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       # taz.de -- Das Netzwerk von Anis Amri: Unter Gleichgesinnten
       
       > Es wird immer klarer: Anis Amri war kein Einzeltäter, sondern Teil eines
       > Netzwerks von Terroristen. Ein Ex-Kumpan steht nun vor Gericht.
       
   IMG Bild: Hier wollte Anis Amri laut Ermittlern zuerst zuschlagen: das Berliner Gesundbrunnen-Center
       
       BERLIN taz | Es ist ein junger Mann, der ab Donnerstag vor dem Berliner
       Kammergericht steht. Magomed-Ali C., 31 Jahre, geboren im russischen
       Agidel, Sohn eines Schweißers und einer Buchhalterin, fünf Geschwister. Und
       ein harter Islamist. Die Planung eines schweren Anschlags in Berlin wirft
       ihm die Anklage vor. Für den Prozess gelten höchste
       Sicherheitsvorkehrungen.
       
       Im Grunde ist der Fall Magomed-Ali C. ein Erfolg für die
       Sicherheitsbehörden. Im August 2018 ließ ihn die Bundesanwaltschaft
       verhaften, seinen Anschlag vereitelten die Ermittler. Gleichzeitig aber ist
       der Russe für die Behörden ein Problem: Weil er ein weiterer Beweis ist,
       dass sie bei der Einschätzung eines anderen Falls danebenlagen. Dem von
       Anis Amri.
       
       Ein Einzeltäter sei der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, so hieß
       es lange. Der Fall Magomed-Ali C. aber zeigt: Amri war vielmehr Teil eines
       islamistischen Netzwerks, das bis nach Frankreich, Belgien und Libyen
       reichte.
       
       Es war im Oktober 2016, als Magomed-Ali C. mit einem Komplizen, dem
       Franzosen Clément B., in Berlin einen Anschlag geplant haben soll, mit dem
       hochexplosiven Sprengstoff TATP. Ziel sei laut Ermittlern das
       „Gesundbrunnen-Center“ gewesen, eine Einkaufsmeile im Stadtteil Wedding.
       Und Mitplaner des Anschlags war: Anis Amri.
       
       ## Fatale Fehleinschätzungen
       
       Diese Erkenntnis, zu der die Ermittler erst 2018 gelangten, war zugleich
       eine Kehrtwende. Denn lange verbanden die Sicherheitsbehörden mit Amri nur
       den Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz. Mit einem Lkw war der
       Tunesier im Dezember 2016 in den Weihnachtsmarkt gefahren, hatte zwölf
       Menschen getötet und mehr als 50 verletzt. Schon im Februar 2018 hatte die
       Polizei den Tunesier als Gefährder eingestuft und dessen Kontakte ins
       islamistische Milieu bemerkt. Seinen Terrorplan indes habe Amri allein
       gefällt, so die Sicht der Behörden. Es war nicht der einzige Fehlschluss.
       
       Denn schon vor dem Attentat ließ die Polizei Amri von ihrem Radar
       verschwinden. Sie stufte ihn nur mehr als Drogendealer ein, der sich kaum
       noch um Religion schere – seine Observation wurde im Juni 2016 eingestellt.
       Genau danach aber schmiedete Amri offenbar seine Terrorpläne mit
       Magomed-Ali C. und Clément B. So jedenfalls hält es die Anklage gegen
       Magomed-Ali C. fest, die der taz vorliegt.
       
       Magomed-Ali C. und Clément B. hatten Amri über die kleine Fussilet-Moschee
       kennengelernt, der Treffort „der ISIS-Leute“ in Berlin, wie sie der
       Vorbeter selbst bezeichnete. Amri sei „ein Kumpel“ gewesen, erzählte
       Clément B. später in einem heimlich überwachten Haftgespräch seinem Vater.
       „Wir hätten knallen sollen.“ Wäre nichts dazwischen gekommen, „hätte ich
       mich sicher mit Anis und seinen Kumpeln in die Luft gesprengt“. In der
       Wohnung von Magomed-Ali C. habe man schon Sprengstoff, „TATP und alles“,
       gelagert gehabt.
       
