URI: 
       # taz.de -- Hilfen für Opfer von Colonia Dignidad: In Anerkennung der Verletzungen
       
       > Die Bundesregierung hat beschlossen, dass Opfer der deutschen Sekte je
       > 10.000 Euro erhalten sollen. Politiker forderten zudem eine Gedenkstätte.
       
   IMG Bild: Ein Grabstein für die Opfer der Colonia Dignidad, Villa Baviera, Chile
       
       Berlin taz | Das Hilfskonzept der Bundesregierung für Opfer der Colonia
       Dignidad steht. Manches bleibt noch auszugestalten. Aber die
       Rahmenbedingungen hat eine „Gemeinsame Kommission“ aus
       Bundestagsabgeordneten und RegierungsvertreterInnen definiert und am
       Freitag vorgestellt.
       
       „In Anerkennung der erlittenen körperlichen und seelischen Verletzungen der
       Betroffenen“, so heißt es im Hilfskonzept, solle eine Geste der Anerkennung
       gesetzt und Linderung der Spätfolgen geleistet werden. Denn seit 1961 waren
       viele der an die 300 BewohnerInnen der deutschen Siedlung in Südchile ihrer
       Freiheit beraubt, zu sklavenähnlicher Arbeit gezwungen und systematischem
       sexuellen Missbrauch durch den Sektenchef Paul Schäfer unterworfen.
       
       Einen rechtlichen Anspruch auf Entschädigung weist der Staatsminister im
       Auswärtigen Amt, Niels Annen zurück, räumt aber ein: „Im Mittelpunkt steht
       unser Umgang mit der moralischen Schuld, die wir auf uns geladen haben“.
       Denn obwohl die deutsche Regierung von den Menschenrechtsverletzungen in
       der Colonia Dignidad wusste, war sie nicht dagegen vorgegangen.
       
       Über einen „Hilfsfonds für sachliche Individualleistungen“ sollen Opfer
       basierend auf einem Zwei-Säulen-Modell Individualzahlungen bis zu 10.000
       Euro pro Person für Ausgaben für Gesundheit, Pflege und Bildung erhalten
       können: 7.000 Euro in einer ersten Säule mit einem vereinfachten Verfahren,
       bis zu 3.000 Euro in einer zweiten Säule unter Vorlage konkreter
       Verwendungsnachweise. Dafür sind in den Jahren 2019 bis 2014 rund 3,5 Mio
       Euro eingeplant. Diese Leistungen sollen deutsche und chilenische
       Staatsangehörige erhalten, die in der Colonia Dignidad bzw. Villa Baviera,
       wie die Siedlung sich seit 1988 nennt, „ihren tatsächlichen
       Lebensmittelpunkt hatten, ohne dem Täterkreis zugerechnet zu werden.“
       
       ## Härtefallregelung über Fonds „Pflege und Alter“
       
       Zusätzlich dazu wird ein Fonds „Pflege und Alter“ eingerichtet. Darüber
       sollen „Leistungen von Pflegeeinrichtungen oder -diensten für bedürftige
       Betroffene, die keinen Zugang zum deutschen Sozialsystem haben, bezuschusst
       oder finanziert werden“. Dieser Fonds richtet sich an heute in Chile
       außerhalb der deutschen Siedlung ohne soziale Absicherung lebende
       Ex-Colonia-BewohnerInnen.
       
       Für „die Ärmsten der Armen“, so die Grünen-Abgeordnete Renate Künast, gehe
       es darum, „sie so zu stellen wie bisher schon die Leute in der Villa
       Baviera“. Denn seit Mitte der 2000er Jahre waren Fördermaßnahmen aus
       Bundesmitteln in die Infrastruktur der deutschen Siedlung geflossen. „Die
       bisherige Fixierung der Bundesregierung auf die Villa Baviera ist ein
       schweres Versagen, weil es alte Strukturen unterstützt“, sagt der
       menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Michael Brand. „Wir
       haben als Abgeordnete einen neuen Schwerpunkt gesetzt. Jetzt werden
       Beratung, Unterstützung, 10.000 Euro plus die Pflege für die außerhalb
       Lebenden kommen.“
       
       Für diesen Fonds müssen Mittel in den Haushaltsplanungen der kommenden
       Jahre bewilligt werden. Für die heute in Deutschland lebenden
       Ex-BewohnerInnen der Colonia Dignidad wird es keine Zahlungen aus diesem
       Fonds geben, ihre dringendsten Bedarfe seien durch die Sozialsysteme in
       Deutschland abgedeckt, so Künast.
       
