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       # taz.de -- Die Wahrheit: Jubeljodler unterm Feuerwerk
       
       > Steht Gaza noch? Wird Israel von Raketen getroffen? Bier und Crémant sind
       > kalt gestellt. Jetzt geht’s los! Die Party zum ESC kann beginnen.
       
       Hallöööchen! Kommt rein. Schnell. Es geht gleich los. Die sind schon kurz
       vorm „Wort zum Sonntag“. Schön, dass ihr mal wieder dabei seid. Oh, supi!
       Schinkenröllchen! Mit Pflaumen. Die Klassiker. Stellt das mal auf das
       Büfett, da rechts. Ist sowieso zu viel Veganes auf dem Tisch.
       
       Ihr müsst euch einen Platz sichern. Heute wird’s total voll. Bei der
       Konstellation. Eigentlich hatten die Israelis und die Hamas ja einen
       Waffenstillstand. Aber das war ja klar, dass das wieder losgeht, wenn das
       Gesinge beginnt. Trotz Ramadan. Und Vollmond. Sind einfach zu viele
       Journalisten aus aller Welt im Land.
       
       Die Couch ist aber schon besetzt – wie die „besetzten Gebiete“ in Israel.
       Hahahaha. Klappstühle stehen im Gästezimmer. Bier und so weiter ist auf der
       Terrasse. Aber erst mal einen Crémant! Zum Muntermachen. Wir haben da einen
       Neuen: Limoux. Supi! Wir hatten schon den weißen Brut. Aber der Rosé ist
       noch besser. Ich sag immer, wenn der aus der Champagne käme, dann wäre der
       dreimal so teuer.
       
       Wisst ihr noch, früher? Hahahaha. Die Kommentare? Über die Teilnehmer.
       Aussehen und Performance. Wir alle mit Stift und Block: „Bulgarische
       Dunkelbierdame“. Oder „Trulla im Tittenfummel“. Darf man das eigentlich
       noch sagen? Oder die krasse Belgierin in Socken: „Gelbierin mit Fußblues.“
       Und bei der Punktevergabe – „Duhß Poants“, hahahaha – wurde später alles
       vorgelesen. Wer den besten Kommentar abgab, hat den Champagner gewonnen.
       Na, was glaubt ihr denn?! Der steht schon im Kühlschrank. Ein echter Moët
       Chandon. Wir sind ja hier nicht im Ramadan.
       
       ## Ohrenstöpsel gegen Musik
       
       Aber wir sind jetzt supimodern. Nur noch WhatsApp. Die Gruppe hat Svenja
       eingerichtet. Wenn ihr die noch nicht habt, fragt Svenja. Dann kriegt jeder
       alle Kommentare über WhatsApp. Sofort. Bloß nix zur „Musik“! Oder was die
       so nennen. Ohrenstöpsel liegen da vorn. Nein, nicht beim Büfett! Nicht
       mehr, seit Ralf vor ein paar Jahren zwei von denen vertilgt hat. Er dachte,
       das wären Pralinen. Ralf eben, der alte Kauz.
       
       Ooooh! Seht mal! Seht mal! Die Raketen fliegen schon wieder. Aus Gaza. Ja,
       wir haben extra den Fernseher aus dem Schlafzimmer rübergetragen. Damit wir
       zwei Bildschirme haben und nebenher die Raketen live sehen können. Auf dem
       iPad ist das einfach zu klein. Ist CNN. Wir können auch Al-Dschasira
       gucken. Die sind vielleicht näher dran. Aber CNN hat mehr Effekte. Mit dem
       Nachtsichtgrün und der Leuchtspurmunition. Ooooh, fliegen die hoch. Da
       brauchen die in Tel Aviv jedenfalls kein Abschlussfeuerwerk.
       
       Wisst ihr noch, in Baku? Wo die Tochter des Diktators oder so gesungen hat?
       Da haben sie auch zum Schluss die ganze Pyrotechnik des Orients in die Luft
       gejagt. Heute gibt’s das alles für umme. Danke, Hamas! Aber wir sind streng
       neutral. Heute Abend gibt’s nur eine knallharte Regel: Keine Politik! Es
       ist „Grand Prix“ oder wie das Song-Dingens jetzt heißt. Keine Politik! Spaß
       bleibt Spaß. Wir wissen doch alle: Die Israelis spinnen. Und die
       Palästinenser sind Arschlöcher. Punkt.
       
