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       # taz.de -- Debatte CO2-Steuer: Kein Allheilmittel fürs Klima
       
       > Die Argumente gegen eine CO2-Steuer sind so schwach, dass die Union wohl
       > nachgeben wird. Es wäre aber gefährlich anzunehmen, dass dann alles gut
       > ist.
       
   IMG Bild: Wenn es nur um finanzielle Anreize ginge, würde schon heute niemand einen Porsche-SUV fahren
       
       Es ist die deutlichste Veränderung, die die Klimaproteste der SchülerInnen
       in Deutschland bewirkt haben: Während die Einführung einer CO2-Steuer
       hierzulande vor einem Jahr noch als völlig unrealistisch galt, wird nun in
       der Bundesregierung ernsthaft darüber debattiert.
       
       Und wenn es dabei, wie gerade von der Kanzlerin noch einmal bekräftigt,
       wirklich darum geht, das beste Konzept zu finden, kann es eigentlich keinen
       Zweifel geben, dass die CO2-Steuer kommt. Denn keins der Argumente ihrer
       GegnerInnen hält einer kritischen Überprüfung stand.
       
       Offensichtlich unbegründet ist die vor allem vom Wirtschaftsflügel der
       Union vorgebrachte Sorge, eine CO2-Steuer würde Geringverdienende besonders
       belasten. Denn alle aktuell diskutierten Modelle sehen vor, die Einnahmen
       (oder mindestens den größten Teil davon) an die Bevölkerung zurückzugeben –
       und so, dass kleine und mittlere Einkommen nicht belastet, sondern im
       Normalfall finanziell sogar bessergestellt werden.
       
       Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt, wenn die Rückzahlung in Form einer
       Pro-Kopf-Pauschale erfolgt, die etwa am Jahresanfang als „Klimascheck“ an
       alle Haushalte ausgezahlt würde. Weil einkommensschwache Haushalte in der
       Regel weniger CO2 produzieren als einkommensstarke, würden sie deutlich
       mehr zurückbekommen, als sie durch höhere Preise für Benzin oder Diesel,
       Heizöl oder Erdgas sowie – sofern es gelingt, den Luftverkehr einzubeziehen
       – für Flugtickets zusätzlich ausgeben müssten. Lediglich Geringverdiener,
       die über eine weite Strecke mit dem Auto zur Arbeit pendeln, würden
       draufzahlen, doch das ließe sich über eine Härtefallregelung lösen.
       
       ## Geringverdiener werden tendenziell stärker entlastet
       
       In anderen Modellen, etwa jenen des [1][Vereins CO2-Abgabe] oder der
       [2][Friedrich-Ebert-Stiftung], erfolgt die Rückzahlung nicht direkt,
       sondern komplett über eine Senkung des Strompreises. Das ist klimapolitisch
       deutlich wirkungsvoller als eine direkte Rückzahlung, weil es nicht nur die
       klimaschädlichen fossilen Energieträger teurer werden, sondern gleichzeitig
       der zunehmend klimafreundliche Strom günstiger würde.
       
       Und tendenziell werden auch dabei Geringverdiener überproportional
       entlastet, weil bei ihnen der Strom einen größeren Anteil an den Ausgaben
       ausmacht als bei BezieherInnen größerer Einkommen – allerdings ist der
       Effekt geringer als bei direkten Pro-Kopf-Zahlungen, so dass die Akzeptanz
       niedriger sein dürfte. Viele Konzepte, etwa vom [3][Mercator-Institut] oder
       dem [4][Thinktank Agora Energiewende], sehen darum eine Kombination aus
       Strompreissenkung und Pro-Kopf-Zahlung verbunden mit Härtefallregelungen
       vor.
       
       Vor allem aus der FDP kommt die Forderung, statt eine CO2-Steuer
       einzuführen lieber den existierenden CO2-Emissionshandel der EU, der
       derzeit nur für die Energiewirtschaft und Teile der Industrie gilt, auch
       auf den Verkehrs- und Gebäudesektor auszudehnen. Diese Idee, die auch von
       Teilen der Union unterstützt wird, klingt in der Theorie gut, weil dadurch
       das Tempo der Reduzierung genau vorgegeben werden könnte. In der Praxis
       gibt es dabei aber mehrere Probleme: Zum einen ist dieser Plan nicht
       kurzfristig umzusetzen. Denn auf nationaler Ebene ist die Ausweitung laut
       Bundesumweltministerium nicht zulässig; auf EU-Ebene könnte sie frühestens
       2025 in Kraft treten – was für das Erreichen der deutschen Klimaziele für
       2030 viel zu spät wäre.
       
