URI: 
       # taz.de -- Autorin Inge Deutschkron: Die couragierte Aufklärerin
       
       > Inge Deutschkron ist eine leidenschaftliche Journalistin. Nun sind ihre
       > Artikel über den Auschwitz-Prozess in sorgsam editierter Buchform
       > erschienen.
       
   IMG Bild: Die deutsch-israelische Journalistin und Autorin Inge Deutschkron während einer Gedenkfeier 2015
       
       Sie trug den gelben Stern und auch den Zwangsnamen Sara. Sie überlebte die
       Judenverfolgung in Berlin, mehr als zwei Jahre versteckt in der
       Illegalität, ständig von Denunziation und Deportation bedroht: Die Rede ist
       von der 96-jährigen Journalistin und Autorin Inge Deutschkron.
       
       Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, ab 1946 in England lebend, nach
       Reisen auf dem indischen Subkontinent und Asien entschloss sie sich Mitte
       der fünfziger Jahre, nach Westdeutschland zurückzukehren und als
       Journalistin über und aus der Bonner Republik zu berichten. Jenem
       verstockten deutschen Obrigkeitsstaat, in dem die Forderung nach einem
       „Schlussstrich“ bereits als Fanfare einer breiten Öffentlichkeit erscholl,
       die sich ihrer verbrecherischen NS-Vergangenheit nicht zu stellen bereit
       war und wo Nazis erneut in führenden Positionen saßen.
       
       Kann es erstaunen, dass Inge Deutschkron, die ausgegrenzte und verfolgte
       Jüdin, Hans Globke, den Mitverfasser und Kommentator der „Nürnberger
       Rassengesetze“, späteres CDU-Mitglied und damaligen Staatssekretär von
       Bundeskanzler Konrad Adenauer, öffentlich einen „Schweinehund“ nannte?
       Deutschkrons Rückkehr nach Bonn war, wie sie es selbst ausdrückte, eine
       „Reise zu meinem Beruf“. Zuerst als freie Journalistin arbeitend, schrieb
       sie bald auch als Korrespondentin der israelischen Zeitung Ma’ariv.
       
       ## Präzise Reportagen
       
       Für diese Tageszeitung berichtete sie von Oktober 1963 bis zum August 1965
       vom Frankfurter Auschwitz-Prozess. Kontinuierlich nahm sie als
       Prozessbeobachterin an dem „Strafverfahren gegen Mulka u. a.“ teil, benannt
       nach dem Hamburger Export-Kaufmann Robert Mulka, Adjutant des
       Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß.Gebannt folgte sie den
       Verhandlungen, stenografierte ihre Beobachtungen, tippte ihre Texte in
       englischer Sprache in die Schreibmaschine, um sie nach Tel Aviv zu
       telegrafieren, wo sie ins Hebräische übersetzt wurden. Diese belastenden,
       unter enormem Zeitdruck verfassten Berichte erscheinen nun erstmals, aus
       dem Englischen übertragen und herausgegeben von der Historikerin Beate
       Kosmala, in Buchform.
       
       Präzise und fast emotionslos versuchte Inge Deutschkron durch ihre
       Gerichtsreportagen einer israelischen Leserschaft die Geschehnisse in
       Auschwitz zu schildern. Erfüllt von der Hoffnung, dass der Frankfurter
       Prozess der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen in Auschwitz und der
       Bestrafung der Täter dienen werde, beschrieb sie detailliert das Verhalten
       der Verteidiger, allen voran deren Hauptprotagonisten Hans Laternser, den
       sie wegen seines Verhaltens gegenüber den Zeugen wiederholt und unverhohlen
       als „Nazi-Anwalt“ oder „Nazi-Juristen“ bezeichnete.
       
       Auch wenn ihre Aufzeichnungen kein Wortprotokoll darstellen, versuchte Inge
       Deutschkron, den Verlauf der Verhandlungstage durch dialogische Sequenzen
       wie szenische Skizzierung wiederzugeben. Mit den wissenschaftlichen
       Gutachten der Historiker vom Institut für Zeitgeschichte in München war sie
       ebenso unzufrieden wie der Korrespondent des Norddeutschen Rundfunks, Axel
       Eggebrecht; beide bemängelten, dass nur unzureichend die Bedeutung der IG
       Farben, die Rolle anderer deutscher Firmen und Profiteure bei der
       Ausbeutung der Auschwitz-Häftlinge aufgedeckt wurde.
       
