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       # taz.de -- #Twittersperrt vor der Europawahl: Satire verboten
       
       > Twitter äußert sich im Bundestag zu Accountsperrungen und verteidigt die
       > Löschung von Satire. Eine rechte Kampagne scheint naheliegend.
       
   IMG Bild: Irreführende Informationen zu Wahlen? Zerstörtes Plakat der AfD
       
       Berlin taz | Was ist da eigentlich bei Twitter los? Erst werden in den
       letzten Wochen mehrere prominente Accounts vorübergehend gesperrt. Die
       Jüdische Allgemeine, [1][die SPD-Politikerin Sawsan Chebli und etliche
       andere] sollen „irreführende Informationen zu Wahlen“ verbreitet haben, die
       zur Wahlmanipulation geeignet seien. Nicht alle, aber viele der gesperrten
       Tweets haben einen kritischen Bezug zur AfD. Und dann gibt das Unternehmen
       zu, dass „manchmal Fehler bei der Durchsetzung unserer Regeln“ gemacht
       würden. Wie diese Fehler passieren konnten, erklärt Twitter jedoch nicht.
       
       Klar ist nur: Zurückzuführen sind die Sperrungen auf eine neue Funktion,
       mit dem seit dem 29. April vermeintliche Desinformationen gemeldet werden
       können. Twitter, Facebook und Google hatten kurz zuvor anlässlich der
       anstehenden Europawahl einen freiwilligen „Verhaltenskodex zur Bekämpfung
       von Desinformation“ der EU-Kommission unterzeichnet. Die Unternehmen wollen
       so einer gesetzlichen Regulierung zuvorkommen. Auch deshalb wird wohl mehr
       gesperrt als unbedingt nötig.
       
       Mehr Fragen sollte die Sitzung des Bundestagsausschusses Digitale Agenda am
       Mittwoch beantworten. Dort war Nina Morschhäuser von Twitter eingeladen, um
       die Sperrpolitik des Kurznachrichtendiensts zu erklären. Der Antrag auf
       Öffentlichkeit der Sitzung durch die anwesenden FDP-Abgeordneten wurde von
       den Regierungsfraktionen abgelehnt.
       
       Die Nichtöffentlichkeit begründet Tankred Schipanski, Sprecher für Digitale
       Agenda der Unionsfraktion, auf Nachfrage der taz mit „dem sachlichen
       Austausch von Argumenten und einer konstruktiven Arbeit sowie
       Arbeitsatmosphäre im Ausschuss“. Die taz sprach zudem mit mehreren
       Sitzungsteilnehmern.
       
       ## Unklare Trennlinie
       
       Die erzählen: Twitter habe während der Sitzung erklärt, dass für die
       Sperrungen nicht fehlerhafte Algorithmen verantwortlich sind, sondern
       Irrtümer von Mitarbeitern. Die Teams seien nachgeschult worden.
       Grundsätzlich hätten die Löschteams „so viel Zeit, wie sie brauchen“, um
       eine Entscheidung zu treffen. Von den Facebook-Löschzentren ist bekannt,
       dass dort viele Entscheidungen in 8 bis 30 Sekunden getroffen werden.
       
       Zudem habe Morschhäuser verteidigt, dass satirische Tweets über Wahlen
       gelöscht werden, wie etwa die Aufforderung an AfD-Wähler, den Stimmzettel
       zu unterschreiben. Da weder Twitter noch die Nutzer feststellen könnten, ob
       eine satirische Äußerung verstanden wird, würde diese verboten werden. Dies
       sei auch eine Lehre aus den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Um
       der Löschung zu entgehen, müsse in der sogenannten „Biografie“ des Accounts
       explizit erklärt werden, dass es sich bei den Inhalten um Satire handelt.
       
       Nachfrage bei Anne Roth, die als Referentin für Netzpolitik bei der
       Linksfraktion im Bundestag arbeitet. Sie meint: „Die Trennung zwischen
       zulässiger politischer Auseinandersetzung und nicht zulässiger Satire ist
       bei der Twitter-Richtlinie völlig unklar. Deshalb wird es auch weiterhin
       nicht nachvollziehbare Accountsperrungen geben. Diese Praxis ist völlig aus
       dem Ruder gelaufen.“
       
       Sie habe Schilderungen von weit über 100 Nutzern erhalten, als sie in einem
       Tweet nach Berichten über Accountsperrungen fragte. „Viele wollen sich in
       einer Demokratie mit Meinungsfreiheit nicht von einem Unternehmen
       vorschreiben lassen, was sie schreiben dürfen und was nicht.“
       
       ## Rechte feiern sich
       
       Es gebe „ganz offensichtlich eine organisierte rechte Kampagne, bei der zur
       massenhaften Meldung von Tweets und Accounts mit anderen politischen
       Haltungen aufgerufen wird“. Tatsächlich gibt es zahlreiche Accounts, auf
       denen sich Rechte für erfolgreiche Meldungen feiern. [2][Auch die
       vorübergehende Sperrung der Jüdischen Allgemeinen] wird dort triumphierend
       hochgehalten. „Wird der Algorithmus womöglich von rechten Accounts
       manipuliert? Geht es um Zensur? Twitter schweigt. Keine Reaktion.
       Nachfragen bleiben unbeantwortet“, [3][kritisiert der Chefredakteur der
       Wochenzeitung.]
       
       Twitter hatte dazu im Digitalausschuss nicht viel beizutragen. Das
       Unternehmen könne über die politischen Haltungen der Melder nichts sagen,
       berichten Sitzungsteilnehmer. Allerdings gebe es in Deutschland zehnmal so
       viele Meldungen wie in anderen europäischen Ländern. Und: Eine große Zahl
       der Meldungen beziehe sich auf satirische Tweets, in denen AfD-Wähler zur
       Unterschrift unter den Stimmzettel aufgefordert werden – die Stimmabgabe
       würde dadurch ungültig werden. [4][Beispielsweise der Rechtsanwalt Thomas
       Stadler wurde in der vorvergangenen Woche] für diesen Witz vorübergehend
       auf Twitter gesperrt. Der entsprechende Tweet war bereits drei Jahre alt.
       Hinweise auf eine Organisierung der Meldenden gibt es also durchaus.
       
       16 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sperrungen-vor-der-Europawahl/!5589703
   DIR [2] /Angebliche-Falschinformationen/!5594774
   DIR [3] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/twittersperrt-und-schweigt/
   DIR [4] /Sperrungen-vor-der-Europawahl/!5589703
       
       ## AUTOREN
       
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