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       # taz.de -- Ausstellung „Political Affairs“: Magie der Sprache
       
       > Politisch und verzweifelt: Die Ausstellung „Political Affairs“ im
       > Hamburger Kunstverein beschäftigt sich mit politischen Aspekten des
       > Sprachgebrauchs.
       
   IMG Bild: Benzin und Droge: Zwei Stoffe, die man auch ganz anders vermarkten könnte
       
       Hamburg taz | Es ist eine klar politische und doch seltsam verzweifelte
       Ausstellung, die jetzt im Kunstverein in Hamburg begonnen hat. Die
       Direktorin Bettina Steinbrügge und die italienische, in Berlin arbeitende
       Künstlerin Monica Bonvicini haben quer durch die letzten 50 Jahre rund 25
       künstlerische Positionen versammelt, in denen es um Sprache geht:
       Geschrieben, als Lettern und Leuchtschrift oder ins Objekthafte gebracht.
       
       Es geht nicht darum, dass hier Sprache visueller Kunst einen Kontext gibt,
       sondern um die Fähigkeit verselbständigter Wörter, ähnlich den
       literarischen Gattungen, Vorstellungen zu erzeugen. Und dabei kräftig zu
       manipulieren.
       
       Was im ästhetischen Bereich interessant ist, kann in der sozialen Welt eine
       große Gefahr werden: Politische Sprache ist nicht unschuldig, auch dann
       nicht, wenn sie so sinnleer ist wie die Sprüche aller Parteien zur
       Europawahl. So heißt die Ausstellung auch „Political Affairs – Language is
       Not Innocent“. Und wie es im internationalen Kunstbetrieb üblich ist, ist
       die Sprache, in der der Umgang mit Sprache exerziert wird, fast
       ausschließlich Englisch.
       
       Es beginnt mit dem wunderbar Kirmes-Glühbirnen-strahlenden Schriftzug
       „NOTFORYOU“. Monica Bonvicini formuliert hier möglicherweise das heimliche
       Credo eines elitären, selbstbezogenen Kunstbetriebs, auf jeden Fall so
       etwas wie eine anziehende Abstoßung, das erste und bei weitem nicht einzige
       Paradox dieser zahlreich präsentierten Appelle.
       
       ## Gegenkulturelle Markierungen
       
       Da ist das zwischen aktivistischem Aufruf und schön buntem Werbe-Logo
       changierende „TRUST WOMEN“ der US-Amerikanerin Andrea Bowers, da ist die
       Leuchtschrift „AIDS IS GOOD“ zu der abwechselnd „Business for Some“
       aufleuchtet, eine Kritik der guten Geschäfte der Pharmabranche durch das
       dänisch-norwegische Duo Elmgreen & Dragset.
       
       Schon 1967 hat der schwedische Politkünstler Öyvind Fahlström (1928–1976)
       in roter Schrift auf weißem Grund im blauen Oval gefasst zwei Markenlogos
       in gleichgestalteter Erkennbarkeit präsentiert „ESSO“ und „LSD“.
       Kapitalistische und gegenkulturelle Markierungen zweier Suchtstoffe, Benzin
       und Droge, deren Vermarktung gesellschaftlich auch anders denkbar wäre als
       zurzeit üblich.
       
       Nicht nur im Logo wird Schrift zum Bild. Die Texte bei Jakob Kolding werden
       zu einer Zeichnung von Maschinengewehren und bei Alice Attie werden
       Collagen von Flüchtlingsströmen zu Texturen.
       
       Viel weiter zurück geht ein seltenes Konvolut von beschrifteten Collagen
       von Zeitungsausschnitten von Guy Debord. Der Kopf der „Situationistischen
       Internationale“ und wichtigste Kritiker der kapitalistischen, alles
       vereinnahmenden „Gesellschaft des Spektakels“ hat aus schon
       veröffentlichten Texten 1958 paradoxerweise sehr persönliche Notizen
       gemacht. Wie viele der älteren, aber immer noch aktuellen Arbeiten, sind
       auch diese Leihgaben aus der Sammlung Harald Falckenberg.
       