       Doch selbst wenn die Ausweitung des Emissionshandels auf EU-Ebene gelingen
       sollte, hätte das nach Ansicht vieler Experten nicht die gewünschte
       Wirkung. Weil die Kosten zur Vermeidung einer Tonne CO2 im Verkehrssektor
       deutlich höher sind als bei Kraftwerken oder vielen Industriebetrieben,
       würde ein gemeinsamer Emissionshandel dazu führen, dass der Verkehrssektor
       lieber Zertifikate kauft, statt die Emissionen zu vermindern. Während es
       beim Verkehr keine Fortschritte gäbe, müsste die Industrie dafür weitaus
       mehr einsparen als bisher. Ausgerechnet das Konzept der
       wirtschaftsfreundlichen FDP würde damit die Wettbewerbsfähigkeit der
       deutschen Industrie massiv gefährden.
       
       Wenn die Bundesregierung ihre Ankündigung wahr macht und alle vorliegenden
       Modelle offen prüft, dürfte sie also an der Einführung einer CO2-Steuer
       schlussendlich nicht vorbeikommen. Doch damit ist das Klimaproblem
       keinesfalls gelöst. Denn ein Allheilmittel fürs Klima ist die Steuer
       keineswegs.
       
       ## Ohne ein gutes ÖPNV-Angebot geht es nicht
       
       Zum einen sind finanzielle Anreize für viele KonsumentInnen nicht
       entscheidend – sonst würde schon heute niemand einen teuren SUV kaufen, um
       Strecken zu fahren, für die auch ein preiswerter Kleinwagen genügen würde –
       oder überhaupt ein Auto nutzen, wo es auch ein Fahrrad täte. Zum anderen
       funktioniert die CO2-Steuer nur, wenn derjenige, der investieren soll –
       etwa in eine neue Heizung –, anschließend auch von den Einsparungen
       profitiert, die damit einhergehen. Das ist bei VermieterInnen
       bekanntermaßen nicht der Fall. Und die Hoffnung, dass durch die Steuer mehr
       Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen, kann sich nur dort erfüllen, wo
       es ein entsprechendes Angebot gibt.
       
       Doch gerade aus liberaler Sicht wird eine CO2-Bepreisung nicht als
       notwendige Ergänzung anderer Klimaschutzmaßnahmen gesehen, sondern als
       Ersatz dafür. Einen solchen Deal, auf den auch der Wirtschaftsflügel der
       Union für eine mögliche Zustimmung zur CO2-Steuer drängen dürfte, darf es
       aber keinesfalls geben.
       
       Neben einer CO2-Steuer braucht es weiterhin das Ordnungsrecht, denn neue
       Ölheizungen oder Verbrennungsmotoren zu verbieten, ist in jedem Fall
       wirkungsvoller, als sie nur zu verteuern. Und es braucht weiterhin
       staatliche Investitionen, die die Voraussetzung für klimafreundliches
       Verhalten schaffen, sowie gezielte Unterstützung für Technologien, die sich
       am Markt trotz CO2-Steuer noch nicht durchsetzen. Nur wenn das
       gewährleistet ist, ist die neue Abgabe ein hilfreicher Beitrag gegen den
       Klimawandel.
       
       18 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://co2abgabe.de/
   DIR [2] https://www.fes.de/themenportal-wirtschaft-finanzen-oekologie-soziales/artikelseite/ein-preisschild-fuer-kohlendioxid
   DIR [3] https://www.mcc-berlin.net/news/meldungen/meldungen-detail/article/gute-steuerpolitik-erhoeht-akzeptanz-von-co2-preisen.html
   DIR [4] https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/eine-neuordnung-der-abgaben-und-umlagen-auf-strom-waerme-verkehr/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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