       ## Ein Zufall verhinderte wohl den Anschlag
       
       Aber es kam etwas dazwischen. Denn Ende Oktober 2016 klopfte die Polizei an
       die Tür von Magomed-Ali C. Eine präventive Maßnahme, der Russe war als
       Islamist ins Visier geraten. Auch Clément B. war vor Ort, er flüchtete
       panisch aus dem Fenster. Die Polizei aber blieb nur vor der Tür und zog
       wieder ab – von dem Sprengstoff wusste sie damals nichts. Clément B. floh
       danach dennoch nach Frankreich. Und Amri löschte direkt nach dem
       Polizeibesuch seinen Telegram-Messenger vom Handy.
       
       Laut Ermittlern sei es Amris Aufgabe gewesen, zuvor das
       Gesundbrunnen-Center auszuspähen. Just als Clément B. ein Bild des Centers
       im Internet postete, zusammen mit Dschihad-Botschaften, habe sich Amri dort
       länger aufgehalten. Auch habe sich der Tunesier im Internet über TATP
       informiert und seine Beteiligung an dem Anschlagsplan von einem libyschen
       IS-Mann absegnen lassen.
       
       Und auch nach der Flucht von Clément B. blieb Amri bei seinem Terrorplan.
       Laut Ermittlern wollte er seinen Anschlag nun parallel zu einem Attentat
       von B. in Frankreich durchführen, auch in Brüssel sollte etwas passieren.
       Aber auch dieser Plan scheiterte. Noch zwei Tage vor dem tatsächlichen
       Berlin-Attentat kontaktierte Amri Clément B.: „Wo bist du? Bruder, wir
       müssen uns schnell sehen.“ Die Nachricht blieb unbeantwortet. Darauf, so
       die Ermittler, zog Amri „eigenmächtig“ los und verübte den Anschlag auf dem
       Breitscheidplatz.
       
       ## Kontakte zu den Paris-Attentätern
       
       Sein Terrorkumpan Clément B. indes war nicht irgendwer, wie die Ermittler
       feststellten: Er hatte engen Kontakt zum Islamisten Abdelhamid Abaaoud aus
       dem belgischen Verviers, dessen Zelle den Anschlag von Paris 2015
       durchführte, bei dem 130 Menschen starben, und auch den Angriff auf den
       Brüsseler Flughafen mit 35 Toten vier Monate später. Als französische
       Polizisten Clément B. im April 2017 schließlich verhafteten, fanden sie bei
       ihm drei Kilo TAPT und vier Pistolen. Und auch Magomed-Ali C. hatte sich
       2013 in der Islamistenszene Verviers aufgehalten.
       
       Auch Anis Amri hatte einst mit seinen Frankreich-Kontakten getönt. Er kenne
       „Brüder in Paris“, die Anschläge begehen wollten, und von denen er
       Kalaschnikows bekommen könne. Die Ermittler konnten dies zunächst nicht
       zuordnen. Gemeint aber waren offenbar Clément B. und seine Kontakte.
       
       Und inzwischen wissen die Ermittler auch, dass Amri bereits ab Dezember
       2015 mit libyschen IS-Mitgliedern in Kontakt stand. Ab November 2016
       besprach er mit einem „Mentor“ des IS auch konkret seinen Anschlag auf dem
       Breitscheidplatz, noch auf der Fahrt im Lkw hielt er mit diesem Kontakt.
       
       Amri, der Einzeltäter? Die Erkenntnisse belegen eher, wie offen der
       Tunesier seine Terrorpläne kundtat und Mitstreiter einband.
       
       ## „Fest in ein Netzwerk eingebettet“
       
       Auch der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der seit März 2018 den
       Amri-Anschlag durchleuchtet, hat die Einzeltäter-These beerdigt. Die These
       sei „schon lange widerlegt“, sagt die Grünen-Obfrau Irene Mihalic. Amri sei
       „fest in ein islamistisches Netzwerk eingebettet gewesen“. Für den
       FDP-Obmann Benjamin Strasser ist nun zu klären, „wann welche
       Sicherheitsbehörden welche Information hatte und was mit ihr passierte“.
       Der Ausschuss werde alles dafür tun, hier „Verantwortlichkeiten zu klären“.
       
       Neue Erkenntnisse könnte hier nun auch der Prozess gegen Magomed-Ali C.
       bringen. Das Gericht jedenfalls nimmt sich Zeit: Angesetzt sind bereits 40
       Verhandlungstage. Magomed-Ali C. selbst wird dabei vorerst nichts zur
       Aufklärung beitragen. Sein Mandant werde schweigen, sagt dessen
       Verteidiger. Dass dieser tatsächlich einen Anschlag plante, sei nicht
       belegt.
       
       16 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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