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       # taz.de -- Deutscher Ableger der „Gilets Jaunes“: Mit Gelbweste und Marschmusik
       
       > Längst demonstrieren auch in Deutschland verschiedene Gruppen in
       > Warnwesten. Im Osten sind es vor allem Rechte. Ihr Protest ist diffus.
       
   IMG Bild: Eine Gelbweste in Frankreich. An diesem Outfit orientieren sich hierzulande vor allem Rechte
       
       Apolda/Chemnitz taz | Der Trend kommt aus Frankreich. So einige deutsche
       Protestbewegungen haben sich in den vergangenen Monaten ihre Outfits von
       den französischen Gelbwesten abgeschaut, die seit dem vergangenen Jahr für
       soziale Gerechtigkeit demonstrieren. Heterogener könnten sie kaum
       zusammengesetzt sein: In Stuttgart demonstrierten Autofahrer in Warnwesten
       gegen Fahrverbote, in mehreren Städten protestieren Anhänger der
       Aufstehen-Bewegung in bunten Westen für eine bessere Sozialpolitik, und an
       verschiedenen Orten streifen sich längst auch rechte Gruppen Warnwesten
       über.
       
       Vor allem in einigen ostdeutschen Städten treffen sie sich regelmäßig und
       halten Kundgebungen mit zumeist zweistelligen Teilnehmerzahlen ab. Was ihre
       Anhänger eint: Sie sind zwar rechts, können mit den etablierten Mecker- und
       Panikbewegungen aber trotzdem nichts anfangen.
       
       „Die AfD ist längst eine Altpartei, Poggenburgs ADP ist noch schlimmer“,
       schimpft Ende März in Chemnitz Sandro Reichel, Mitglieder der
       Anti-Establishment-Splitterpartei „Das Haus Deutschland“ und Chef der
       örtlichen Gelbwesten. Im thüringischen Apolda kanzelt ein Redner tags
       darauf die AfD ebenfalls als „Systempartei“ ab. Und in Dresden findet sich
       ein konkurrierendes Häuflein Gelbwesten ausgerechnet montags zusammen – dem
       Tag, an dem eigentlich Pegida demonstriert.
       
       Und noch etwas gilt für alle: Auf Nachfrage offenbaren sie völlige
       Unkenntnis ihrer französischen Vorbilder, der Gilets jaunes. Irgendwie
       sozial wollen sie sein und gegen alles, was „bröckelt“. „Dass jemand eine
       Vierzigstundenwoche arbeitet und trotzdem auf das Existenzminimum
       aufstocken muss, geht überhaupt nicht“, spricht ein junger,
       aufgeschlossener, aber arbeitsloser Chemnitzer. „Im Verhältnis bekommen
       Asylanten mehr“, wiederholt er das bekannte Neidargument.
       
       ## Wettern gegen „das dümmste Volk der Welt“
       
       „Nichts gegen Migranten, wenn wir sie nicht auch noch einladen“, gibt sich
       Organisator Sandro Reichel menschenfreundlich. „Wir sind einfach nur
       Patrioten. Die lieben ihr Land, schätzen aber andere nicht gering“, fügt er
       hinzu.
       
       Leute der ultrarechten, vom Verfassungsschutz beobachteten Bürgerbewegung
       „Pro Chemnitz“ will er deshalb hier nicht sehen. Nur solche, die sich „neu
       orientieren“ wollen, „weil wir alle blind vor die Wand rennen“. Ein
       Pegida-Mann ist extra angereist und trägt auf dem Rücken seiner Weste die
       Aufschrift „Keine Drogen in Dresden!“. Viele kommen auch aus dem Chemnitzer
       Umland, insgesamt eine friedliche Runde ohne Aggressionen. Die Besatzungen
       zweier Polizei-Einsatzwagen warten gelangweilt, ein einziger Polizist läuft
       neben dem Zug und unterhält sich mit den etwa 80 Teilnehmern.
       
