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       # taz.de -- Die Wahrheit: Pünktlich wie die Maulesel
       
       > Die Deutsche Bahn hat jetzt das neue „Projekt Höchste Mathematik“ gegen
       > Verspätungen entwickelt. Mit durchschlagendem Erfolg.
       
   IMG Bild: Die neuen Farben der Deutschen Bahn: Grün-Rot-Gelb
       
       „Wir waren ja auch verzweifelt“, sagt Dr. Gero Reddemann, Referatsleiter
       der Bahn in der Abteilung Pünktlichkeitsmanagement. Der Mittfünfziger mit
       der briskigen Fünfzigerjahrefrisur klagt: „Wir sollen rollenden Schrott auf
       rostdurchwirkten Schienenresten mit Stellwerken aus der Vorkriegszeit so in
       Einklang bringen, dass ein Zug pünktlich abfährt und später sogar auch noch
       ankommt.“ Er verdreht die Augen. „Ein Witz. Geht nicht.“
       
       Reddemann kennt die Horrormeldungen: Pünktlichkeitsquote der Fernzüge
       stetig fallend, zuletzt ganze 75 Prozent. Angeblich! Ein flüchtiger Blick
       auf die Verspätungsanzeigen in einem beliebigen deutschen Bahnhof zu
       beliebiger Zeit beweist: Mindestens 75 Prozent sind Spätis. Und tendenziell
       geht die Pünktlichkeitsquote gegen null. Reddemann sagt selbst: „Wenn mal
       ein ICE pünktlich hier in Berlin einrollt, schließen wir erst aus, ob es
       nicht der Zug vom Vortag ist, und machen dann immer ein Glas Rotkäppchen
       Primeur auf.“ Zuletzt sei das noch im November vorgekommen.
       
       Und dennoch hat die Bahn mit ihrer Dreiviertel-Rechnung recht, so
       Reddemann. Er lächelt: „Und wir arbeiten uns der Hundert entgegen. An
       Pünktlichkeit!“
       
       Will uns der Mann eine Regionalbahn für einen Shinkansen vormachen? „Lange
       haben wir überlegt, wir lassen gar keinen Zug mehr fahren. Dann kann keiner
       verspätet sein. Etwas unlogisch, zugegeben. Aber einen nichtfahrenden Zug
       verspätet zu rechnen, ist auch Unsinn. Also zählen Züge, die ausfallen,
       nicht mit.“ Auf den Einwand, das wisse die Öffentlichkeit doch längst, wird
       er ungeduldig. „Lassen Sie mich ausreden.“
       
       ## Fährt kein Zug nach Irgendwo
       
       Und Gero Reddemann beginnt, seine durchtriebene Strategie zu erläutern, das
       „Bahnprojekt Höchste Mathematik“. Wenn ein Zug unterwegs massiv „Verspätung
       einfährt, wie wir das nennen“, lasse man ihn schon einen Bahnhof vor Ende
       der Reise umkehren. „Eine nicht komplett zurückgelegte Strecke gilt als
       Nichtfahrt im Sinne des Fahrplans; folglich können wir die Verspätungen aus
       der Statistik herausrechnen.“
       
       Wir staunen: Als wäre der nie losgefahren? „So ist es“, sagt Reddemann und
       lächelt zum ersten Mal. „Auch gefahrene Züge können also als nicht gefahren
       gelten. Dieses sehr elegante Verfahren macht uns sehr flexibel.“ Und sei
       besser als die erste Idee: „Nicht einen knapp sechs Minuten verspäteten Zug
       noch als pünktlich zu klassifizieren, sondern bei unter sechs Stunden.“
       
       Auch Reddemann weiß: Die üblichen Fahrtdauerweiterungen, seit Jahren
       praktiziert, reichen nicht mehr. In den neunziger Jahren brauchte man etwa
       von Krefeld nach Aachen 53 Minuten, heute sind es mindestens 82. Der ICE
       Aachen–Brüssel wurde noch vor acht Jahren mit genau einer Stunde Fahrtzeit
       beworben, heute braucht er 74 Minuten, falls mal einer fahrplangemäß
       durchkommt.
       
       ## Brüssel-Frankfurt 0:0
       
       Auch Brüssel–Frankfurt oder Paris–Stuttgart gelten als notorisch
       dauerverspätet. Deshalb habe die Bahn internationale Züge aus der Statistik
       liquidiert. „Das ist bei der Bereitstellung aus dem Ausland ja auch nicht
       unser Problem.“ Dann lässt der eben noch sympathische Mann einige Tiraden
       los über seine belgischen und französischen Kollegen, die wir hier nicht
       zitieren möchten. „Oder diese Schweiz“, sagt er noch und scheint sich
       plötzlich erbrechen zu müssen. Schweiz ist in Bahnerkreisen das größte
       Schimpfwort überhaupt. Weil es dort so gut klappt mit Streckenvernetzung
       und Pünktlichkeit. „Du Schweizer“ ist eine gerichtsnotorische Beleidigung.
       
       Reddemann erläutert weiter: Erfolgreich seien auch die neuen
       deutsch-deutschen Doppelstock-ICs, die etwa zwischen Köln und Dresden oder
       Norddeich/Mole und Leipzig pendeln. „Hier haben wir längere Wartezeiten in
       den Fahrplan integriert, etwa in Oldenburg oder gut 20 Minuten in Hannover.
       So holen wir Verspätungen locker wieder ein.“ Zudem könne man jeden dieser
       Züge „vierfach zählen: Sie verbinden zwei Deutschländer und sie sind
       doppelstöckig.“ Diese revolutionäre Idee habe noch der große Vorsitzende
       Mehdorn gehabt, der auch gern auf einem Maulesel die Strecken abgeritten
       sei.
       
       Der größte Coup aber gelang im Emsland. „Seit zwei Jahren“, so Reddemann,
       „fahren wir auf der ehemaligen Transrapidstrecke Tag und Nacht zwei leere
       IC-Zugpaare im Shuttle hin und her. Die 31 Kilometer schaffen wir immer
       just in time.“ Also: lauter pünktliche Züge, die die Gesamtstatistik
       herausragend aufbessern helfen, auf jetzt eben 75 Prozent.
       
       Nein, sagt Reddemann, „perfekt sind wir in unserem Streben nach
       Unperfektion noch nicht.“ Dennoch sei das Emsland sein Lieblingsprojekt:
       „Hier stört kein humanes Transportmaterial den Regelbetrieb.“ Losfahren,
       ankommen, keine Fahrgäste, ein Paradies für Bahner. „Könnten wir doch
       überall so agieren …“
       
       13 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Müllender
       
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