Symbolik entdeckt. Man habe mit ihr auf der Wache ein
       klärendes Gespräch geführt, von einer Strafe jedoch wegen ihres Alters
       abgesehen.
       
       Seit der Wahl von Wolodimir Selenski zum Präsidenten des Landes am 21.
       April hat sich in Odessa die Stimmung etwas entpolitisiert. Über 87 Prozent
       der Odessiten haben für Selenski gestimmt und damit dem nationalistischen
       Kurs des scheidenden Staatschefs Petro Poroschenko eine Abfuhr erteilt.
       
       ## Weniger Hass
       
       2014, als sie noch auf der Krim gelebt habe, erzählt die Künstlerin Olga
       Yarova, hätten sich einige Freunde von ihr auf Facebook entfreundet. Wer zu
       diesem Zeitpunkt freiwillig auf der Krim lebe, verrate die Ukraine, hatten
       diese sie wissen lassen. Doch bei den jüngsten Wahlen hätten einige von
       ihnen für Selenski gestimmt, weil Poroschenko zu nationalistisch agiert
       habe. Die Wahl eines ukrainischen Präsidenten, der besser Russisch als
       Ukrainisch spricht, hat dem Hass auf die Regierung in Kiew etwas Wind aus
       den Segeln genommen.
       
       Doch nicht alle in Odessa freuen sich über Selenski. „Bei Poroschenko
       wussten wir, woran wir sind“, sagt die Journalistin eines lokalen
       Online-Portals, Oxana. „Selenski ist die große Unbekannte. Da können noch
       unangenehme Überraschungen auf uns zukommen.“
       
       2 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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