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       # taz.de -- Abgelehnte schwule Asylbewerber: „Das ist reine Homophobie“
       
       > Behörden aus Bremen und Oldenburg weisen die Asylanträge dreier
       > homosexueller Geflüchteter aus Ägypten und Pakistan ab.
       
   IMG Bild: Queer and welcome? Schön wär's
       
       Bremen taz | Ein junger Mann, der gerade sein Coming-out hat? Naja, von
       „schwul“ kann da ja wohl noch nicht die Rede sein. Das zumindest findet die
       Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in
       Bezug auf einen jungen Ägypter: „Es handelt sich um ein Ausprobieren, eine
       Experimentierphase, nicht um eine gefestigte Präferenz“, urteilt das Bamf.
       
       „Schon der Umstand, dass der Antragsteller sich nach Auskunft des Vereins
       ‚Rat & Tat – Zentrum für queeres Leben‘ gerade erst im Coming-out befinde
       und darin vom Verein unterstützt werde, zeigt deutlich auf, dass von einer
       Verfestigung hier nicht die Rede sein kann.“ Der Asylantrag des jungen
       Mannes: abgelehnt.
       
       „Das ist komplett paternalistisch“, echauffiert sich Ali Tutar vom
       Rat-&-Tat-Zentrum. „Das Bamf entscheidet also, ob eine Person schwul genug
       ist?“ Seit 2016 organisiert er im Rat-&-Tat-Zentrum die Queeraspora-Gruppe
       für Migranten und Flüchtlinge mit
       Lesbian-Gay-Bi-Trans-Inter-(LGBTI-)Hintergrund. Dass die Homosexualität der
       Geflüchteten in Zweifel gezogen wird, das kennt man im Rat-&-Tat-Zentrum
       schon. Selbst ein Beratungsnachweis des Vereins wird von den Behörden oft
       nicht anerkannt.
       
       „Asylentscheide sind immer schwierig“, sagt die Richterin Verena Korrell
       von der Pressestelle des Verwaltungsgerichts Bremen. „Irgendwie muss das
       Gericht befinden, ob ein Zeuge oder Kläger glaubwürdig ist.“ Doch bei
       gleich drei aktuellen Fällen kommt für die queere Szene ein neuer Aspekt
       hinzu: Sie empfindet die Urteile in ihrer Begründung als homophob.
       
       Bezweifelt wird nicht länger nur die Homosexualität der Kläger; bezweifelt
       wird die Gefahr, der Homosexuelle in Ländern wie Ägypten und Pakistan
       ausgesetzt sind. „Die Urteile sind abenteuerlich und realitätsfern“, findet
       Maja Tegeler aus dem Vorstand des Christopher Street Day (CSD) Bremen.
       
       Bei dem jungen Ägypter etwa führt das Bamf angesichts des Outings in
       Deutschland weiter aus: „Mangels öffentlicher Wahrnehmung im Herkunftsland
       gibt es auch keine eventuell relevante Zuschreibung des Merkmals der
       Homosexualität. Daher kann der Antragsteller unbehelligt in seinem
       Heimatland leben.“
       
       Auch bei einem weiteren Ägypter, den Queeraspora vertritt, bezweifelt das
       Verwaltungsgericht Bremen in seinem Urteil die Homosexualität des
       Asylbewerbers und lehnt seine Klage ab. Doch auch hier beschränkt sich das
       Gericht nicht darauf, sondern führt aus, es sei „nicht erkennbar, ob
       homosexuelle Männer, die, wie der Kläger, ihre Neigung lediglich diskret
       leben, in Ägypten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung
       rechnen müssten“.
       
       Reiner Neumann aus dem Vorstand von Rat&Tat, findet das unglaublich. Er
       selbst habe seine Homosexualität über Jahre heimlich gelebt – bis er krank
       wurde. „Jetzt haben wir 2019, und deutsche Behörden empfehlen noch immer
       solche Formen der Heimlichtuerei.“
       
       Dabei ist nicht einmal klar, ob die empfohlene Vertraulichkeit Schwule in
       Ägypten ausreichend schützt: Seit einigen Jahren häufen sich die Berichte,
       dass die ägyptische Polizei mit Dating-Apps nach Homosexuellen sucht. „Das
       Urteil ist Bullshit“, befindet Tutar. „Das ist reine Homophobie: ,Halt mal
       einfach die Fresse, Schwuchtel, dann passiert dir nichts'.“
       
       ## Wenig Interpretationsspielraum
       
       Der Europäische Gerichtshof hat in einem Grundsatzurteil von 2013
       eigentlich wenig Interpretationsspielraum zu seiner Haltung bei diesem
       Thema gelassen: Bei der Prüfung eines Asylantrags könnten „die zuständigen
       Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität
       in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausüben seiner
       sexuellen Ausrichtung übt.“
       
       Doch ist das Gerichtsurteil selbst damit angreifbar? Der Hinweis auf
       zurückhaltendes Verhalten taucht in der Begründung zwar auf, war aber für
       die Entscheidung nicht ausschlaggebend: „Maßgeblich war, dass der Vortrag
       des Klägers vom Gericht nicht für glaubhaft befunden wurde“, sagt die
       Richterin Korrell.
       
       Das ist im dritten Fall, der im Rat&Tat-Zentrum für Empörung sorgt, anders:
       Die Homosexualität eines jungen Pakistani wird vom Bamf und dem
       Verwaltungsgericht Oldenburg nicht bestritten. Dennoch legt das Gericht dem
       queeren Geflüchteten in seinem Eilbeschluss vom 7. März nahe, freiwillig
       nach Pakistan auszureisen.
       
       ## Innere Emigration empfohlen
       
       Der Schwule käme dort nicht nur mit dem Gesetz in Konflikt – auf
       homosexuelle Handlungen stehen Strafen zwischen zwei Jahren und
       lebenslanger Haft – sondern wird im Heimatland auch von seinem Vater
       bedroht, der, so heißt es, beste Beziehungen zur Polizei habe.
       
       Die deutsche Justiz ficht das nicht an: „Die Anerkennung zur
       LBGTI-Community allein reicht nicht aus, um eine Flüchtlingsanerkennung zu
       erreichen“, zitiert das Verwaltungsgericht ein älteres Urteil und empfiehlt
       eine Art innere Emigration: „Vor allem in den Großstädten Faisalabad,
       Rawalpindi, Peshawar, Hyderabad oder Multan leben potentielle Verfolgte
       aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als andernorts.“
       
       „Der Richter hätte unbedingt die Branche wechseln und zum
       Top-Gay-Travel-Berater umsteigen sollen“, spottet Tutar. „Es ist wohl
       einfach so: Es ist kein Schutzgrund mehr, queer zu sein.“
       
       24 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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