       ## IOM soll Konzept umsetzen
       
       „Mit der organisatorischen Umsetzung des Hilfsfonds wird die International
       Organization for Migration ([1][IOM]) beauftragt.“ Diese – eher für die
       technische Abwicklung großer Projekte bekannte – Organisation soll in Chile
       und Deutschland Anlaufstellen einrichten, an denen Opfer beraten und
       Anträge auf Hilfsleistungen bearbeitet werden. Die dazu nötigen
       inhaltlichen Leitlinien müssen von der „Gemeinsamen Kommission“ noch
       endgültig definiert werden.
       
       „Wir wollen natürlich alles tun um zu vermeiden, dass ehemalige Täter oder
       verantwortliche Führungsfiguren der ehemaligen Colonia am Ende Mittel aus
       deutschen Steuergeldern beziehen. Das kann und darf nicht sein“ sagt der
       Staatsminister Annen. Ein Expertengremium hatte einen Kriterienkatalog zur
       zentralen Frage der Täter-Opfer-Abgrenzung vorgeschlagen. Eine
       abschließende Einigung steht seitens der Kommission allerdings noch aus.
       
       Friedrich Straetmanns von der Linken verweist auf die enge Kooperation der
       Colonia Dignidad mit der Pinochet-Diktatur ab 1973 und dem chilenischen
       Geheimdienst DINA. Er fordert weitergehende Anstrengungen in der
       strafrechtlichen Aufarbeitung und für die Errichtung einer Gedenkstätte auf
       dem Gelände der Villa Baviera. Auch Volker Ullrich von der CSU verweist auf
       Massengräber chilenischer Oppositioneller, die auf dem Gelände der
       [2][Villa Baviera] ermordet wurden.
       
       Es liege auch an der deutschen Seite, dem chilenischen Staat und den
       Opferverbänden die Hand zu reichen, um dort einen würdigen Gedenkort
       aufzubauen. „Gedenkort bedeutet auch“, sagt er in Anspielung auf den dort
       etablierten Tourismusbetrieb, „dass die Villa Baviera nicht der Ort sein
       kann, an dem bayerische Oktoberfeste gefeiert werden.“
       
       17 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://germany.iom.int/de
   DIR [2] http://www.villabaviera.cl/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ute Löhning
       
       ## TAGS
       
   DIR Colonia Dignidad
   DIR Villa Baviera
   DIR Chile
   DIR Colonia Dignidad
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Chile
   DIR Colonia Dignidad
   DIR Colonia Dignidad
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Deutsche Sektensiedlung Colonia Dignidad: Vom Sektensitz zum Gedenkort?
       
       Deutschland und Chile könnten am Montag die Weichen für einen Gedenkort in
       der ehemaligen Colonia Dignidad stellen. Sie diente auch als Folterzentrum.
       
   DIR Doku über Colonia Dignidad: Wem gehört Geschichte?
       
       „Colonia Dignidad – Aus dem Innern einer deutschen Sekte“ zeigt bisher
       unveröffentlichtes Material. Doch wer hat die Rechte daran?
       
   DIR Menschenrechtsverletzungen in Chile: Dignidad-Fall bleibt ungeklärt
       
       Die Staatsanwaltschaft Münster stellt ihre Ermittlungen gegen einen
       ehemaligen Bewohner der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad ein.
       
   DIR Experte zu Colonia Dignidad: „Wir brauchen konsequente Schritte“
       
       Die Bundesregierung hat die Dimension des Problems der deutschen
       Sektensiedlung in Chile noch immer nicht erfasst, sagt
       Politikwissenschaftler Jan Stehle.
       
   DIR Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile: Noch keine Hilfe
       
       Der Bundestag fordert von der Bundesregierung, die Verbrechen der deutschen
       Sekte aufzuarbeiten. Jetzt geht es voran – aber nur sehr langsam.