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       # taz.de -- Internationaler Tag der Pressefreiheit: Kontrolle zurückgewinnen
       
       > Die mediale Aufregung um ein Interview von Armin Wolf mit einem FPÖler
       > zeigt: Journalisten können klüger mit Rechten umgehen, als sie es oft
       > tun.
       
   IMG Bild: Von ihm kann man noch was lernen: Armin Wolf bei einer Preisverleihung im April
       
       Es ist schon ein starkes Stück, das sich da derzeit in Österreich abspielt.
       Armin Wolf ist ORF-Moderator und der Mann, der letztes Jahr international
       Anerkennung erhielt für sein Interview mit Wladimir Putin. Nehmen wir so
       viel vorweg: Putin ist nicht ausgerastet. Ein gewisser Harald Vilimsky,
       Spitzenkandidat der FPÖ für die Europawahl und auch deren Generalsekretär,
       blamierte sich hingegen in Sachen Pressefreiheit.
       
       Was war passiert? In dem Interview, das man online nachsehen kann,
       konfrontiert Armin Wolf Vilimsky mit einem rassistischen Plakat der
       steiermärkischen Jugendorganisation der FPÖ, Vilimsky verharmlost den
       zugrundeliegenden Rassismus. Daraufhin wird eine Zeichnung aus dem
       „Stürmer“ eingeblendet, die damals auf ähnliche Weise Juden abwertete.
       Vilimsky eskaliert: Das habe er im ORF noch nicht erlebt. Was folgt, ist
       der gängige argumentative Rechtsdreh: Wer Vergleiche zur Nazizeit
       herstelle, um auf aktuelles Unrecht hinzuweisen, verharmlose das Gedenken
       an die Opfer des Holocaust.
       
       Gerade Holocaust-Überlebende selbst verweisen allerdings konsequent auf
       solche Parallelen und sehen solche Vergleiche als eine Art, das Versprechen
       des „Nie Wieder!“ einzulösen.
       
       Vilimsky fuhr eine klassische Strategie rechter Politiker: diskreditieren
       und einschüchtern. Aber wie! Nicht einmal Putin, der nicht gerade für
       seinen zimperlichen Umgang mit Medienschaffenden bekannt ist, wollte sich
       öffentlich auf diese Weise demaskieren. Vilimsky aber gebärdete sich so,
       als sei kritischer Journalismus ein Angriff auf die Obrigkeit. [1][Es
       folgte eine mediale Diffamierungskampagne], man legte Armin Wolf eine
       bezahlte Auszeit nahe. Armin Wolf verzichtete dankend.
       
       Rechte Rhetorik erfordert frontale Interviewführung 
       
       Armin Wolf, als Journalist schon vielfach ausgezeichnet, hat allein auf
       Twitter bald die dreifache Reichweite des Facebook-Accounts seines
       Arbeitgebers ORF. Und das in einem Land mit knapp neun Millionen
       Einwohnern. Wolfs Arbeitsweise und Reichweite sind eher vergleichbar mit
       der von CNN-Journalisten als mit der von Kollegen hierzulande. Er erfuhr
       nach dem Interview breite Solidarität aus Deutschland, aber auch aus dem
       anglosächsischen Raum, für einen Journalismus, der „die Mächtigen zur
       Rechenschaft zieht“.
       
       Vilimskys Angriff auf die Pressefreiheit ist, von Deutschland aus
       betrachtet, aus mehreren Gründen relevant: Er macht die Strategien der
       europäischen Rechten sichtbar, die Glaubwürdigkeit der Medien zu
       beschädigen. Er zeigt die Haltung der europäischen Rechten zur
       Pressefreiheit. Er zeigt jedoch auch einen Mangel: Die rechte Rhetorik
       erfordert eine frontalere Interviewführung als in Deutschland üblich, damit
       Falschbehauptungen sich nicht als Realität durchsetzen. Armin Wolf wollte
       Vilimskys Definition von „Rassismus“ nicht unhinterfragt stehen lassen.
       
