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       # taz.de -- Museum Europäischer Kulturen: Ein Museum für Europa
       
       > Während seine Nachbarn ins Schloss ziehen, bleibt das Museum Europäischer
       > Kulturen in Dahlem. Am Sonntag feiert es 20. Geburtstag.
       
   IMG Bild: So traute man sich in der Schwalm: „Hochzeitsträume“ in Dahlem
       
       Da besucht man in dieser topmodernen und in jeder Hinsicht vielstimmigen
       Stadt ein großes Museum – und wird auf einen Schlag gleich Jahrzehnte
       zurückgeworfen. Mitten im Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Dahlem, in
       der aktuellen Ausstellung namens „Hochzeitsträume“: im Glaskasten zwei
       Schwälmer Trachten aus dem Bundesland Hessen.
       
       Die weibliche wirkt wie die einer recht pummeligen Braut, wegen der neun
       Röcke, die übereinander gehörten, man musste ja Reichtum demonstrieren. Die
       grünen Glaskugeln in der Haube, der reich bestickte Brustlatz: Es ist, als
       wollte diese Tracht etwas sagen. So etwas wie: Kann ja sein, liebe Autorin
       dieser Zeilen, dass du dich in dieser Stadt zu Hause fühlst. Vielleicht
       fühlst du dich auch noch in ein paar anderen Städten wohl, die du schon
       besucht hast. Aber ich bin trotzdem das, der Ort, wo du nun mal herkommst.
       
       Vielleicht waren es ähnliche Empfindungen, die vor ein paar Jahren die
       Entscheider in dieser Stadt dazu bewogen, dass zwei der drei großen Museen
       in Dahlem ins Zentrum rücken sollten. Doch während nun das Museum für
       Asiatische Kunst und das Ethnologische Museum künftig im Humboldt Forum
       beheimatet sein sollen, muss das MEK, das an diesem Wochenende mit einem
       Nachbarschaftsfest seinen 20. Geburtstag feiert, bleiben, wo es ist.
       
       Möglicherweise waren diese Entscheider peinlich berührt, als sie all die
       vermeintliche Folklore aus Oberbayern und Schlesien und höchstens noch
       Sizilien sahen, die dieses Museum zu bieten hat. Und dachten sich, dass es
       vielleicht glanzvoller und kosmopolitischer rüber käme, wenn sich Berlin in
       seinem Zentrum im Schloss mit Südseeboten und chinesischer Seidenmalerei
       präsentieren würde. Sie sahen nicht das Potenzial, das in den stolzen
       280.000 Objekten der Sammlung dieses Museums steckt.
       
       Denn natürlich ist die Zurschaustellung von Schwälmer Trachten und
       ähnlichen Objekten im MEK in Zeiten, in denen das Konzept Europa wieder
       sehr infrage steht, alles andere als piefig, wenn man sie schlau und
       humorvoll in Kontexte stellt.
       
       ## Folge einer Fusion
       
       Das MEK, das 1999 aus einer Fusion der Parallelmuseen für Volkskunde im
       Ost- und Westteil Berlins entstand, stellt sehr elegant all die wichtigen
       Fragen, die man heute stellen muss: Was könnte überhaupt so etwas sein wie
       eine europäische Identität? Wie kamen die Nationalgrenzen, die neuerdings
       plötzlich wieder eine größere Rolle spielen sollen, überhaupt zustande? Wie
       haben Handelsbeziehungen, wie hat Migration Europa geprägt?
       
       So widmet sich ein Kapitel der Hochzeitsausstellung ganz selbstverständlich
       einer türkischen Hochzeit in Deutschland. In der Dauerausstellung stehen
       italienische Souvenirs deutscher Regenten neben Döner-Attrappen aus Plastik
       und man erfährt, dass man in Finnland mit 1.877 Tassen jährlich deutlich
       mehr Kaffee trinkt als in Deutschland (1.108) und Italien (862). Man kann
       sich Stunden in einen „Weihnachtsberg“ aus dem Erzgebirge versenken, der
       auf 15 Quadratmetern und mit über 300 teils beweglichen Figuren die
       wichtigsten Stationen aus dem Leben Jesu darstellt – nur um kurz darauf
       über „Conchita Wurst auf der Mondsichel“ zu stolpern, ein Kunstwerk des in
       Berlin lebenden österreichischen Künstlers Gerhard Goder.
       
       Eine der schönsten Ideen in der Dauerausstellung des MEK ist, diese immer
       wieder durch Fotos von Fans des Museums aufzulockern. Sie fragen sich auf
       kleinen, bebilderten Pappen, die überall an Fäden von der Decke baumeln,
       was einen Gegenstand zum Ausstellungsstück macht. Eine Frau, die aus
       Spanien nach Deutschland kam, zeigt ihre Kastagnetten, die sie bei einem
       Besuch in der alten Heimat kaufte. Eine Frau, deren Eltern aus der Türkei
       kamen, hat sich für einen der zahlreichen Hüte des verstorbenen Vaters
       entschieden, die der Zeit seines Lebens kaufte und sammelte. Der Hut ist
       einer dieser Hausmeister-Krause-Cordhüte.
       
       Hüte wie diese werden bis heute gern von den letzten Kleinbauern dieses
       Landes getragen, wenn sie sich auf den Trecker schwingen, zum Beispiel in
       der Schwalm. Wahrscheinlich hätten solche Beobachtungen den
       durchschnittlichen Besucher aus China oder Australien, der das Humboldt
       Forum mal besuchen wird, mehr interessiert als Seidenmalerei und
       Südseeboote. Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Die Reise nach
       Dahlem wird diesem Besucher weniger weit erscheinen als dem
       durchschnittlichen Berliner.
       
       11 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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