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       # taz.de -- Kündigungen in Leipzig-Connewitz: Abrissbirne gegen Ateliers
       
       > Einer der letzten Freiräume in Connewitz wurde gekauft. Nun sind Teile
       > des Geländes abgerissen worden – unter Protest der mietenden
       > KünstlerInnen.
       
   IMG Bild: Noch frühstücken sie, im Zweifel wollten sie die Toreinfahrt zum Gelände blockieren
       
       Leipzig taz | Ein dunkler Fleck auf dem Boden erinnert an die Stelle, wo
       vorgestern noch ein Schuppen stand. Auf dem Gelände der Kochstraße 124 im
       Leipziger Stadtteil Connewitz sitzen Donnerstagmorgen seit fünf Uhr einige
       Dutzend Leute beim Frühstück. Sie wurden in der Nacht spontan
       zusammengetrommelt, um im Zweifel die Toreinfahrt zu blockieren. Denn die
       Angst vor Entmietung ist akut: Anfang der Woche haben Bauarbeiter auf dem
       Gelände einen Schuppen und eine Garage abgerissen, eine Veranda abgeräumt,
       ein Fenster der Fabrik eingedrückt, Garagen mit Containern blockiert.
       
       „Die standen hier buchstäblich mit dem Hammer in der Hand und haben
       angefangen, Teile des Geländes plattzumachen“, erzählt ein Unterstützer,
       der dabei war. „Die haben gedroht, heute wiederzukommen und die komplette
       Fabrik auszuräumen.“ In Gefahr sind die ansässigen Werkstätten, Ateliers
       und Galerien mitsamt der Kunst darin. Das Grundstück hat wohl erst seit
       wenigen Wochen einen neuen Eigentümer. Und der würde gern sanieren.
       
       Der Leipziger Kaufmann Henrik Dantz gilt als etablierte Größe in der
       Leipziger Kneipenszene. Ihm gehören zahlreiche Restaurants und Cafés im
       Zentrum, auch das historische Stadtbad, in dem er regelmäßig Dinnershows
       veranstaltet. Nun gehört ihm auch das Gelände in der Kochstraße. Mit den
       zwei verwitterten Mehrfamilienhäusern den Werkstätten und dem alten
       Fabrikgebäude fällt es optisch aus der blanken Umgebung heraus: Eine
       Fußbreite daneben hämmern Bauarbeiter an zwei exklusiven Neubauten mit
       riesigen Balkons. Die Ateliers, die Fabrik und das Wohnhaus sind die
       letzten Gebäude im Block, die noch nicht saniert sind. Noch.
       
       Dantz ist am Vormittag am Telefon. Wann er das Grundstück gekauft hat und
       ob er schon im Grundbuch steht, will er nicht sagen. Zur Situation erklärt
       er, die Bauarbeiter seien nach seinem Wissen durch die Hausverwaltung
       beauftragt worden. „Da wurden eingestürzte Garagen weggeräumt, weil
       Verletzungsgefahr bestand.“ Eine weitere Garage solle „mit Einverständnis
       des Mieters vorsichtig zurückgebaut“ werden. Dantz hat mitbekommen, dass
       die Abrisse im Hof zu Aufruhr geführt haben: „Es ist zu einigen
       Aufwiegelungen unter den Mietern gekommen, viel ist missverstanden worden“,
       formuliert er.
       
       Die Bildhauerin Franziska Anna Faust wohnt im Hinterhaus, sie hat im Hof
       seit über zehn Jahren eine Werkstatt angemietet und liebevoll ausgebaut.
       Hinter einem schmiedeeisernen Tor stehen einige ihrer Skulpturen, darunter
       viele Tiergerippe. Vor einer Woche wurde Faust gekündigt. „Ich mache den
       Briefkasten auf, und heraus fallen drei Schreiben: Hausverwaltungswechsel –
       deren Vollmacht des Eigentümers – Kündigung der Werkstatt“, erzählt sie.
       „Das ist mein Zuhause, ich habe mein halbes Leben hier verbracht, für mich
       ist das ein totales Desaster!“
       
       ## Die Veränderung im Viertel
       
       Dantz hat Verständnis für das rabiate Vorgehen der Abrissfirma, und auch
       für die Ängste der MieterInnen, sagt er – aber nicht für die Ablehnung, die
       ihm entgegenschlägt. In den Wohnhäusern werde eine „ganz normale sozial
       verträgliche Renovierung stattfinden“, beschwichtigt er, „die Mieter
       bekommen natürlich Möglichkeiten, dort wieder einzuziehen, wenn das Gebäude
       nach Denkmalschutzvorschrift saniert ist.“ Dass er vorhabe, die Ateliers
       der KünstlerInnen zu entmieten, stimme nicht, sagt Dantz – trotz der
       Kündigungen. Seine Prognose ist nicht vielversprechend: „Ob die Fabrik
       erhalten werden kann, kann ich zum jetzigen Stand noch nicht sagen, weil
       ich den Zustand des Gebäudes nicht kenne.“ Termine mit Sachverständigen
       müssten gemacht werden. „Ob das Gewerbeflächen werden oder ob die Substanz
       überhaupt den Erhalt hergibt, wird man dann sehen müssen.“
       
       „Man sieht die Veränderung im Viertel“, sagt eine Unterstützerin. Connewitz
       ist mit seiner Lage zwischen Innenstadt und Naherholungsgebiet in den
       letzten Jahren immer attraktiver für Investoren geworden, die Mieten
       schießen durch die Decke. „Die Leute haben Angst, ihren letzten Freiraum zu
       verlieren“, sagt ein ehemaliger Ateliermieter. „Wichtig ist, dass wir die
       drei Jahre noch bekommen“, meint er, so lange läuft der Mietvertrag für die
       oberen Geschosse noch. Die Werkstätten im Keller haben auch schon ihre
       Kündigung für Ende September bekommen. Einige wollen Widerspruch
       einreichen. Wohin die KünstlerInnen umziehen sollen, ist in der aufstreben
       Stadt Leipzig mit seinen rasant steigenden Mieten unklar.
       
       9 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helke Ellersiek
       
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