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       # taz.de -- Wie Union in Bochum fast aufstieg: „Singin’ la-la-la-la-la-la-la-la“
       
       > Union Berlin hat gegen den VfL Bochum den Aufstieg verschenkt. Die Fans
       > sind trotzdem nicht depressiv. Schon gar nicht auf Auswärtsbusfahrten.
       
   IMG Bild: Eine rote Wand: Unions Auswärtsblock in Bochum
       
       Bochum taz | Und bei euch? „Schlimm. Beim 2:2 fing der Regen an, nach dem
       Spiel schien die Sonne. Alles war dann ruhig.“ Das Ende der WhatsApp-Brücke
       Bochum–Berlin am späten Sonntagnachmittag. In Köpenick beim Public Viewing
       im Stadion an der Alten Försterei war es also auch ruhig. Elftausendmal
       Schweigen um 17.23 Uhr.
       
       Die Dramaturgie des letzten Zweitligaspieltags war in ein Drama gemündet,
       das kaum jemand zu ahnen gewagt hatte. Die Sachsen fegen die Paderborner
       mit 3:1 in Dresden vom Platz und der 1. FC Union, dem beinahe unverhofft
       die Tür zur Ersten Bundesliga aufgehalten wird, hat aus einem 0:2 fünf
       Minuten vor Schluss in Bochum innerhalb von drei Minuten ein 2:2 gemacht.
       
       Nun fehlte nur noch ein Tor, und das Unglaubliche würde wahr werden: der
       erstmalige Aufstieg des einst so mindererfolgreichen, minderbemittelten,
       minderglücklichen Klubs aus Köpenick in die Spitzenliga des deutschen
       Fußballs.
       
       Drei Tore im Schlussspurt nach 0:2-Rückstand, damit wäre nicht nur das Irre
       real geworden, es wäre ein Mythos entstanden, der vielleicht der größte
       dieses an Mythen nicht armen Vereins geworden wäre. Stattdessen ein
       fehlendes Tor, die Vorlage der Konkurrenz nicht genutzt. Typisch Union?
       
       ## Eine rote Wand
       
       Wieder einmal im entscheidenden Moment das Glück nicht auf der Seite
       gehabt, wie so oft in wichtigen Momenten für den Verein? „Union hätte eine
       Legende schaffen können, von der wir als Urgroßväter im Schaukelstuhl
       unseren Enkeln erzählt hätten und dass wir dabei waren. Aber
       Durchmarschieren in die erste Liga geht einfach nicht bei Union“, sagt
       Thorsten Rohrlach, als er auf dem Parkplatz des Bochumer Ruhrstadions vorm
       Bus des Fanklubs „Dreki Ragnarök“ steht, mit dem er und rund 50 weitere
       Unionfans aus Berlin gekommen sind und nun wieder zurückwollen.
       
       Der 55-Jährige ist einer von gut 5.000 Unionern, die sich am Sonntag mit
       Zügen, Autos und Motorrädern auf den Weg nach Westen gemacht hatten, um im
       Bochumer Stadion eine rote Wand aufzuziehen, die der Mannschaft den
       entscheidenden Rückhalt geben sollte, auf dass mit einem Sieg die
       ungeliebte Relegation vielleicht doch noch vermieden werden könnte.
       
       Die rote Wand, punktuell von Pyro hell beleuchtet, stand. Umso
       kontrastreicher das teilweise konfuse Bild, das die Union-Spieler auf dem
       Rasen abgaben. Kein konzentriertes, zwingendes Spiel, stattdessen
       Toreinladungen für den Gegner, der sich an diesem Tag nicht nachsagen ließ,
       das für ihn bedeutungslose Match auf die leichte Schulter genommen zu
       haben.
       
       So steuerte die Partie dank der späten Ausgleichstore von Grischa Prömel
       und Joshua Mees auf jenes dramatische Finale zu, das um 17.23 Uhr auch im
       roten Fanblock des Ruhrstadions zur Stille führte, zu Fassungslosigkeit, zu
       Tränen – und doch kurz darauf wieder zu Sprechchören auf die Eisernen.
       
       Auch von Thorsten Rohrlach, auf dessen rotem T-Shirt groß der Aufdruck AJ
       prangte. „Aufstieg Jetzt“. Das Shirt hatte er sich erst vor ein paar Tagen
       gekauft, aus einem Restposten eines Unioners, der die Textilien bereits vor
       zwei Jahren im ersten Aufstiegsfieber hatte anfertigen lassen. AJ stand
       seither auch für die Zerrissenheit im Fanlager der Eisernen, weil die
       Erfahrung mit der eigenen Vereinsgeschichte im Besonderen und die
       Antipathien gegenüber der Hyperkommerzialisierung im Erstligafußball im
       Allgemeinen nicht alle Unioner zu AJ-Befürwortern machte. Er gehöre nicht
       zu den Skeptikern, sagt Thorsten, dessen Fanlaufbahn als 13-Jähriger in
       Karlshorst begann. „Wir sangen bereits in den Siebzigern: ‚Union muss in
       die Bundesliga rein‘. Und ich habe auch schon 2011 zum Zweitligaderby gegen
       Hertha im Olympiastadion gesagt: Berlin braucht zwei Mannschaften in der
       Bundesliga.“
       
       ## „Machen wa alleene“
       
       Der jetzige Mahlsdorfer kennt noch die typischen Union-Zeiten, in denen
       Fanfreude wenig mit sportlichem Erfolg zu tun hatte, weil in der
       DDR-Oberliga relativ wenig zu bejubeln war. Trotzdem hielt er stets zu
       Union, selbst als er nach einer Knastzeit (wegen seiner Mitwirkung in der
       kirchlichen Oppositionsbewegung) 1988 nach Westberlin ausreiste, wo er
       seinem zweiten Lieblingsverein Hertha nun viel näher war. Nach dem
       Mauerfall erwachte dann aber doch wieder das fußballerische Heimatgefühl
       und führte zur Begleitung des Klubs über alle Tiefen und Höhen hinweg.
       
       Unter welchem Punkt diese Saison abgehakt wird, ist für Thorsten Rohrlach
       jetzt schon klar: tolle Saison, die allerdings toller werden könnte.
       Worüber im Bus größtenteils Einvernehmen herrschte. Spieltagsanalyse und
       -vorschau hat ja auf alkoholgeschwängerten Auswärtsrückfahrten immer eine
       spezielle Note.
       
       Oder um die eiserne Ines mit ihrem Muntermacherruf zu zitieren:
       „Schützenhilfe woll’n wa nich. Machen wa alleene.“ Zurück nach Köpenick und
       schon Donnerstag auf nach Stuttgart zum Relegations-Hinspiel. Das Rückspiel
       in der Alten Försterei findet am darauffolgenden Montag statt. Aus den
       Boxen singt Iggy: „Im a Passenger / And I ride and I ride“. Lauter, lauter!
       „Singin’ la-la-la-la-la-la-la-la/ La-la-la-la-la-la-la-la.“
       
       20 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Leue
       
       ## TAGS
       
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