       Der deutsche politische Rechtsruck erzählt sich entlang des rechten
       Narrativs vom vermeintlichen „Kontrollverlust“ 2015.
       
       Demaskiert wird dieses Narrativ selten. Lügenpresse-Vorwürfe führen leider
       nicht dazu, dass Journalisten hierzulande fordern, ihren Job machen zu
       dürfen, wie Armin Wolf das tut. Vielmehr bindet man rechte Protagonisten
       stärker in öffentlich-rechtliche Formate ein, doch nur wenige arbeiten
       menschenfeindliche Positionen präzise heraus.
       
       Der Mythos vom Kontrollverlust 
       
       Ein exzellentes Beispiel hierfür war das Medienversagen rund um den
       Bamf-Skandal und die angeblich falschen Asylbescheide aus Bremen. Aus
       heutiger Sicht kann man sagen: Der gesamte Vorgang um die Bremer Behörde
       war eine Ente, ausgelöst von einer gewissen Josefa Schmid, die aus dem
       Nichts kam und wieder im Nichts verschwand, die aber mit ihrer Behauptung,
       den größten Skandal überhaupt entdeckt zu haben, das Land in Schrecken
       versetzte. Die Bremer Fehlerquote [2][erwies sich inzwischen als
       unterdurchschnittlich] im bundesweiten Vergleich.
       
       Die politische und mediale Aufarbeitung des Vorfalls etablierte jedoch den
       Mythos vom Kontrollverlust weiter. Sie förderte das Misstrauen gegenüber
       Merkels „Wir schaffen das“. Bremen wurde zum Beleg für „Wir schaffen das
       nicht!“. Die Dominanz dieses Narrativs wirkte sich auch auf mich aus,
       weshalb ich diesen Text überhaupt verfasse: Als ich zu diesem Thema in
       einer Talkshow eingeladen wurde, sagte ich ab, da ich fürchtete meine
       Position würde mir in dieser aufgeheizten Stimmung als reine Naivität
       ausgelegt. Gutmenschen und so. Rückblickend wäre ich wohl die vernünftigste
       Person im Raum gewesen. Doch die Stimmung im Land war so aufgeheizt, dass
       Vorbehalte gegen die Panik wirkten wie Schönwetterreden zugunsten der
       Humanität.
       
       Horst Seehofer versprach damals, dafür zu sorgen, „dass beim Asylrecht
       wieder Recht und Ordnung herrschen“. Wer fragte ihn: „Herr Seehofer, welche
       Belege haben Sie dafür, dass Recht und Ordnung im Asylrecht nicht
       herrschen?“ Christian Linder fuhr gleich auf die Spur rechts von der CSU.
       Man nahm zwar seinen Rechtsruck wahr, aber seine Rhetorik nicht
       auseinander. Selbst Ralf Stegner forderte für die SPD: „Merkel drückt sich
       vor ihrer Verantwortung. Sie schweigt, tut nichts und will den
       Kontrollverlust im Bamf aussitzen.“ Kaum ein deutscher Journalist
       konfrontierte die Politiker. Unschuldsvermutung? Geschenkt. Man darf die
       deutsche Bevölkerung nicht zu lange durch Ungewissheiten beunruhigen.
       
       99,3 Prozent der ausgestellten Bescheide waren im Nachhinein korrekt. Doch
       kaum jemand bremste die rechte Interpretation der Ereignisse, kaum jemand
       wies darauf hin, dass möglicherweise ein Ereignis instrumentalisiert wird,
       um das Scheitern von Merkels Politik zu beschwören und das Vertrauen der
       Bevölkerung zu erschüttern. Es wurde damit aber über das Leben und
       Überleben von Menschen entschieden. Man hätte sich mehr Armin Wolf
       gewünscht. Es ist noch Zeit, zu lernen.
       
       3 May 2019
       
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