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       # taz.de -- Kolumne ESC in Tel Aviv #7: They see me rollin'
       
       > In Tel Aviv ist er längst Normalität: Der E-Roller, das hipste
       > Verkehrsmittel überhaupt. Beim ESC bringt er deutliche Vorteile.
       
   IMG Bild: In Tel Aviv nehmen selbst Trucks und SUVs Rücksicht auf E-Scooter
       
       Kommt sie – oder bleibt sie in Lissabon? [1][Ach, der Hader um die
       Performance von Madonna beim ESC]: Er war doch gar keiner. Die Verträge
       zwischen ihrer Corporate und der European Broadcasting Union sind nun
       unterzeichnet, alle Meldung übers Fernbleiben etc. waren nur
       Verhandlungspromotion.
       
       Viel interessanter als die Frage, ob eine Künstlerin, die vom Alter her
       auch nur Chers und Barbra Streisands kleine Schwester wäre, beim ESC eine
       ihr gemäße Rolle spielen kann – die der queersolidarischen Königin* des
       Pop. Man muss schmerzlicherweise für Madonna sagen: Nein, kann sie nicht.
       Sie ist die Überbrückerin zwischen Acts, dem Eurovisionaward und der
       Punktezeremonie – nicht mehr, nicht weniger.
       
       Sie kam mit Entourage im großen Flieger, sie bewegt sich hier aber nicht
       mit dem hipsten Verkehrsmittel überhaupt: dem E-Scooter. In Lissabon, wo
       sie auch lebt, wäre das eher nix. Zu hügelig.
       
       Gleichwohl wichtiger ist die Frage, wie das alles Freitagabend wird, wenn
       Schabbath ist, der heilige Sonntag der jüdischen Welt. Autos fahren, klar,
       Taxen auch – aber der öffentliche Nahverkehr ist zum Erliegen gekommen –
       und zwar absichtsvoll. Das macht ESC-Tourist:innen das Leben zur Wanderei.
       Wie kommt man von einem Punkt zum nächsten, vor allem, wenn die Entfernung
       viel mehr als ein nebensächlicher Fußweg ist?
       
       Die Lösung ist indes so einfach: Man lädt sich die App einer
       E-Scooter-Firma herunter. Meine trägt den Namen „Lime“ (es gibt auch „Wind“
       und „Bird“ – „Lime“ ist aber schöner, die Lenker sind höher, außerdem
       gefällt mir die grüne Lackierung, sie erinnert an den Glanz glücklicher
       Frösche und das ist schön).
       
       ## Keine große Freakness
       
       Was aber das Ganze so spektakulär macht: Selbst auf der Straße kann man mit
       diesen Geräten rollern und bringt sich nur objektiv, nicht aber wirklich in
       Lebensgefahr: Interessanterweise nehmen selbst Autofahrer*innen in Trucks
       und SUVs sensibelst Rücksicht auf die E-Scooter. Keine Huperei, weil man
       nur 24 Sachen drauf hat, keine giftigen Blicke gegen die Roller*innen, weil
       sie sich kein fettes Geschoss leisten können.
       
       Ich musste mich – gegen die Besorgnis meines Mannes – daran gewöhnen, auch
       die Straße zu nutzen. Auch dann, wenn keine Fahrrad- und E-Scooter-Wege
       ausgewiesen sind. Und was soll ich sagen? Es war ein wahnsinnig schönes
       metropoles Fahren, auch im Kreisverkehr des Industrieviertels (so geht ja
       Tourismus: an die Peripherien der Städte und schauen, wie es da so steht).
       
       [2][Die Diskussion in Deutschland um E-Scooter] wirkt hier in Israel nicht
       nur albern, sondern ist politisch ältestes Old School. Deutschland trägt
       offenbar eine Autowahnkultur-DNA in sich, die schnarrende
       Herrschaftsverhältnisse wenigstens in Automobilhierarchien ausgedrückt
       sehen will. Da ist es mit überscheinpotenten Jugendlichen, die in Städten
       wie Berlin Autorasereien in Innenstädten veranstalten und faktisch zu
       Killern werden (können) keine große Freakness – sie sind wie die meisten
       Deutschen, nur konsequenter.
       
       Rücksichtslosigkeit auf vier Reifen und das auch noch mit
       Zuhälterselbstbewusstseinsformen, so von wegen: Was gehen mich die
       Schwachen an – was kann ich denn dafür?
       
       Es wird, trostloserweise, noch viele Jahre dauern, ehe in Deutschland die
       kollektive und toxische Autovergeiltheit runterkastriert ist. Hier in
       Israel funktioniert die halbwegs friedliche Koexistenz sehr. Am Schabbath
       jedenfalls werde ich nicht auf Taxen angewiesen sein – der Weg zur
       ESC-Arena führt kilometerweit am Strand vorbei, um an einem Flüsschen im
       Park zum Hallengelände zu gelangen – sehr relaxt!
       
       [3][Um es mit Greta Thunberg zu sagen]: Man muss es nur wollen. Ansonsten
       gibt es nichts, was der Rollerei entgegenstünde. Der ESC hat Samstag sein
       Grand Final. Madonna muss nichts ernst nehmen, sie bekommt nur Beifall –
       sie muss keinem Punkteurteil sich aussetzen. Das Finale beginnt pünktlich
       zum Endes des Schabbath: Masel tov – weil es sowieso der Niederländer
       Duncan Laurence machen wird.
       
       17 May 2019
       
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