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       # taz.de -- Die Wahrheit: Der Kanzlerin löchriges Altenteil
       
       > Die Wahrheit im Zeitstrahl: Was passiert mit Angela Merkel? Wohin strebt
       > sie, wenn sie mit allem und allen final durch ist?
       
       Wohin will Merkel? Diese Frage stellt sich in diesen Stunden mit neuer
       Dringlichkeit. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat die
       Kanzlerin durchblicken lassen, dass sie sich um Europa Sorgen mache: Sie
       spüre ein „Gefühl der Verantwortung“ für den in letzter Zeit arg zerzaust
       wirkenden Subkontinent. Will sie eventuell genau dort hin, nach Europa?
       
       Wissenschaftler wenden ein, dass sie sich bereits dort befinde – bis zu
       einem (derzeit unwahrscheinlichen) Austritt Deutschlands aus der
       Plattentektonik und einer Reform der Raumzeit bleibt Merkel also vorerst an
       die x-Koordinate gebunden. Doch die Stimmen, die sie schnellstmöglich „weg“
       haben wollten, werden nun wieder lauter, überschlagen sich gar in einem
       lächerlichen Falsett bis hin zur Piepsstimme. Wird Angela Merkel nach dem
       Ende ihrer Kanzlerschaft womöglich gar nicht aufhören zu existieren? Ein
       Szenario, auf dass momentan niemand vorbereitet ist.
       
       Den „endgültigen Ausstieg aus der Kanzlerin“ hatte Annegret
       Kramp-Karrenbauer vor Kurzem der FAZ bei einem Schweine-Imbiss versprochen.
       Zu leichtfertig? Eines wird auch Kramp-Karrenbauer klar sein: Merkel wird
       nach ihrem Aus weiterhin eine Stimme besitzen, ein Haus, Schuhe und
       Strümpfe. Pläne, sie in einer Art ascheverschmiertem Büßergewand vom Hof zu
       jagen, sind derzeit politisch nicht „drin“.
       
       Ihren Mann Joachim wird sie nach aktueller Rechtsprechung voraussichtlich
       behalten dürfen (obwohl, wer weiß?); auch wird wohl niemand im Kanzleramt
       ein Wort darüber verlieren, wenn sie ihren alten Dienstlaptop („ach komm,
       die olle Möhre“) am letzten Tag mitnimmt. Merkel wird weiter
       Interview-Anfragen erhalten; der Plan Paul Ziemiaks, sie nach dem Vorbild
       Myanmars unter Hausarrest zu stellen, findet derzeit in der Union keine
       Mehrheit. Die Dienstwaffe, die ihr zu Amtsantritt ausgehändigt wurde, darf
       sie weiter führen; die Trillerpfeife muss sie hingegen abgeben, da sie auf
       die regierungseigene Frequenz von 423 Dezibel normgeeicht ist.
       
       Merkel verliert darüber hinaus ihren Anspruch, in Notfällen auch dann die
       Supermarkt-Expresskasse nutzen zu dürfen, wenn sie mehr als zehn Artikel
       kauft, hat jedoch weiterhin Anspruch auf die jährliche professionelle
       Zahnreinigung beim Amtsdentisten (der sogenannte Helmut-Schmidt-Ausgleich).
       Den Chauffeurservice des Bundestags darf sie nur mehr nutzen, wenn sie ihre
       Stimme verstellt und die Kreditkarte von Katarina Barley verwendet.
       
       ## Darf Merkel in Russland wirklich Oligarchin werden?
       
       Unabhängig von den Privilegien des Amtes ist aber völlig unklar, was
       passiert, wenn eine Kanzlerin zurücktritt. Der Fall ist protokollarisch
       noch nie eingetreten. Wird sie betrunken im Fernsehen pöbeln wie ihr
       Amtsvorgänger? Darf sie bei Putin Oligarchin werden, Pipelines kreuz und
       quer durch Europa ziehen und bei Parteitagen gespenstische Gastreden halten
       („Russland gehört zu Deutschland“)?
       
       Was Männern im Amt erlaubt ist, das wurde vor ihr schon ausgetestet,
       darüber bestehen internationale Konventionen. Aber Frauen? Allein schon das
       Wort „Altkanzlerin“ verbietet sich. Doch steht zu erwarten, dass sie
       weiterhin unterm Brennglas stehen wird: Die Öffentlichkeit wird ihr
       Wohlverhalten besonders kritisch betrachten, jedenfalls kritischer als bei
       einem Mann. „Bei Merkels gingen erst um elf die Rollläden hoch: Das ist
       Deutschlands faulste Ex-Kanzlerin“ – auf solche Schlagzeilen haben sogar
       ihre Gegner in der Union keine Lust.
       