       Unbedingt erwähnt werden muss die 1936 geborene Chris Reinecke, die vor
       kurzem auch im Kunstverein Harburger Bahnhof ausgestellt war. Von der
       einzigen Frau, die in den Sechzigern im Kreise der Düsseldorfer
       Großkünstler Immendorf, Polke, Richter oder Walther arbeitete, ist ein mit
       Geruchsbegriffen beschriftetes „Umgebungskleid“ zu sehen. Dazu sind Texte
       von 1969/70 zu lesen, die in ihrer liberalen Radikalität noch das meiste
       Heutige übertreffen.
       
       ## Bücher als revolutionäre Wurfgeschosse
       
       Zwischen den Wänden mit Exponaten liegen scheinbar Bücher, die dem
       Künstlerduo „Claire Fontaine“ wichtig sind: Viktor Klemperers
       Veröffentlichung „LTI“ zur Sprache des Dritten Reichs oder Ray Bradburys,
       von Truffaut verfilmte Dystopie systematischer Bücherverbrennungen
       „Fahrenheit 451“. Tatsächlich sind es aber mit Buchumschlägen umhüllte
       Backsteine, zu nutzen als revolutionäre Wurfgeschosse.
       
       Überhaupt die Bücher: Daniela Comani hat seit 2008 einige Neuerscheinungen
       herausgebracht. Ihre präzise den historischen Ausgaben große Klassiker
       nachempfundenen Titelbilder sind unwesentlich, aber entscheidend verändert.
       Da gibt es Hemingways „Die alte Frau und das Meer“, Flauberts „Monsieur
       Bovary“ und dergleichen phantastische Geschlechterkorrekturen mehr.
       
       Die fast zehn Meter lange Textmalerei von Ron Terada aus Vancouver bezieht
       sich auf die kleinsten heutigen Kommunikationseinheiten: „TL;DR“ (Too long,
       didn't read – zu lang, nicht gelesen) versammelt 26 Kurznachrichten und
       reproduziert ihre teils widersprüchlichen Inhalte riesengroß in der
       Standard-Schriftart der New York Times. Wahrnehmungsspanne,
       Informationsflut und Wahrheitsanspruch thematisiert in einer modernen
       Wandzeitung ohne jede revolutionäre Hoffnung.
       
       „Alle Macht dem Volke“ ist eher ein Motto von gestern. Heute müsste die
       Herrschaft von den großen Datensammlern zurückerobert werden. Und so
       fordert die sehr sozial engagierte dänische Künstlergruppe Superflex ebenso
       wandfüllend groß wie vergeblich: „All Data to the People“.
       
       Doch in Zeiten von Fake-News und wüstesten Drohungen aus dem Weißen Haus
       und in den angeblich sozialen Medien bleibt ein einfaches weißes T-Shirt
       eine reale und dringliche Erinnerung an grundlegende Paradoxien: „On my
       Back is a Lie“ ist auf die Brustseite gedruckt und hinten „On my Chest ist
       the Truth“. Es ist ein dreißig Jahre altes Multiple-Objekt von Georges
       Brecht (1926–2008), einem der wichtigsten Fluxus-Künstler. Und es ist eine
       Variante des alten philosophischen Satzes: „Alle Kreter lügen!“ – gesagt
       von einem Kreter.
       
       Wird den Worten zu viel Vertrauen geschenkt, führt das sehr wahrscheinlich
       in die Irre, wird ihnen grundsätzlich misstraut aber auch, denn dann wäre
       ein soziales Miteinander kaum möglich. Die in Berlin lebende Amerikanerin
       Adrian Piper lässt auf eine geschlossene Tür das rote
       Durchfahrt-verboten-Schild mit dem weißen Balken projizieren. Und versieht
       es mit dem auffordern Gruß „Howdy“ … kein Ausgang aus den kritikfördernden
       Paradoxien in Sicht.
       
       21 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR hajo schiff
       
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