       Nach Reichel reden zwei durch Ostdeutschland tourende Wanderprediger aus
       dem Westen. Der eine heißt ausgerechnet Kurt Schumacher, wie der
       SPD-Urvater nach 1945, und sieht aus, als käme er aus einer 68er-Kommune.
       Er wettert gegen den „deutschen Sklavengeist“ und gegen
       Obrigkeitshörigkeit, die „das dümmste Volk der Welt“ unfähig zu einem
       Aufstand gegen die „lügnerischen Politiker“ mache. Danach wirbt Carsten
       Jahn um Unterschriften, um für die Partei „Das Haus Deutschland“ für die
       Europawahl kandidieren zu können. Von den geduldig zuhörenden Chemnitzern
       bekommt er am Ende eine gelbe Weste mit Unterschriften geschenkt.
       
       ## Alle drei Strophen
       
       In Apolda ist die Stimmung am Tag darauf weniger entspannt, die Kundgebung
       dort wirkt fanatischer. Zwei Ringe aus Absperrgittern hat die Polizei um
       den Lautsprecherwagen und die maximal 60 Teilnehmer gezogen, von denen am
       Ende nur noch die Hälfte das Deutschlandlied in allen drei Strophen
       mitbrummt. Ungefähr 50 Gegendemonstranten haben jenseits der Gitter
       Infostände aufgebaut und pfeifen. Zwischen den Reden dröhnt „Auf der Heide
       steht ein kleines Blümelein, und das heißt Erika“ aus den Lautsprechern der
       Gelbwesten, imperative Marschmusik im Sound der 1930er Jahre.
       
       Am Rand steht eine kleine Gruppe zusammen. Sie seien die echten Westen und
       versammelten sich seit Dezember jeden Donnerstag an einem nahen
       Kreisverkehr, sagt einer aus der Gruppe. Ob sie auch die Anmelder dieser
       Kundgebung sind? Ein bulliger Typ reagiert auf diese harmlose Frage des
       Reporters ungehalten. „Wer hat dir das erzählt, du Sack?!“
       
       Der Anmelder der Kundgebung heißt Thomas Weber und stammt aus einer lokalen
       rechten Bürgerinitiative. Das Grüppchen am Rand will mit ihm nichts zu tun
       haben. Das hindert sie aber nicht daran, auf dem Markt zu stehen und
       Beifall zu klatschen. Eigentlich, sagen sie noch, steckten ja die „Soldiers
       of Odin“ hinter der Veranstaltung. Eine rechtsextreme, nazistische
       Bürgerwehr, die auch schon bei Gelbwesten im westdeutschen Gießen gesehen
       wurde und jetzt den Platz optisch dominiert. Nach Apolda sind sie aus
       Berlin und Mecklenburg-Vorpommern angereist.
       
       ## „Von Rattenfängern instrumentalisiert“
       
       Gekommen sind auch rechte Volksredner aus dem Westen. Sie wittern hier ein
       neues Publikum für ihre immergleichen Tiraden vom Volksuntergang und ihren
       Verfolgungswahn. „Hier gibt es keinen einzigen Nationalsozialisten“,
       behauptet der vielfach vorbestrafte Islamhasser Michael Stürzenberger
       dennoch. Überschrien wird er noch vom Deutschitaliener Eric Graziani, der
       auf vielen derartigen Veranstaltungen gegen die „Verbrechen der Migranten“
       hetzt.
       
       „Die Gelbwesten werden nur von Rattenfängern instrumentalisiert“,
       kommentiert in Apolda Max Reschke vom Weimarer Bürgerbündnis gegen
       Rechtsextremismus. Die Zahl derer, die sich seit Dezember 2018 donnerstags
       am Kreisverkehr treffen, beziffert er auf 20 bis 30. „Schau, wer
       dahintersteckt“, ermuntert ein Plakat der Gegenprotestler von „Wir für
       Apolda“. Die Stadtverwaltung der Glockengießerstadt hat offenbar schon
       hingeschaut. Die am Rathauseingang aufgestellte Glocke läutet stummen Alarm
       und trägt die Aufschrift „Demokratie ist unser Maß. Keine Toleranz der
       Intoleranz!“
       
       17 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
       ## TAGS
       
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