       Mach doch mal lauter! Nein, nicht CNN! Das „Wort zum Sonntag“. Kuckma.
       Alter Falter, Gereon Alter heißt der. Und das soll ein Pfarrer sein? Ich
       will’s gar nicht hören. Der wird wieder irgendeinen Sermon über „Zwölf
       Punkte für den himmlischen Frieden“ absondern. Warum nur können sich die
       armen Menschen im Heiligen Land nicht vertragen, in dieser Wiege der
       Weltreligionen, bla, bla, bla …
       
       Wisst ihr noch, früher? Die Namen? Oda-Gebbine Holze-Stäblein? Die
       ostfriesische Schraube Gottes? Hahahaha. Das waren noch gottesfürchtige
       Gestalten! Beim „Wort zum Bierholen“.
       
       Braucht noch jemand ein Bier? Es gibt auch Cider. Irischen. Für die
       Johnny-Logan-Fans. Hahahaha. Wetten wir, die alte Specklocke taucht
       irgendwann auch noch auf? Wie immer. Wenn dann der Schmalz aus dem
       Fernseher tropft, muss jemand schnell ein Eimerchen holen. Aber heute
       tropft ja sowieso nur Blut heraus. Ja! Okay! Sorry! War en bisschen hart.
       Aber der ESC ist auch beinhart wie en Rocker. Bei der Mucke geht nicht nur
       eine Träne auf Reisen. Da wird jeder Wein sauer.
       
       ## Sicherster Ort der Welt
       
       Hat jemand den Korkenzieher gesehen? Gib mal die Crémant-Flasche her. Wow,
       zischt das Teil ab! Das muss jetzt schon die zehnte Rakete in fünf Minuten
       gewesen sein. Wetten, die Israelis schlagen gleich krass zurück? Aber wenn,
       richtig heftig. Dann kracht da so ein ganzer Häuserblock ein. Guck doch mal
       jemand auf dem iPad nach, was die Israelis offiziell erzählen. Tel Aviv ist
       wahrscheinlich heute der sicherste Ort der Welt. Zumindest in der Halle.
       Die heißt nicht umsonst „Iron Dome“. Die können sich da nicht mal einen
       Kurzschluss erlauben.
       
       Will jemand einen Kurzen? Ich hab da was ganz, ganz Feines. Schwarz
       gebrannt. Na gut, nicht wirklich schwarz gebrannt. Nennt sich nur so:
       „Moon-shiner“. Bratapfel. Supi wie der Vollmond heute Nacht. Von wegen
       Roter Halbmond. Wie früher Roter Libanese. Würde die Scheiß-Hamas sich das
       Zeug reinziehen, würde die auch auf andere Gedanken kommen. Hahahaha. Statt
       Bonbons auf den Straßen zu verteilen und zu jubeln bei jedem Einschlag, der
       einen Israeli killt. Dieses kreischige arabische Jubeljodeln. Damit könnten
       die glatt am ESC teilnehmen. Müssten sich nur in so einen wilden
       Claudia-Roth-Fummel werfen. Am besten mit Schlitz bis ins Nirwana.
       
       Habt ihr die Chips gesehen? Da hinten. Ein ganzer Berg. Für den kleinen
       Hunger zwischendurch. Die Golanhöhen sind nichts dagegen. Dann hoffen wir
       mal, dass die Mullahs in Teheran kein Blut geleckt haben. Hamas, Hisbollah
       – und mittendrin die „Schwulen-Olympiade“. Der ESC als Auslöser für einen
       Weltkrieg – das fehlte noch. Ein Funke, und die Amis hauen drauf.
       Hoffentlich nicht genau dann, wenn Madonna ihren Gastauftritt hat, die alte
       Fregatte. Die haben doch gerade erst die „Abraham Lincoln“ in den Nahen
       Osten verlegt. Und wenn so ein Flugzeugträger mit seinen Marschflugkörpern
       mitmischt, dann ist Schluss mit Jodeln! Jede Tomahawk kostet gut eine
       Million Dollar. Und in Te… Te… Teheran bebt die Erde. Hab schon einen
       Knoten in der Zunge vom Crémant und den Schinkenröllchen und …
       
       „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne. Für diese Erde, auf der wir
       wohnen …“ Darauf noch ein flüssiges Obst. Hoch die Tassen! So jung kommen
       wir nicht mehr zusammen. Auf einem Bein kann man nicht stehen – vor allem,
       wenn man gerade in Gaza ist. Hahahaha.
       
       12 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Eurovision Song Contest
   DIR Israel
   DIR Gaza
   DIR Inserat
   DIR Carola Rackete
   DIR Greta Thunberg
   DIR Theresa May
   DIR F.W. Bernstein
       
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