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       # taz.de -- Gerettete von „Sea-Watch 3“ an Land: Humanitärer Notstand auf See
       
       > Die 65 aus Seenot Geretteten sind nun in Italien auf Lampedusa. Das
       > Rettungsschiff wurde beschlagnahmt, Innenminister Salvini tobt.
       
   IMG Bild: Die „Sea Watch 3“ mit Geretteten und neuen Crewmitgliedern im Januar vor Malta
       
       Berlin/Mailand taz/afp | Trotz offiziell geschlossener Häfen sind alle 65
       Menschen, [1][die das deutsche Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 3“ Mitte Mai
       im Mittelmeer gerettet hatte], seit Sonntagabend auf der italienischen
       Insel Lampedusa an Land. Das berichtete die NGO Sea-Watch am Montagmorgen.
       
       Im Hafen seien die Menschen von Einheimischen und Bannern mit der
       Aufschrift „Welcome to Lampedusa“ und „Wer ein Leben rettet, rettet die
       ganze Welt“ begrüßt worden. „Grazie Italia“, [2][schrieb die Crew auf
       Twitter]. Ihr Schiff sei jedoch „provisorisch beschlagnahmt“ worden,
       berichten die Aktivst*innen. Sie seien aufgefordert worden, [3][die
       „Sea-Watch 3“] ins sizilianische Licata zu bringen. Dort werden sie
       voraussichtlich am Montagnachmittag eintreffen.
       
       Die Beschlagnahmung sei „ebenso vorhersehbar wie skandalös“, sagte Philipp
       Hahn, Einsatzleiter der „Sea-Watch 3“. Man rechne aber nicht mit weiteren
       rechtlichen Folgen: „Wir haben kein Gesetz gebrochen, wir haben uns
       vielmehr erneut für das Seerecht und die Genfer Flüchtlingskonvention
       eingesetzt“, sagte Hahn.
       
       Italiens Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini von der
       rechtsextremen Lega hingegen twiiterte: „Ich hoffe, dass der Kapitän, der
       sich als Vize-Schleuser betätigt hat, verhaftet wird.“ Die deutsche
       Bundesregierung warnte vor Stigmatisierung und pauschaler Kriminalisierung
       der Seenotrettern. Bei der Bewertung des konkreten Falls hielt sie sich
       aber zurück.
       
       Am 15. Mai hatte die Crew die 65 Schiffbrüchigen etwa 30 Meilen vor der
       libyschen Küste von einem Schlauchboot gerettet. Schon zu diesem Zeitpunkt
       hätten viele von ihnen Anzeichen von Erschöpfung, Dehydrierung und
       Seekrankheit aufgewiesen. Innenminister Salvini hatte die Besatzung
       umgehend davor gewarnt, sich italienischen Hoheitsgewässern zu nähern:
       „Unsere Häfen sind und bleiben geschlossen.“
       
       ## Das „Gesetzlosenschiff“
       
       Am Freitagabend dann hatten die italienischen Behörden 18 Personen,
       darunter vor allem Familien und Kinder, evakuiert. Die medizinische und
       psychologische Situation der Zurückgebliebenen sei jedoch laut Sea-Watch
       „untragbar“ gewesen. Unter Berufung auf einen humanitären Notstand war das
       Schiff am Samstag in italienische Hoheitsgewässer eingefahren. Die
       restlichen 47 Menschen seien am Sonntagabend in „enger und
       freundschaftlicher Zusammenarbeit“ von der italienischen Küstenwache und
       der Zollbehörde an Bord der Küstenwache genommen worden, berichten die
       Aktivist*innen.
       