       Deutschkrons ganze Sympathie gilt den Hunderten Zeugen, die aus
       verschiedenen europäischen Ländern wie auch aus Israel ins Land ihrer
       Mörder und Peiniger gereist waren, um trotz aller Traumata und psychischen
       Belastungen vor Gericht auszusagen. Auch mit dem zeitlichen Abstand von
       mehr als 50 Jahren erschüttern diese Zeugenaussagen, versagt die
       Vorstellungskraft angesichts der immer und immer wieder geschilderten
       unmenschlichen Grausamkeiten im Lageralltag.
       
       ## Wichtige Zeitdokumente
       
       Eine besondere Würdigung in ihren Berichten erfuhr der Vertreter der
       Nebenkläger, der aus Kassel stammende Henry Ormond, dessen Initiative es zu
       verdanken war, dass das Gericht im Dezember 1964 in Auschwitz eine
       Ortsbesichtigung vornahm, an der dann auch Inge Deutschkron teilnahm. Das
       Urteil des Frankfurter Gerichts vom August 1965 kommentierte sie mit
       Enttäuschung und kritisierte „die Unzulänglichkeit des deutschen
       Strafrechts, um Verbrechen, wie sie in Auschwitz verübt worden waren,
       adäquat zu bestrafen.“
       
       Noch im selben Jahr veröffentlichte Inge Deutschkron ihr Buch „… denn ihrer
       war die Hölle“ über Kinder in Gettos und Lagern. Im Vorwort schrieb sie:
       „Keiner von uns Journalisten, der über einen längeren Zeitraum hinweg im
       Gerichtssaal von Frankfurt zugegen war, dürfte am Ende des Prozesses der
       gleiche Mensch geblieben … sein.“
       
       Ihre jetzt von Beate Kosmala sorgsam edierten Prozessberichte stellen
       wichtige Zeitdokumente dar, geschrieben von einer couragierten Frau und
       leidenschaftlichen Aufklärerin.
       
       17 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Weinke
       
       ## TAGS
       
   DIR Holocaust
   DIR Auschwitz-Prozess
   DIR Zeitzeugen
   DIR Überlebende
   DIR Auschwitz
   DIR NS-Gedenken
   DIR Holocaust
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Holocaust-Überlebende wurde 99 Jahre alt: Inge Deutschkron gestorben
       
       Bekannt wurde sie mit ihrer Autobiografie „Ich trug den gelben Stern“. Nun
       ist die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron im Alter von 99 Jahren
       gestorben,
       
   DIR Algerischstämmiger Jude wird geehrt: Der Wasserfreund
       
       Spät wird Alfred Nakache in die Ruhmeshalle des Schwimmsports aufgenommen.
       Er überlebte Auschwitz und schwamm auch nach 1945 weiter.
       
   DIR Gedenken an den Nationalsozialismus: Schienen in den Tod
       
       Vor 75 Jahren begann die Deportation der Berliner Juden. Am Mittwoch wird
       der Opfer gedacht. Ein 88-jähriger Zeitzeuge wird die Gedenkrede halten.
       
   DIR Holocaust-Gedenktag: Helden, von denen keiner sprach
       
       Viele Berliner Juden überlebten die Nazi-Zeit. Mutige Deutsche versteckten
       sie jahrelang vor der Gestapo. Jetzt werden Retter und Verfolgte geehrt.
       
   DIR Montagsinterview: "Die Wut bleibt mir"
       
       Versteckt in Berlin hat Inge Deutschkron den Holocaust überlebt. Was sie in
       den Jahren der Unterdrückung erlebte, war ihre Ausbildung. Deshalb ist sie
       "Aufklärerin" geworden. Bis heute. Interview: Waltraud Schwab