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       # taz.de -- Jürgen Trittin zur Boykottbewegung BDS: „Ein Klima der Einschüchterung“
       
       > Laut Bundestag ist die Boykottbewegung BDS antisemitisch. Der Grüne
       > Jürgen Trittin sieht nun die Meinungsfreiheit in Gefahr.
       
   IMG Bild: BDS protestiert in Berlin: Im Juni 2018 besuchte der israelische Premierminister Netanyahu die Stadt
       
       taz: Herr Trittin, am Freitag befasst sich das Parlament mit der
       [1][Israel-Boykott-Bewegung]. Halten Sie BDS für antisemitisch? 
       
       Jürgen Trittin: Ich halte BDS für sehr kritikwürdig, aber nicht als Ganzes
       für antisemitisch. Man muss BDS kritisieren, auch weil sie Antisemitismus
       in den eigenen Reihen nicht bekämpft. Aber BDS in toto für antisemitisch zu
       erklären, bedeutet, weite Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung, die
       seit mehr als 50 Jahren unter der Besatzung leidet, in die antisemitische
       Ecke zu stellen. Es bedeutet auch, Gruppierungen, die sich gewaltfrei für
       die Zwei-Staaten-Lösung starkmachen, mit dem Label „Antisemiten“ zu
       belegen. Das ist falsch.
       
       Laut Bundestagsbeschluss sind die „Methoden der BDS-Bewegung antisemitisch“
       … 
       
       Schon die Überschrift insinuiert BDS und [2][Antisemitismus] als gleich.
       Zudem sollen Kommunen hierzulande BDS oder Gruppierungen, die die Ziele der
       Kampagne verfolgen, keine Räume mehr zu Verfügung stellen. Das hatte in
       München den bizarren Effekt, dass sogar eine Debatte über dieses Verbot
       nicht in städtischen Räumen stattfinden durfte. Dazu passt, dass in dem
       Bundestagsantrag auch ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit fehlt.
       
       Also wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt? 
       
       Nehmen Sie den [3][Fall des Journalisten Andreas Zumach], dem wegen
       vermeintlicher Nähe zu BDS Räume für eine Veranstaltung verweigert wurden.
       [4][Es gibt ein Klima der Einschüchterung gegenüber Kritikern] der
       israelischen Besatzungspolitik. Auch solche, die sich seit Jahrzehnten für
       die deutsch-israelische Aussöhnung eingesetzt haben, werden als Antisemiten
       angegriffen. Da fehlt dem Antrag die nötige Differenzierung.
       
       Ihre Fraktion unterstützt den BDS-Beschluss. Warum? 
       
       Es gab in der Fraktion eine intensive Debatte. Eine Mehrheit ist für diesen
       Antrag, eine starke Minderheit ist dagegen. Bezeichnend ist allerdings,
       dass auch die Unterstützer in der grünen Fraktion nicht für den Inhalt des
       Antrags argumentiert haben. Ich glaube, dass die Zustimmung bei vielen von
       dem Motiv geleitet war, sich nicht selber dem unberechtigten Vorwurf des
       Antisemitismus auszusetzen. Ich finde aber, wir sollten die Debatte
       austragen. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns einig sind, dass die
       Sicherheit Israels deutsche Staatsraison ist.
       
       BDS ist in Deutschland marginal … 
       
       Der Beschluss adelt eine Bewegung, die laut, aber klein ist. Bei den
       wichtigen Fragen – wie erreicht man die Zwei-Staaten-Lösung, wie verhindert
       man die sich abzeichnenden Annexion von weiten Teilen des
       Westjordanlands? – spielt sie überhaupt keine Rolle. Die Gefahr ist,
       dass gerade kirchliche Organisationen, die sich mit diesen zentralen Fragen
       befassen, nun als antisemitisch gebrandmarkt werden. Deshalb gibt es von
       deren Seite, auch aus Israel, etwa von der Partei Meretz, die Aufforderung,
       diesem Antrag nicht zuzustimmen.
       
       Laut Bundestag sollen „keine Projekte mehr gefördert werden, die die
       BDS-Bewegung aktiv unterstützen“. Hat das praktische Auswirkungen? 
       
       Viele Stiftungen und kirchliche sowie nichtkirchliche Organisationen
       befürchten, dass dies ihre Projekte in Israel und Palästina massiv
       gefährden wird.
       
       Zu Recht? 
       
       Leider ja. Schon heute versuchen israelische Behörden, GIZ-Projekte in den
       besetzen Gebieten zu verhindern. Dieser Bundestagsbeschluss wird die
       rechtsnationalistische Netanjahu-Regierung ermuntern, diese Praxis
       fortzusetzen. Diese Regierung benutzt den Vorwurf des Antisemitismus in
       Israel, um alle zu delegitimieren, die ein Ende der völkerrechtswidrigen
       Besatzung wollen. Die Regierung hat dort ja versucht, nach russischem
       Vorbild die Aktivitäten von NGOs einzuschränken. Damit ist sie vor Gericht
       gescheitert. Der Rechtsstaat funktioniert im israelischen Kernland noch.
       Die rechte Regierung in Israel wird weiter versuchen, die Meinungsfreiheit
       einzuschränken.
       
       Würden Sie so weit gehen, zu sagen: Der Bundestag macht sich zum Sprachrohr
       der Netanjahu-Regierung? 
       
       Nein. Ich habe nichts für Verschwörungstheorie übrig. Viele Unterstützer
       dieses Antrags fühlen sich massiv unter Druck – und fällen eine in meinen
       Augen falsche Entscheidung.
       
       16 May 2019
       
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