       „Wenn es nach mir geht, kommt niemand von dem Gesetzlosenschiff Sea Watch
       herunter“, schrieb [4][Innenminister Salvini noch eine halbe Stunde nach
       der Anlandung auf Facebook]. Schon als das Schiff am Samstagnachmittag Kurs
       auf Lampedusa genommen hatte, hatte Salvini kategorisch ausgeschlossen,
       dass das Schiff in den Hafen gelassen werde. Am Ende seiner Rede auf der
       [5][Abschlusskundgebung der europäischen Rechtspopulisten in Mailand] hatte
       er gesagt: „Wenn ihr heute Abend nach Hause geht, werdet ihr im Fernsehen
       Bilder von einem NGO-Schiff sehen, dass sich den Anweisungen der Polizei
       und der Hafenbehörde widersetzt.“
       
       Solange er Innenminister sei, werde das Schiff „in keinen italienischen
       Hafen gelassen“. Kein Staat dürfe sich zu „Komplizen von Menschenhändlern
       machen, die von Soros bezahlt werden“ – gemeint waren die NGOs, denen
       Salvini unterstellt, von dem jüdischen Investor George Soros unterstützt zu
       werden.
       
       Von der Anlandung der Geretten erfuhr Salvini offenbar erst aus den Medien
       und fragte, wer diese Entscheidung gegen seine ausdrückliche Anordnung
       getroffen habe. Vize-Ministerpräsident und Arbeitsminister Luigi Di Maio
       von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung entgegnete, es sei unabdingbar,
       die Passagiere eines beschlagnahmten Schiffes an Land zu bringen.
       
       ## Bis zu 5.500 Euro Strafe
       
       In der Nacht zu Montag [6][erklärte Salvini auf Facebook], geschlossene
       Häfen bedeuteten „90 Prozent weniger Kriminalität, weniger Probleme,
       weniger Müll, weniger Frauen und Kinder tot im Meer“. Und: „Vermisst
       irgendwer offene Häfen???“
       
       Salvini plant, die italienischen Häfen per Dekret vollends für
       Flüchtlingsorganisationen zu schließen. Die Notverordnung soll womöglich
       schon am Montag im Kabinett abgestimmt werden. Sie sieht vor, dass der
       Innenminister Schiffen die Einfahrt in italienische Gewässer aus Gründen
       der öffentlichen Ordnung untersagen kann. Wer Migrant*innen ohne Erlaubnis
       ins Land bringt, soll pro Person mit 3.500 bis 5.500 Euro Strafe belegt
       werden können.
       
       Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Michelle
       Bachelet, hatte diese Pläne in einem Brief an die italienische Regierung
       scharf kritisiert. Es handele sich um „einen weiteren politischen Versuch,
       Such- und Rettungsoperationen zu kriminalisieren“, schrieb sie. Salvini
       wiederum erklärte, bei der UN handle es sich um einen „internationalen
       Organismus, der die Steuerzahler Milliarden Euro kostet, der Nordkorea und
       die Türkei als Mitglieder hat und der Italien Moralpredigten über
       Menschenrechte hält“. Das verleite „zum Lachen“.
       
       20 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5596015
   DIR [2] https://twitter.com/seawatchcrew/status/1130207545342222336
   DIR [3] /Urteil-in-den-Niederlanden/!5593561
   DIR [4] https://www.facebook.com/salviniofficial/posts/10156625465523155
   DIR [5] /EU-Wahlkampf-der-Rechten-in-Mailand/!5596359
   DIR [6] https://www.facebook.com/salviniofficial/videos/669603726813447/?__xts__%5B0%5D=68.ARDXqdyRcxQtM5lYncKmKwwK3_6w10PdhKaFHMuk3a1qzE22HQNTMNSbHNurM04RXpaIQH_--0k4Kq33tgZk4pWQQwdxeDCJc5RNznQGJMomkiNYp-TzoAaRsbdoG1xyao_ekhFdaO7TJcclshavzuFpNiRoV2nBDav9hckhYI9Jcfc82utJn0p1gr_0AWyOTNnCxAamLAq-h3f_ac2HVCQRBsfeTrRD4xZpcG-RzgliJeJ7wWIppZV0MsSM4IxM07yKbiDMooAMCiD78WypQR69q1T9S94KIH4qcj94_x4sDx_BqXZZVT6Z3c94t2jj9dgmPejddiEdN7LveZmCezqi&__tn__=-R
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
   DIR Christian Jakob
       
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