       Freunde hatten versucht, in den vergangenen Monaten Merkel für Hobbys zu
       begeistern: gemeinsame Brettspielabende, Toprope-Klettern oder ein eigens
       angeschaffter Fraktionshund („Amthor“) sollten verhindern, dass sie nach
       dem Machtverlust in ein tiefes Loch stürzt. Das Problem: Die Union selbst
       ist ein tiefes Loch. Man überlegte, ihr eine Art Vorruhestand zu
       ermöglichen, ihr die Leitung einer kleineren Unterorganisation wie den
       Evangelischen Arbeitskreis oder die Führung der SPD anzutragen. Doch kann
       man als einst mächtigste Frau der Welt Freude daran haben, hinter den
       Leitartikeln Sigmar Gabriels aufzuwischen?
       
       ## Kann Merkel immer noch Physik?
       
       Im Gegensatz zu ihren Vorgängern hat Merkel etwas Anständiges gelernt: Sie
       hat Physik studiert – sozialistische Physik. Für den Fall, dass ein Trabant
       mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern in der Stunde tangential auf
       eine Schar Jungpioniere zufährt, weiß sie sofort die Antwort: Ein Trabant
       erreicht diese Geschwindigkeit nicht (Erdkonstante). Mit ihrem Wissen
       könnte Merkel jederzeit wieder in der Forschung anfangen – seit 1989 haben
       sich die Naturgesetze nur unwesentlich verändert.
       
       Aber ach, auch die Physik ist politisch. Der Teilchenbeschleuniger Cern ist
       theoretisch in der Lage, ein Loch ins Universum zu reißen, eine sogenannte
       Mikrosingularität, die das gesamte Sonnensystem verschlingen könnte.
       Deswegen dürfen dort grundsätzlich keine Politiker arbeiten, sondern
       ausschließlich seltsame Gestalten in fleckigen Kitteln, die sich in ihrer
       Freizeit mit „Star Wars“ und anderen fiktionalen Verherrlichungen des
       Faschismus befassen. In der Forschercommunity herrscht Sorge, Merkel könne
       mit ihrer schon sprichwörtlichen Hemdsärmeligkeit und dem Willen, schnelle
       Lösungen zu produzieren, laufende Experimente gefährden, Schrödingers Katze
       einfach aus der Kiste lassen und jahrzehntelang austarierte
       Wellenfunktionen zusammenbrechen lassen.
       
       Von Merkels weiterem Lebensweg wird auch abhängen, wie leicht es für ihre
       Nachfolgerin im Amt wird. Merkel, die Menschenfischerin, auf jedem Parkett
       zu Hause, sei es in einer Mecklenburger Fischkneipe oder auf Brüsseler
       Spitzenempfängen – kann sie so einfach von einer homophoben Dorftrulla aus
       dem Raum Völklingen ersetzt werden, die schon Taxis für eine aufregende
       Erfindung hält?
       
       Nachdem ihr Merkels Amt quasi in den Schoß gefallen ist, beginnt für
       Kramp-Karrenbauer nun eine anstrengende Lehrzeit: Sie darf nicht mehr, wie
       sie es aus ihrem saarländischen Inzestdorf gewohnt ist, alle Probleme mit
       der Schrotflinte lösen. Sie muss höflich zu Frauen sein, die Hosen tragen,
       darf Jugendlichen, die „Fuck“ sagen, nicht mehr mit Gefängnis drohen. Das
       ist nicht schlimm, dafür gibt es Coaches. Was sie aber nicht kaufen kann,
       ist das Wohlwollen Merkels.
       
       Kramp-Karrenbauer weiß: Sollte ihr Merkel jemals das Vertrauen aussprechen,
       wird es ihr gehen wie Guttenberg, Wulff oder Papst Benedikt. Wie viele
       andere wird auch sie lernen müssen: Merkels Schatten ist lang, wird länger,
       je tiefer die Sonne steht, bis alle irgendwann geblendet sind und nach dem
       Grillen früh schlafen gehen wollen. Es wird ein langer Grillabend für die
       Union.
       
       18 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leo Fischer
       
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